"Die Börse ist launisch und unberechenbar", lautet eine der vielen Weisheiten von André Kostolany. Besonders in diesem Jahr scheint die Erkenntnis des 1999 verstorbenen Altmeisters ihre Gültigkeit unter Beweis zu stellen. Das ständige Auf und Ab zehrt an den Nerven aller Beteiligten und wird zur Zerreißprobe zwischen Bullen und Bären. Nachdem es im Frühjahr schon sehr stürmisch zuging, legt der Herbst in Sachen Gegenwind noch eine Schippe drauf. Obwohl die Jahreszeit historisch betrachtet zu den besten Abschnitten in einem Jahr zählt, durchzieht den Deutschen Aktienindex derzeit ein kräftiges Tiefdruckgebiet. Um mehr als fünf Prozent tauchte der DAX in der ersten Oktober-Hälfte ab.



Jede Menge Baustellen



Die Herbststürme werden gefüttert von einer Vielzahl von Unsicherheiten. In Rom droht die Geburt einer neuen Eurokrise, in Großbritannien bleibt die Brexit-Frage bis auf Weiteres ungeklärt und Donald Trumps Zollpolitik sorgt für weltweite Spannungen zwischen den großen Wirtschaftsräumen. Die Themen sind zwar alle nicht neu, je länger sie allerdings andauern, desto schwerer wiegen sie an der Börse. Hinzu kommt, dass die Unternehmensergebnisse an Schwung verlieren. Aktuell rechnet der Analystenkonsens gar mit einem leichten Gewinnrückgang von 0,7 Prozent für die 30 DAX-Unternehmen in diesem Jahr. Allein im September revidierten die Analysten ihre Ergebnisschätzungen um 1,1 Prozent nach unten.

Die Schwankungen an den Märkten scheinen auch zum Stimmungskiller unter den Finanzmarktanalysten zu mutieren. So befinden sich die ZEW-Konjunkturerwartungen im Einklang mit dem volatilen DAX auf einer Berg- und Talfahrt. Entsprechend ging es zuletzt wieder steil nach unten. Im Oktober fiel der Indikator auf minus 24,7 Punkte von minus 10,6 im Vormonat und markierte einen Tiefpunkt in diesem Jahr.

Aber es ist nicht nur das Börsengeschehen, das den Marktteilnehmern Sorgenfalten auf die Stirn treibt, auch die Angst vor einem direkten Konflikt zwischen den USA und China nimmt zu. "Die vernetzten deutschen Unternehmen sind von diesem Konflikt direkt oder auch indirekt betroffen", erklärt Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Und dass der Handelskonflikt der beiden Großmächte bereits Spuren hinterlässt, zeigen die neuesten Zahlen zum Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft. Diese wuchs im dritten Quartal so langsam wie seit Anfang 2009 nach Ausbruch der globalen Finanzkrise nicht mehr.

Auf Seite 2: Gewinnwarnungen in Serie





Gewinnwarnungen in Serie



Bedrohlich wirken auch die Vorläufer der aktuellen Quartalssaison. Mit RWE, Fresenius Medical Care, BMW, Daimler und HeidelbergCement haben bereits fünf Großkonzerne eine Gewinnwarnung ausgesprochen. Die beiden Letztgenannten ruderten überaus deutlich zurück: Anstatt eines Anstiegs im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich gehen die Heidelberger beim bereinigten operativen Ergebnis nun von einem Rückgang im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich aus. Daimler senkte wegen der Dieselkrise und anderer Schwierigkeiten sogar seine Ziele für 2018 zum zweiten Mal in diesem Jahr. Nun wird lediglich noch ein operatives Konzernergebnis von "deutlich unter Vorjahresniveau" erwartet. FMC erleidet das gleiche Schicksal wie der schwäbische Autobauer. Der Dialysespezialist legt ebenfalls schon zum wiederholten Mal Hand an seine Prognose. Eine Auswertung unserer Datenbank für den DAX zeigt, dass aktuell nur noch bei insgesamt 14 Unternehmen im Gesamtjahr eine Gewinnsteigerung erwartet wird, bei 16 Titeln werden dagegen sinkende Erträge prognostiziert. Zum Vergleich: Vor einem halben Jahr lag die Quote noch bei 26 zu 4.

