Wieder einmal hat Mario Draghi die Märkte überrascht. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird ab März für monatlich 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere aufkaufen. Das gesamte Programm fällt mit bis zu 1140 Milliarden Euro deutlich größer aus als erwartet. Prompt gingen die Börsen in den Steilflug über. Der DAX sprang binnen weniger Tage um mehr als 500 Punkte nach oben und markierte mit mehr als 10 800 Punkten ein Allzeithoch.

Risikofaktoren wie Griechenland oder eine erneute Eskalation der Ukraine-Krise, die im vergangenen Jahr die Kurse enorm belastet hatten, werden völlig ignoriert. Allein durch den jüngsten Kursanstieg ist der Börsenwert der 30 DAX-Werte um mehr als 50 Milliarden auf insgesamt rund 1150 Milliarden Euro angeschwollen. Während die Folgen von Draghis Geldspritzen für den Aktienmarkt nicht von der Hand zu weisen sind, dürften die Effekte auf die Konjunktur begrenzt sein. "Rein makroökonomisch wird es keine Wirkung geben", ist sich Valentin Hofstätter, Leiter der Abteilung Bond Market & Currency Research bei Raiffeisen Research, sicher. Denn der Experte glaubt nicht, dass es der EZB gelingen wird, die Kreditvergabe durch die Banken anzukurbeln. Insgesamt schätzt der Analyst die weiteren Aussichten für Dividendenpapiere positiv ein: "Die EZB hat die Renditeniveaus am Anleihemarkt weiter nach unten gedrückt: Zehnjährige Bundesanleihen rentieren nun mit rund 0,3 Prozent. Allein das ist schon ein Argument für Aktien." Doch Anleger, die noch an der Seitenlinie stehen, tun sich schwer, nach der Rally einzusteigen, und warten auf eine Korrektur.

Doch warum warten? Gemessen an den Bewertungsrelationen der vergangenen zehn Jahre ist der DAX derzeit alles andere als teuer. Das hat unsere umfassende Analyse der 30 Bluechips ergeben, bei der der Vergleich mit den historischen fundamentalen Kennziffern im Mittelpunkt stand. Wir haben sogar fünf DAX-Aktien ausfindig gemacht, die derzeit mit großen Bewertungsabschlägen im Vergleich zu ihren Durchschnittswerten zu haben sind.

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Drei Kennziffern sind entscheidend

Drei Kennzahlen standen bei unserer Analyse im Mittelpunkt: Erstens haben wir das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) untersucht - die beliebteste Kennziffer der fundamentalen Aktienanalyse überhaupt. Das KGV basiert auf der Grundannahme, dass ein Zusammenhang zwischen zunehmenden Gewinnen und steigenden Aktienkursen besteht. Da jedoch dem KGV Schätzungen zugrunde liegen, die naturgemäß fehlerhaft sein können, haben wir uns zudem dem Buchwert gewidmet. Er ist deshalb so interessant, weil er wie keine andere Kennziffer Aufschluss darüber gibt, welche Substanz in Form von Vermögenswerten in einem Unternehmen steckt. Dritter Signalgeber unserer Analyse ist die Dividendenrendite. Sie steht gewissermaßen für die Verzinsung einer Aktie.

In unserer großen DAX-Tabelle auf der nächsten Seite können Sie erkennen, ob die Bewertungskennziffer der jeweiligen Aktie im historischen Kontext derzeit niedrig (grün markiert) oder hoch (rot markiert) ist. Bei den Durchschnittswerten handelt es sich um das arithmetische Mittel der Jahre 2006 bis 2015. Der Zehnjahreszeitraum ist deshalb so interessant, weil er zwei Phasen extremer Übertreibung enthält: 2007 notierten die Kurse in luftigen Höhen. Der Ausbruch der Finanzkrise brachte dann eine Korrektur, die 2009 in einem extremen Ausverkauf endete. Die aktuellen Daten für das KGV beruhen auf den Gewinnprognosen für 2015, die Sie auch in unserer Datenbank finden. Das KBV basiert auf den Bilanzzahlen des aktuell verfügbaren Geschäftsberichts. Die Dividendenrendite bezieht sich auf die erwartete Ausschüttung für 2014, die in der Regel 2015 gezahlt wird.



