CHRISTIAN VON ENGELBRECHTEN, FONDSMANAGER FIDELITY GERMANY FUND:



"Die Deutschlandwahl ist zwar ein Denkzettel für die beiden großen Volksparteien. Aber sie wird langfristig keine negativen Marktreaktionen auslösen. Kurzfristige Schwankungen sind eher Kaufgelegenheiten.

Ich gehe davon aus, dass die stabile und solide, aber eher reformarme Politik mit wenigen Wachstumsimpulsen zugunsten eines ausgeglichenen Staatshaushalts fortgesetzt wird. Die deutschen Unternehmen werden sich damit wie bisher gut arrangieren. Anleger sollten aber Unternehmen meiden, die ein besonders positives Wirtschaftsumfeld brauchen, um sich gut zu entwickeln."

DIRK GOJNY, ANALYST NATIONAL-BANK:



"Solange die deutsche Wirtschaft ihren Schwung behält, hat das Wahlergebnis keine unmittelbaren Folgen. Die Beispiele aus den Niederlanden, Belgien oder Spanien zeigen ja, dass es selbst mit einer kommissarischen Regierung nicht so schlecht gelaufen ist oder läuft."

DAVID FOLKERTS-LANDAU, CHEFVOLKSWIRT DEUTSCHE BANK:



"Merkels größte Herausforderung ist es zunächst, die wahrscheinliche Jamaika-Koalition zu schmieden. Der Graben zwischen den beiden Juniorpartnern, der FDP und den Grünen, ist vor allem in der Sozial-, Europa- und Umweltpolitik tief. In diesen Politikfeldern haben beide Parteien im Wahlkampf deutlich Position bezogen, und ihre Wähler werden erwarten, dass sie nun liefern.

Eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene, deren Prototyp gerade in Schleswig-Holstein die Arbeit aufgenommen hat, ist Risiko und Chance zugleich. Das Risiko liegt offensichtlich in den Unterschieden zwischen den Partnern, zumal die CDU und vor allem die CSU nach dem Wahlergebnis nach rechts driften könnten."

ULRICH LEUCHTMANN, DEVISENANALYST DER COMMERZBANK:



"Mit der FDP wird in der nächsten Regierung voraussichtlich eine Partei vertreten sein, deren politisches Programm vom Markt als Euro-negativ interpretiert wird. Die FDP dürfte sich gegen die Vorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (in Richtung einer stärkeren fiskalischen Integration des Euro-Raumes) stemmen. Nun beurteilt der Markt aber eine weitergehende fiskalische Union als einen Weg, weiterhin bestehende langfristige systemische Risiken des gemeinsamen Währungsraumes zu mildern."

BJÖRN JESCH, LEITER PORTFOLIOMANAGEMENT UNION INVESTMENT:



"Für die Börsen ist das Ergebnis der Bundestagswahl eine faustdicke Überraschung. Stand heute wird Deutschland künftig weder von einer Großen Koalition noch einem schwarz-gelben Bündnis regiert. Stattdessen läuft alles auf eine Jamaika-Koalition hinaus. An den Kapitalmärkten hat damit kaum jemand gerechnet. Politiker und Investoren müssen sich nun gleichermaßen neu sortieren.

Für den Moment ist Unsicherheit das wichtigste Ergebnis dieser Wahl aus Kapitalmarktsicht: Kommt die angestrebte Regierung zustande? Wie wird der Koalitionsvertrag aussehen? Wie stabil wird ein Jamaika-Bündnis sein? Die politischen Vorgaben für die Börsen bestehen dieser Tage vor allem aus Fragezeichen.

Immerhin: Nach Lage der Dinge wird die alte Bundeskanzlerin auch die neue sein. Das dürfte viele, vor allem ausländische Investoren beruhigen. Die Äußerungen der Entscheidungsträger bei CDU/CSU, FDP und Grünen lassen zudem darauf schließen, dass die etablierten Parteien aus staatsbürgerlicher Verantwortung konstruktiv und mit dem Willen zum Erfolg an einer Regierungsbildung arbeiten werden. Je mehr das Bemühen um eine neue Bundesregierung glaubhaft sichtbar wird, umso kleiner werden die Fragezeichen der Investoren. Das werden die Märkte honorieren."

CLEMENS FUEST, PRÄSIDENT DES IFO-INSTITUTS:



"Das Wahlergebnis zeigt, dass Einkommensungleichheit oder mangelnde Gerechtigkeit von der Bevölkerung nicht als Hauptproblem der deutschen Politik angesehen wird. Probleme wie die Innere Sicherheit und Immigration und die Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstands waren offenbar wichtiger. Eine Jamaika-Koalition wäre die angemessene Antwort auf diese Wahl. Die neue Regierung sollte Bildung und Forschung, die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaft, die Energie- und Klimapolitik und die europäische Integration in den Mittelpunkt stellen. Die FDP hat sich klar gegen eine Transferunion in der Euro-Zone ausgesprochen, die Grünen eher dafür. Diese Differenzen in der Wirtschaftspolitik sind aber überbrückbar."