Die rote Laterne in Sachen Wachstum trägt für dieses Jahr RWE. Den Prognosen zufolge wird der Gewinn je Aktie bei dem Energieversorger 2018 um rund 60 Prozent sinken. Spitzenreiter ist dagegen - abgesehen vom Versicherungsriesen Munich Re, bei dem es zu einem Basiseffekt kommt - Adidas mit einem Plus von 52 Prozent. Prozentual zweistellige Steigerungsraten werden allerdings nur noch einem Drittel der DAX-Mitglieder zugetraut.



Chancen auf eine Kurserholung



Zu stagnierenden Gewinnen kam es bei den deutschen Bluechips zuletzt im Jahr 2013. Doch anders als 2018 befand sich die Wirtschaft zu dieser Zeit in einer deutlich schlechteren Verfassung. Das Brutto-inlandsprodukt wuchs damals gerade mal um 0,6 Prozent. Für 2018 erwarten die Ökonomen aktuell noch ein Plus im Bereich von zwei Prozent, auf globaler Ebene sind sogar vier Prozent möglich. "Unter makroökonomischen Gesichtspunkten scheinen die Gewinnerwartungen mittlerweile zu pessimistisch zu sein", heißt es bei Warburg Research. Die Experten halten das aktuelle Kursniveau daher für nicht gerechtfertigt: "Die Voraussetzungen für eine deutliche Kurserholung in den nächsten Monaten sind somit gegeben."

Marcel Müller, Leiter Portfoliomanagement bei HQ Trust, ist ganz ähnlicher Meinung: "Für einen starken Kursrückgang sind die konjunkturelle Situation und die aktuellen Ergebnisse der Unternehmen noch zu gut. Die Bewertungen der Aktienmärkte werden zunehmend attraktiver, was von langfristig orientierten Marktteilnehmern als Einstiegsmöglichkeit genutzt werden könnte." Apropos attraktiv: Der DAX glänzt in Sachen Bewertung gleich an mehreren Stellen. Im Vergleich zum Jahresbeginn hat sich das KGV um rund einen Punkt verbilligt.

Auswirkungen hat der Kursverfall auch auf die Dividendenrendite. Diese verbesserte sich von 2,9 auf 3,3 Prozent. Solange die Zinsen im Keller sind und Italien derzeit alles dafür tut, dass die EZB keinen Spielraum nach oben hat, sind die Gewinnausschüttungen ein gewichtiges Argument für Aktien. "Der 30-jährige Durchschnitt der DAX-Dividendenrendite von 3,2 Prozent entspricht einem DAX-Niveau von 13 200 Punkten", rechnen die Commerzbank-Analysten vor. Der Vergleich zum Rentenmarkt unterstreicht die Strategie: Zweijährige deutsche Bundesanleihen rentieren derzeit mit minus 0,675 Prozent. Erst bei einer Laufzeit von sieben Jahren dreht der Zins ins Positive.

Auf Seite 3: Positive Ratings auf dem Rückzug





Positive Ratings auf dem Rückzug



Die Zahl der DAX-Mitglieder, die sich derzeit in unserer Datenbank noch für eine positive Einschätzung qualifizieren, hat stark abgenommen. Aufgrund der jüngsten Turbulenzen wurde eine Reihe von Titeln wie zum Beispiel Heidelberg-Cement oder FMC ausgestoppt, was wiederum Rückstufungen nach sich zog. Aktuell sind nur noch 13 Bluechips kaufenswert, 15 Aktien stehen auf "Beobachten" und beim verbleibenden Duo raten wir zum Verkauf. Die fünf aussichtsreichsten Titel stellen wir Ihnen nachfolgend -genauer vor.