Die Ergebnisse verblüffen: Gemessen am KGV notieren derzeit 13 der 30 Bluechips unter ihrem historischen Mittel. Während das DAX-KGV beim Börsen-Hype 2000 kurzzeitig auf mehr als 30 angeschwollen war, ist der Index nun mit einem KGV von rund 13,7 bewertet. Er kostet damit etwa so viel wie in den vergangenen zehn Jahren. Wegen der quasi nicht mehr vorhandenen Renditen am Anleihemarkt und mangelnder Alternativen eröffnet das durchaus noch Spielraum nach oben - zumal die Gewinne der Firmen stärker steigen könnten als bislang unterstellt.

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Euro-Abwertung beflügelt Export

Dafür sorgt der schwächere Wechselkurs des Euro zum Dollar. Nach Draghis Entscheidung stürzte die europäische Einheitswährung in der Spitze auf unter 1,11 Dollar ab. "Damit hält der Rückenwind für deutsche Exportunternehmen an, die einen hohen Marktanteil in Ländern besitzen, deren Handel überwiegend mit Dollar abgewickelt wird, oder deren Währungen stark an den Dollar gebunden sind wie etwa China", so Commerzbank-Analyst Markus Wallner. Der Experte hat errechnet, dass eine Abwertung des Euro zum Dollar von zehn Prozent den DAX-Konzernen auf operativer Basis zu einem Extra-Profit von zwölf Milliarden Euro verhilft. Das entspricht einem Gewinnplus von acht Prozent. "Von der Euro-Schwäche sollten insbesondere DAX-Unternehmen wie Lanxess, K + S, Bayer, Linde und BMW profitieren", so Wallner.

Von Übertreibungen weit entfernt

Wenn die Unternehmen mehr verdienen, können sich Anleger auf höhere Dividenden einstellen. Trotz der jüngsten Rally liegt die Durchschnittsrendite im DAX noch bei stattlichen 2,5 Prozent. Aufgrund der großen Diskrepanz zu den Renditen am Bond-Markt werden Aktien als Anleiheersatz immer interessanter. Unter den Einzelwerten rentieren derzeit zehn DAX-Aktien höher als im langjährigen Mittel. Ähnlich positiv fällt der historische Vergleich beim Buchwert aus. Während derzeit elf DAX-Aktien mit einem Abschlag zum historischen KBV notieren, werden 19 Titel mit einem Aufschlag gehandelt. Dennoch liegt das Index-KBV für den DAX derzeit nur bei gut 1,8. Zur Hochphase der Hausse im Jahr 2007 mussten Anleger etwa den zweifachen Buchwert hinlegen. Im Aktienboom zur Jahrtausendwende zahlten Anleger für DAX-Papiere im Schnitt sogar mehr als den dreifachen Buchwert. Von Übertreibungen ist der deutsche Aktienmarkt weit entfernt.



Beim Blick auf die DAX-Einzelwerte fallen Deutsche Bank, SAP und Volkswagen auf. Das Trio weist bei allen drei Kennziffern teils erhebliche Abschläge zum langjährigen Durchschnitt auf. Weitere acht Papiere - Adidas, BMW, Commerzbank, HeidelbergCement, Infineon, K + S, RWE und Siemens - schaffen dieses Kunststück zumindest bei zwei der drei Kennzahlen.

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Rückschlag wäre Kaufgelegenheit

Aus dieser Auswahl stellen wir Ihnen die fünf interessantesten Aktien ausführlich vor. Wie immer spielten bei den Kaufempfehlungen nicht nur die reinen Daten, sondern eine Vielzahl weiterer Faktoren wie etwa das Geschäftsmodell, Wachstumsaussichten und Charttechnik eine Rolle.

Eines sollte aber nicht vergessen werden: Kurzfristig kann es an den Märkten aufgrund der Griechenland-Problematik vielleicht doch noch einmal ungemütlich werden. Denn da die aktuellen Finanzmittel des Sorgenkinds der Eurozone nur noch bis Ende März reichen, sollte eine Einigung zwischen der neuen Regierung und den Geldgebern innerhalb der kommenden vier Wochen erfolgen.

"Sollte es zu schwierigen Verhandlungen und im Worst Case sogar zu Pleiten griechischer Banken kommen, sind Kursturbulenzen wahrscheinlich", meint Raiffeisen-Experte Hofstätter. Doch anders als vor drei Jahren seien die Risiken des Übergreifens der Krise auf andere Euro-Peripheriestaaten dieses Mal gering. Hofstätters Tipp: "Jeder Rücksetzer wäre eine ideale Kaufgelegenheit."

