Jeff Bezos ist ein eigenwilliger Mann. Der Amazon-Gründer investiert privat in die ehrwürdige Washington Post, obwohl der Abgesang auf Zeitungsverlage seit Jahren mehrstimmig gesungen wird. Er schickt in diesen Tagen mit dem Fire ein Smartphone an den Start, dessen Technik nach ersten Tests von vielen Testern verrissen wurde. Und bei den Quartalszahlen rückt Amazons Finanzvorstand Thomas J. Szkutak selbst auf hartnäckige Nachfragen von Analysten nur die Zahlen raus, die er auch bei der US-Börsenaufsicht SEC abliefern muss.

Mit seinem Kurs hat Bezos die Geduld der Anleger in der Vergangenheit ordentlich strapaziert. Doch angesichts lange steigender Aktienkurse - alleine im Vorjahr reichte es zu einem Kursplus von 53 Prozent - nahmen viele Investoren das zähneknirschend in Kauf.

Doch das ist jetzt vorbei. "Wir verstehen, wie wichtig Investitionen sind, aber irgendwann fragen Investoren, wann das wieder reinkommen soll", mäkelte etwa Michael Pachter von Wedbush Morgan.

Tatsächlich ist die Entwicklung bei Amazon derzeit nichts für schwache Nerven. Zwar reichte es im abgelaufenen zweiten Quartal zu einem Umsatzplus von satten 23 Prozent auf 19,3 Milliarden Dollar, womit der Konzern seinen Marktanteil im E-Commerce weiter ausgebaut hat. Aber die Ausgaben stiegen gleich um 24 Prozent auf 19,4 Milliarden Dollar. Unterm Strich versenkte das größte Online-Kaufhaus der Welt damit zuletzt netto 126 Millionen Dollar bzw. 27 Cents je Aktie und damit praktisch doppelt viel wie von Analysten befürchtet. Zum Vergleich: Vor einem Jahr hatte es bei Amazon noch zu einem hauchdünnen Minus von sieben Millionen Dollar gereicht.

Und der Ausblick für das dritte Quartal verheißt noch Schlimmeres: Zwischen Juli und September rechne man mit einem operativen Verlust von 410 bis 810 Millionen Dollar, sagte Szkutak - nach einem Minus von 25 Millionen im entsprechenden Quartal des Vorjahrs.

Man investiere derzeit kräftig an vielen Stellen, sagte Szkutak in einer Telefonkonferenz mit Analysten. So hat Amazon sechs neue Logistik-Zentren in Betrieb genommen. Dazu will der Konzern rund 100 Millionen in neue Inhalte stecken, damit das neue Fire, die Amazon Tablets und der Kindle genug Inhalte-Nachschub kriegen. Außerdem steckt der Konzern derzeit mit seiner Cloud-Tochter Amazon Web Services in einem beinharten Preiskampf mit Google und hat die Preise deutlich gesenkt. Aber Investoren wollen das nicht mehr hören und drängen immer lauter auf Gewinne statt steil steigender Verluste.

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Einschätzung der Redaktion

Amazon-Chef Jeff Bezos hat mit seiner Beharrlichkeit in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht. Mit Investitionen in neue Logistik-Zentren, der Erschließung neuer Warengruppen oder dem Einstieg ins Lebensmittelgeschäft hat der Konzern Pflöcke eingeschlagen und Marktanteile auf Kosten der Offline-Händler gewonnen. Diesen Weg sind Anleger bislang ohne größeres Murren mitgegangen. Doch angesichts steil steigender Verluste ziehen viele nun die Notbremse. Wir auch.

Die Aktie ist charttechnisch stark angeschlagen. Aktuell nähert sich das Papier der Unterstützungszone bei 230 bis 236 Euro. Fällt auch die, ist ein weiterer Rückschlag bis in die Zone des jüngsten Tiefs bei 207 Euro möglich. Wir stufen die Amazon-Aktie von Kaufen auf Verkaufen zurück.