Adidas-Aktie: Drei Streifen erobern die Welt



Den Ball weiterhin nach vorn spielt Adidas. Passend zu den starken Halbjahreszahlen, die von der Fußball-WM in Russland geprägt waren, verlängerten die Herzogenauracher jüngst ihren Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund. Anstatt bis 2022 bleibt das Unternehmen nun bis 2026 offizieller Ausrüster des deutschen Teams.

Adidas verdient mit seinem Drei-Streifen-Logo, das insgesamt auf einen Markenwert von etwas mehr als zwölf Milliarden US-Dollar kommt, aber nicht nur im Ballsport prächtig. Auch die Kategorien "Running" und "Training" füllen derzeit die Kassen.

Dass die Qualität des Wachstums stetig zunimmt, zeigt ein Blick auf die Marge. Nach sechs Monaten kletterte diese um 1,8 Prozentpunkte auf 13,4 Prozent empor. Damit erscheint das Jahresziel mit einer Steigerung der operativen Rendite um 0,5 bis 0,7 Prozentpunkte - selbst in Hinblick auf ein traditionell schwaches viertes Quartal - konservativ.

Positiv kommt hinzu, das Vorstandschef Kasper Rorsted auf einer Roadshow im September klarstellte, dass auch das Sorgenkind Reebok auf dem richtigen Weg sei. Vor allem in Übersee macht die Marke Fortschritte. Zudem möchte der Konzern auf der Kostenseite weiter punkten. Unter anderem wird sich Adidas im Sportmarketing auf weniger Mannschaften konzentrieren, da nur noch wenige europäische Clubs eine globale Reichweite haben.





Allianz-Aktie: Viel Spannung zum Jahresende



Die Versicherungsaktien im DAX zeigen in diesem Jahr Relative Stärke. So schnitt die Allianz nicht nur in der jüngsten Korrekturphase besser ab als der Gesamtmarkt, auch im Vergleich zum Jahresbeginn zeigt Europas größter Assekuranzkonzern eine stabilere Entwicklung.

Dieser Trend sollte sich fortsetzen, denn Sorgen, dass die Allianz in der aktuellen Berichtssaison enttäuscht, müssen sich Anleger nicht machen. Bereits Ende September stellte Finanzvorstand Giulio Terzariol klar, dass der Konzern "gut unterwegs" sei.

Neben der Quartalsbilanz, die am 9. November veröffentlicht wird, sollten sich Anleger auch den 30. November im Kalender anstreichen. An diesem Tag findet der Capital Markets Day in München statt. Auf dieser Veranstaltung wird der Versicherungsriese seinen neuen Dreijahresplan ab 2019 präsentieren.

Bei der Präsentation der Halbjahreszahlen zeigte sich der Konzern optimistisch, dass die Ende des Jahres auslaufende "Renewal Agenda", die unter anderem eine Steigerung des Gewinns je Aktie von 2016 bis 2018 um durchschnittlich fünf Prozent vorsah, erreicht wird. Nun steigt die Spannung, wie die nächste Strategie aussieht.

Neben operativen Zielen wie der Entschlackung der Sachversicherungssparte sowie einer stärkeren Digitalisierung werden auch genaue Prognosen zu Gewinn und Rendite in den Folgejahren erwartet.





Beiersdorf-Aktie: Neuer Chef, anhaltendes Wachstum



Wird es an den Börsen ungemütlich, suchen sich Anleger gern defensive Titel. Zu dieser Kategorie zählt Beiersdorf. Das soll aber nicht bedeuten, dass der Konsumgüterriese nicht auch wachstumsstark ist.

Zwischen 2017 und 2019 gehen Analysten von einem durchschnittlichen Gewinnplus von etwas mehr als zwölf Prozent aus. Seine derzeitige Stärke stellte Beiersdorf zum Halbjahr erneut unter Beweis. Der Konzern hob aufgrund des Rekordsommers und der damit einhergehenden hohen Nachfrage nach Sonnencremes seine Erlösprognose für das Gesamtjahr von "rund vier Prozent" auf "etwa fünf Prozent" an.