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adidas: Kurserholung ist untermauert

Die Aktionäre von Adidas erinnern sich sicherlich gern an die Zeit zwischen Anfang 2009 und Ende 2013. In der Fünfjahresperiode kletterten die Papiere des Sportartikelherstellers von rund 25 auf mehr als 90 Euro - ein Plus von 260 Prozent. Doch 2014, ausgerechnet im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft, begann für die Anteilseigner eine Leidensphase. Zwar erzielten die Herzogenauracher im Geschäft mit dem runden Leder auch dieses Mal Rekordumsätze, der Verfall des Rubel verhagelte Adidas aber die Bilanz, da der Sportartikelkonzern einen bedeutenden Teil seines Geschäfts in Russland erzielt. Nach der Gewinnwarnung im Sommer vergangenen Jahres stürzte die Aktie von rund 70 Euro auf fast 50 Euro ab. Doch inzwischen hat der Titel bereits die Hälfte der erlittenen Verluste wieder wettgemacht, da es operativ nicht so schlecht läuft wie befürchtet. Auf Basis vorläufiger Berechnungen hat das Unternehmen in der abgelaufenen Geschäftsperiode einen Umsatz von 14,8 Milliarden Euro erzielt. Das bedeutet zwar nur ein mageres Plus von zwei Prozent im Vergleich zu 2013, Adidas liegt damit jedoch im Rahmen der eigenen Erwartungen. Zudem hätte die Wachstumsrate bereinigt um negative Wechselkurseffekte bei sechs Prozent gelegen. Auch das im Sommer 2014 gesenkte Gewinnziel hat Adidas mit 650 Millionen Euro erreicht. Spannung verspricht die Bilanzvorlage am 5. März. Denn an diesem Tag will Adidas auch seine Strategie für die kommenden Jahre präsentieren.

Teuer ist die Aktie nicht: Gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) weist der Titel einen Abschlag von 14,5 Prozent zum zehnjährigen Durchschnitt auf. Die Dividendenrendite von 2,5 Prozent übersteigt den historischen Mittelwert sogar um fast 70 Prozent. Beim KGV liegt Adidas zwar um rund 19 Prozent über dem Durchschnitt, die 2015er-Gewinnprognosen der Analysten, auf deren Basis das aktuelle KGV errechnet ist, haben jedoch durchaus noch Potenzial nach oben. Aus Bewertungsgesichtspunkten könnte die Rally also noch weitergehen. Charttechnisch gesehen ist Luft bis 70 Euro.





BMW: Dynamisch, finanzstark und günstig bewertet

Nicht nur in der Autobranche genießt BMW einen herausragenden Ruf: In zwei Umfragen unter der Bevölkerung und unter Wirtschaftsjournalisten hat die Dr. Doeblin Gesellschaft für Wirtschaftsforschung ermittelt, welche DAX-Gesellschaften sie als "finanziell gesund und solide" betrachten. BMW setzte sich bei beiden befragten Gruppen an die Spitze der Bewertung. Auch im ewigen Dreikampf mit den Premium-Autoherstellern Audi und Daimler haben die Münchner gemessen an Stückzahl und Rendite seit Jahren die Nase vorn. 2014 hat das Unternehmen mit den Marken BMW, Mini und Rolls-Royce in seiner knapp 100-jährigen Geschichte erstmals mehr als zwei Millionen Fahrzeuge verkauft und sich als Marktführer in der Oberklasse behauptet. 2015 dürfte sich dieser Trend fortsetzen. Denn das BMW-Management hat den Marktstart von 15 neuen Modellen angekündigt.

An der Börse glänzt BMW ebenfalls mit Bestwerten. Mit einem Zuwachs von etwas mehr als 15 Prozent seit Silvester hat der Wert bereits etwa dreimal so stark zugelegt wie im gesamten vergangenen Jahr. Trotz der jüngsten Rally dürften Anleger an dem Titel aber noch viel Freude haben. Denn mit einem KGV von rund elf ist die Aktie derzeit um fast ein Viertel günstiger zu haben als im langjährigen Vergleich. Zudem übersteigt die Dividendenrendite den Durchschnittswert um fast 17 Prozent.





HeidelbergCement: Schnäppchen auf den zweiten Blick

Die Aktie von HeidelbergCement macht bei oberflächlicher Betrachtung nicht gerade einen unterbewerteten Eindruck. Diesen Schluss lässt zumindest der Blick auf die in der fundamentalen Aktienanalyse beliebte Kennziffer KGV zu. Denn mit 13,7 rangieren die Papiere leicht über dem Durchschnittswert der vergangenen zehn Jahre, der bei 12,8 liegt. Bei näherer Analyse fallen jedoch zwei andere Kennzahlen ins Auge, die einen Einstieg in die Aktie des Baustoffkonzerns lohnenswert erscheinen lassen. Zum einen kostet der Titel derzeit gerade mal den einfachen Buchwert - gut ein Fünftel weniger als in der Vergangenheit. Zum anderen liegt die Dividendenrendite mit 1,3 Prozent sogar um mehr als 40 Prozent über dem Durchschnittswert. Dabei ist in Sachen Dividende das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn durch den an Weihnachten angekündigten Verkauf der Tochtergesellschaft Hanson Building Products für bis zu 1,4 Milliarden Euro an den Finanzinvestor Lone Star verschafft sich die Gesellschaft finanziell Spielraum für eine Erhöhung der Gewinnbeteiligung.