MARTIN MORYSON, CHEFVOLKSWIRT SAL. OPPENHEIM:



"Merkels Position wird aus drei Gründen geschwächt: Erstens hat sie ein per se schlechteres Wahlergebnis, zweitens hat sie es künftig mit zwei schwierigen Koalitionspartnern zu tun - und nicht mehr wie in der Vergangenheit mit nur einem, mit dem zumindest sie sich meist weitgehend einig war. Und drittens schwächt sie das sehr starke Abschneiden der AfD.

Trotz der ganzen Turbulenzen, die das Wahlergebnis und die schwierigen Koalitionsverhandlungen nach sich ziehen werden, bleibt zu hoffen, dass die Koalitionsregierung es schafft, die wichtigen Zukunftsfragen beherzt anzugehen. Bei dem aus wirtschaftlicher Sicht bedeutungsvollsten Thema "Zukunft der Europäischen (Währungs-)Union" liegen die Haltungen der Grünen und der FDP weit auseinander. Sollte Deutschland nicht mit einer klaren Agenda auftreten, könnte das die nächsten Schritte, die unternommen werden müssen, um die EWU krisenfester zu machen, deutlich verlangsamen. Allerdings werden die zentralen Konflikte zwischen FDP und Grünen vermutlich auf Feldern wie Zuwanderung oder Steuerpolitik ausgetragen.

Dass sich fast jeder siebte Wähler für die AfD entschieden hat und mehr als jeder vierte radikal wählt, ist für das stabilitätsorientierte Deutschland ein schlechtes Zeichen. Deutschland erschien immer noch als Fels in der Brandung des Populismus. Dieser Fels hat nun deutliche Risse bekommen."

HOLGER SCHMIEDUNG, CHEFVOLKSWIRT BERENBERG BANK:



"Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind nahezu null. Die Schnittmengen einer Jamaika-Koalition sind nicht so weit von dem entfernt, was wir bisher hatten. Insgesamt gibt es größere Chance auf Steuersenkungen und eine Rentenpolitik, die nicht ganz so teuer ist wie sie es mit der SPD geworden wären. In der Europapolitik erwarte ich eine gewisse Lernphase der FDP. Sie muss sich nach ihrer Zeit in der außerparlamentarischen Opposition hier neu finden. Das Ergebnis wird nah an dem liegen, was Merkel ohnehin vorhat. Jamaika wird Herrn Macron in Frankreich nicht scheitern lassen. Sollte die FDP das Finanzministerium übernehmen, würde ein FDP-Finanzminister nicht wesentlich von dem abweichen, was Schäuble in Europa für Positionen vertritt. Ich glaube, dass sich in der Europapolitik nichts Wesentliches ändern wird."

THOMAS GITZEL, CHEFVOLKSWIRT VP BANK:



"Das eigentliche Erdbeben ist: Die SPD möchte in die Opposition. Was bleibt, ist eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Dreierbündnisse sind schwierig zu bilden und nicht selten instabil. Das muss zwar für eine Jamaika-Koalition per se nicht gelten, doch an den Finanzmärkten könnte es zur Furcht eines politisch nicht mehr ganz so stabilen Deutschlands kommen. Der Euro muss möglicherweise mit Abschlägen rechnen.

Die Regierungsbildung wird wohl zu einem zähen Ringen. Mit einer Jamaika-Koalition kann es auch für Europa unter Umständen steiniger werden. Die FDP steht zwar für eine starke EU, doch einer weiteren Integration wird man bei den Liberalen keinen Freifahrschein ausstellen. Der französische Präsident Emmanuel Macron wünscht sich hingegen ein vertieftes Europa - möglicherweise bläst ihm nun zumindest sanfter Gegenwind aus Deutschland entgegen. Für die Börsen ist der Ausgang der Wahl kein erfreulicher, da es wider Erwarten zu politischen Unsicherheiten kommt. Die politische Agenda eines Dreierbündnisses ist noch völlig unklar. Zu Wochenbeginn dürfte es turbulenter an den europäischen Finanzmärkten zugehen."

OTMAR LANG, TARGOBANK-CHEFVOLKSWIRT:



"Eine CDU-geführte Regierung, zumal mit der als wirtschaftsfreundlich geltenden FDP in der Regierungsverantwortung, wird von den Märkten positiv aufgenommen. Unter einer CDU-geführten Regierung hat der Dax stets größere Kursgewinne erzielt als unter einer SPD-geführten Regierung.