Zwar wurde nur das Ziel einer bereinigten operativen Marge in Vorjahreshöhe von 15,4 Prozent bestätigt, jedoch bezeichnete der scheidende Chef Stefan Heidenreich den Ausblick als vorsichtig.

Unterstützung könnte die Branche zudem von möglichen Preiserhöhungen zum Jahresende bekommen. Damit sind die Aussichten gut, dass der Nivea-Hersteller auch 2019 seinen Erfolgskurs, wenn auch unter neuer Führung, fortsetzen wird. Den seit 2012 amtierenden Heidenreich wird dessen bisheriger Vertreter Stefan De Loecker zum 1. Januar beerben.





Merck KGaA-Aktie: Trendwende in greifbarer Nähe



In doppelter Hinsicht hinterließ Merck zuletzt einen positiven Eindruck. Einerseits hat die Aktie in dem jüngsten Ausverkauf an den Märkten relative Stärke bewiesen. Während der DAX im Oktober abtauchte, steht bei Merck ein dickes Plus von mehr als vier Prozent zu Buche. Aktuell nimmt der Titel das Jahreshoch ins Visier und weist zudem den geringsten Abstand zum 52-Wochen-Hoch im DAX auf.

Andererseits machte der Pharma- und Chemiekonzern auf der jüngsten Investorenveranstaltung auch eine gute Figur. Das Management sieht sich vor der nächsten Wachstumsphase. "Wir haben richtungsweisende Entscheidungen getroffen, die ab kommendem Jahr zu profitablem Wachstum führen werden", besiegelte Merck-Chef Stefan Oschmann seine Ambitionen.

In diesem Jahr werden unter anderem ein schwächeres Geschäft mit Flüssigkristallen für Flachbildschirme, höhere Forschungskosten und negative Währungseffekte das Ergebnis belasten. Positive Nachrichten kommen derweil aus dem Pharmageschäft. Mit seiner Krebsimmuntherapie Bavencio strebt das Unternehmen zusammen mit seinem Partner Pfizer nach positiven Phase-III-Ergebnissen eine Zulassung an.

Die Fortschritte in der Wirkstoffentwicklung sowie die Aussicht auf profitables Wachstum im Jahr 2019 machen die Merck-Aktie zu einem Favoriten im DAX.





SAP-Aktie: Zielanhebungen am laufenden Band



Während das Gros der DAX-Konzerne in der aktuellen Berichtssaison Anleger mit Gewinnwarnungen verschreckte, legt SAP eine Schippe auf seine Jahresziele drauf. Dank blühender Cloud-Verkäufe heben die Walldorfer bereits zum dritten Mal in diesem Jahr ihre Prognose für das Gesamtjahr an. Der Umsatz soll nun zwischen 25,2 und 25,5 (bisher: 24,9 bis 25,3) Milliarden Euro liegen, das Betriebsergebnis eine Spanne zwischen 7,4 und 7,5 Milliarden Euro erreichen.

"SAP ist das am stärksten wachsende Unternehmen in der Cloud", begründet Konzernchef Bill McDermott seine Zuversicht. Von Juli bis September lagen die Einnahmen aus Cloud-Abos um 40 Prozent über den Lizenzerlösen. Und das Wachstum hält an.

Laut McDermott schnellten die für das künftige Geschäft wichtigen neuen Orders in der Datenwolke währungsbereinigt um 37 Prozent in die Höhe: "Wir haben eine so starke Pipeline für das vierte Quartal wie noch nie zuvor."

Allerdings geht das Cloud-Wachstum derzeit noch auf Kosten der Marge. Von der bis 2020 angepeilten Rendite von 30,7 Prozent war SAP im dritten Quartal mit 29,4 Prozent noch etwas entfernt. Um das Ziel auch sicher zu erreichen, peilt SAP Einsparungen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich an. Die Transformation in Richtung Cloud verspricht hohes Wachstumspotenzial.