Grundsätzlich profitiert HeidelbergCement von der wirtschaftlichen Erholung in den Industriestaaten, insbesondere in Nordamerika und Großbritannien, aber auch in Deutschland und Nordeuropa. In diesen Ländern erzielt der Konzern fast die Hälfte seiner Erlöse. Die niedrigen Energiekosten spielen HeidelbergCement ebenfalls in die Taschen und eröffnen Spielraum für die Gewinnprognosen.





K + S: Gewinnerholung sorgt für Aufholpotenzial

Der Kursverfall der K + S-Aktie von fast 60 Euro auf unter 20 Euro in den Jahren 2011 bis 2014 hat Spuren hinterlassen. Im Zuge dessen ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis auf 1,6 zusammengeschrumpft. Im Schnitt der vergangenen zehn Jahre mussten Anleger dagegen den 3,8-fachen Buchwert für die Anteilscheine hinlegen. Der aktuelle Abschlag von gut 58 Prozent fällt so groß aus wie bei keiner anderen DAX-Aktie.

Lediglich in Sachen Dividendenrendite muss K + S noch einen Zahn zulegen. Denn mit aktuell 1,1 Prozent bezogen auf den Aktienkurs zahlt der Konzern knapp 60 Prozent weniger als in früheren Jahren. Aufholpotenzial gibt es genug. Nach dem Gewinneinbruch 2012 stehen die Zeichen auf Erholung. Dreh- und Angelpunkt sind die Kalipreise, die sich unter anderem aufgrund von absehbaren Produktionsausfällen beim Konkurrenten Uralkali erholen dürften. Zudem spielen K + S der schwache Euro und die deutlich gesunkenen Energiekosten in die Taschen. Wir rechnen daher bei der Vorlage des 2014er-Jahresfinanzberichts am 12. März mit positiven Überraschungen. Auch charttechnisch macht der Titel Fortschritte: Mit der Überwindung des seit August 2011 bestehenden langfristigen Abwärtstrends wurde ein massives Kaufsignal generiert. Das nächste Ziel lautet 30/31 Euro. Der durch die Tiefs von 2013 und 2014 definierte Aufwärtstrend bei gut 20 Euro sorgt für eine gute Unterstützung.





Volkswagen Vz.: Vor dem Sprung an die Spitzenposition

Mit dem Absatzplus von 4,2 Prozent auf 10,14 Millionen Pkw verfehlte Volkswagen im vergangenen Jahr nur knapp den Sprung auf die Poleposition der größten Autobauer der Welt. Dauerrivale Toyota musste zwar ein kleines Absatzminus hinnehmen, mit 10,23 Millionen verkauften Fahrzeugen sicherten sich die Japaner dennoch erneut die Spitzenposition. 2015 steht indes der Wechsel an. Denn während Toyota Analysten zufolge leicht schrumpfen dürfte, will Volkswagen 10,65 Millionen Autos ausliefern.

Nicht nur die Herzen der Autofans, auch die der Börsianer lässt Volkswagen höher schlagen. Denn die Aktie ist bei allen drei Bewertungskennziffern - KGV, KBV und Dividendenrendite - attraktiver im Preis als mit den langjährigen Durchschnittswerten. Dieses Kunststück schaffen mit Deutsche Bank, HeidelbergCement und SAP nur noch drei weitere DAX-Aktien. Am deutlichsten fällt die Diskrepanz bei der Dividende aus: Derzeit rentieren die Volkswagen-Stämme mit rund 2,6 Prozent, ein Aufschlag von 47 Prozent zum historischen Mittel. Zudem überzeugt die KGV-Betrachtung: Mit einem Wert von 8,4 ist der Titel schon rein optisch die zweitgünstigste DAX-Aktie. In den vergangenen zehn Jahren billigten die Börsianer Volkswagen im Durchschnitt ein KGV von 14,5 zu. Mit diesen Bewertungsrelationen hat die Aktie gute Chancen, im laufenden Jahr auch im DAX die Spitzenposition zu erobern.