Der Dax wird aufgrund dieses Wahlergebnisses sicher keine Freudensprünge machen, aber er wird auch nicht in die Knie gehen. Die Märkte werden derzeit von anderen Faktoren getrieben als von der deutschen Innenpolitik. Viel relevanter sind die Krise in Nordkorea, die Politik der Notenbanken und die Konjunkturentwicklung in Deutschland und Europa. Und da stehen die Zeichen gut, was etwa die unerwartet positiven Einkaufsmanager-Indikatoren der letzten Woche wieder bewiesen haben."

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:



"Die SPD hat eine große Koalition ausgeschlossen. Nun wird erst einmal über eine Jamaica-Koalition verhandelt. Ob sie kommt, wird man sehen. Kommt sie, kann ich mir nicht vorstellen, dass die FDP eine Europa-Politik mitmacht, die stark auf den französischen Präsidenten Macron zugeht. Eine Bundesregierung mit FDP-Beteiligung wird eine Aufwertung des ESM-Rettungsfonds zu einem Europäischen Währungsfonds nur schwer mitmachen.

Beim Thema Verbrennungsmotor haben zwar alle Parteien unterschiedliche Positionen formuliert, doch könnte es zu einem Kompromiss kommen - mehr Regulierung bei gleichzeitig stärkerer Förderung der Elektro-Mobilität. Auch dürften Steuersenkungen kommen, denn auch die Grünen wollen diese. Da wird man sich einigen können. Eine Bürgerversicherung dürfte dagegen am Widerstand des bürgerlichen Lagers scheitern.

Der große Knackpunkt für eine Jamaica-Koalition ist die Einwanderungspolitik. Hier stehen Grüne und CSU - bildlich gesprochen - auf zwei verschiedenen Planeten."

THOMAS ALTMANN, PORTFOLIOMANAGER QC PARTNERS:



"Unabhängig von der Zusammensetzung der Koalition werden mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble auf jeden Fall zwei erfahrene Hauptakteure aus der Euro-Krise auch der neuen Regierung angehören. Diese Konstanz sollte die europäischen Partner ein Stück weit beruhigen. Auch wenn bei Wolfgang Schäuble noch nicht feststeht, welchen Posten er im neuen Kabinett einnehmen wird.

Eine Regierung, in der die Union und die FDP beteiligt sind, wird die Bürger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steuerlich entlasten. Im Fall einer großen Koalition ist ebenfalls mit Erleichterungen zu rechnen; lediglich die Top-Verdiener dürfen sich hier nicht ganz so sicher sein. Die deutsche Wirtschaft könnte hier von einem Anstieg des privaten Konsums profitieren, die Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum dürften sich jedoch in engen Grenzen halten.

Fazit: Entscheidend für die Bildung einer neuen Regierung dürften die Verhandlungsergebnisse in der Europapolitik werden. Von daher werden nicht nur die Regierungen der südeuropäischen Euro-Staaten die Koalitionsverhandlungen genau verfolgen, sondern auch alle, die in Staatsanleihen dieser Länder investiert sind. Spannend wird, wie die Börsen in Mailand, Madrid, Lissabon oder Athen morgen auf das starke FDP-Ergebnis reagieren. Die Reaktion an den Börsen der südeuropäischen Staaten wird deutlich spannender als die Reaktion an der Frankfurter Börse. Wirtschaftlich dürfte die Frage nach der neuen Koalition für viele südeuropäische Staaten mehr Bedeutung haben als für Deutschland selbst."

UWE BURKERT, LBBW-CHEFVOLKSWIRT:



"Das Ergebnis lässt wohl nur die Möglichkeit einer Wiederauflage der schwarz-roten Koalition oder eine schwarz-gelb-grüne Koalition zu. So oder so werden die Verhandlungen einige Zeit beanspruchen. Wir vermuten, dass ernsthafte Gespräche mit der SPD nicht vor den Landtagswahlen in Niedersachsen am 15. Oktober beginnen. Das Risiko ist, dass eine Blockadepolitik auch von den Wählern in Niedersachsen gegebenenfalls mit Stimmenentzug bestraft werden könnte.

Wir erwarten nach dem Wahlausgang wenig Aufregung an den Märkten. Allerdings könnte mittel- bis langfristig der Trend relativ zum Rest Europas von der neuen Koalition beeinflusst werden. Junckers Rede zur Lage der Union am 13. September und Macrons Ankündigung einer Grundsatzrede zur Europapolitik für den 26. September zeigen, dass sich die Hauptakteure in Stellung bringen. Deutschland dürfte aber mit der erfahrenen Kanzlerin Merkel in dieser Hinsicht gut aufgestellt sein. Die Positionen der Parteien machen zudem deutlich, dass in einer Koalition mit der SPD ein Europäischer Währungsfonds wahrscheinlicher ist als in einer Koalition mit der FDP."