Oft erscheinen Aktien nur dann auf dem Radar von Anlegern, wenn die Kursperformance außergewöhnlich ausfällt. Mit dieser Strategie der relativen Stärke können durchaus hohe Gewinne erzielt werden. Mutige, eher antizyklisch ausgerichtete Strategen setzen hingegen auf Aktien, die gerade nicht in Mode sind und über viel Nachholpotenzial verfügen.

Mit Kursverlusten von rund 25 Prozent seit Mitte April zählen die Papiere von Cancom zu den Enttäuschungen im TecDAX. Sowohl aus charttechnischer wie auch fundamentaler Sicht ist die Aktie nun aber ein Leckerbissen. Im Frühjahr 2014 verlief die Kursentwicklung ähnlich wie dieses Jahr. Damals scheiterte der Kurs ebenfalls an der Marke von 40 Euro und drehte bei 30 Euro wieder dynamisch nach oben. Auch jetzt dürften einige Schnäppchenjäger mit Kauforders an der runden Schwelle aktiv sein und könnten so eine Gegenbewegung einleiten. Eine gute Gelegenheit für eher kurzfristig ausgerichtete Trader. Börse Online siedelt das Kursziel bei 42 Euro an, dass Bankhaus Lampe sieht die Aktie bei 41 Euro. Abgesichert mit einem Stopp bei 27,50 Euro bietet der Wert somit ein starkes Chance-Risiko-Verhältnis von 1,9.

Zieht man die fundamentale Lage hinzu, finden sich genügend Argumente, die Buchgewinne im Bereich um 40 Euro nicht zu realisieren und auf weiter steigende Kurse zu setzen. In den vergangenen Jahren wandelte sich der Konzern erfolgreich von einem Systemhaus mit reinem Hard- und Softwareangebot zu einem wichtigen IT-Dienstleistungsunternehmen und -Komplettlösungsanbieter. Inzwischen können die Münchner nicht nur auf eine etablierte Kundenbasis im deutschen Mittelstand setzen, sondern verzeichnen auch Erfolge bei der eingeleiteten Expansion in den großen US-Markt.

Besonders die Größe erweist sich als Vorteil. Mit derzeit rund 82.000 Unternehmen in Deutschland, die als IT-Dienstleister auftreten, ist der Markt wettbewerbsintensiv und stark fragmentiert. Nach Einschätzung vom Bankhaus Lampe haben aber rund 98 Prozent der Unternehmen einen regionalen Fokus und erzielen Umsätze von weniger als fünf Mio. Euro im Jahr. Kleine Anbieter sind meist nicht in der Lage, auch größere Projekte zu bewältigen. Breiter aufgestellte Konzerne wie Cancom können sich mit günstigeren Einkaufskonditionen und einem umfangreichen Produkt- und Dienstleistungsspektrum aus einer Hand leichter durchsetzen und Aufträge gewinnen. Zudem gewährleisten die rund 30 Standorte in Deutschland und Österreich eine hohe Servicequalität vor Ort, was wiederum die Kundenbindung erhöht. Die Bilanzstärke eröffnet auch gezielte Übernahmen, mit denen die Einkaufskonditionen, dass Angebotsspektrum und die regionale Präsenz weiter verbessert werden.

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Wolke wird zum Wachstumstreiber



Die Ausgangslage ist somit vielversprechend. Noch mehr Fantasie bietet der Cloud-Bereich. Zwar agiert Cancom derzeit noch als klassisches Systemhaus, bei dem rund 70 Prozent der Umsätze im IT-Handelsgeschäft erzielt werden. Cloud-Lösungen gewinnen seit einigen Quartalen aber rasant an Bedeutung. In den ersten drei Monaten stieg der Konzernumsatz um neun Prozent auf 198,2 Mio. Euro. Während im traditionellen Segment IT-Solutions die Erlöse um knapp vier Prozent auf 167 Mio. Euro zulegten, sprang der Umsatz im Cloud-Bereich um 50 Prozent auf knapp 31 Mio. Euro.

In Zukunft wird dessen Bedeutung weiter zunehmen. Gerade die zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen, die bisher ihre IT in Eigenregie betrieben haben, sind aufgrund der steigenden Komplexität und der damit verbundenen Kosten zunehmend dazu gezwungen, externe Partner zu beauftragen. Mit Cloud-Lösungen entfällt der Verwaltungs- und Wartungsaufwand. Anders als bei traditionellen Systemen ist die Cloud unendlich groß und kann beliebig erweitert werden. Als größter Vorteil ist die ständige Verfügbarkeit anzusehen. Anwendungen und Services können von überall aus aufgerufen werden, nur ein Gerät mit Interverbindung ist notwendig. Durch den Siegeszug der Laptops, Tablets und Smartphones wird dieser Faktor immer wichtiger für erfolgreiche, internationale agierende Unternehmen. Die stärkere Unabhängigkeit von Geschäftsprozessen und IT-Ressourcen erhöht die Flexibilität und stärkt somit die Innovationskraft von Cancoms Kunden.

Wenn sensible Daten in die Cloud verlagert werden, begeben sich Unternehmen natürlich in eine starke Abhängigkeit vom jeweiligen Anbieter. Sicherheit, Datenschutz und Vertrauen sind zentrale Kriterien. Cancom kann hier sowohl als etablierter verlässlicher Partner mit zahlreichen Referenzkunden und einer hohen Standortdichte punkten. Nach Schätzung vom Bankhaus Lampe sind aus dem Kundenbestand von Cancom noch rund 8000 Unternehmen als potentielle Cloud-Kunden geeignet. Dank des über Jahre aufgebauten Vertrauensverhältnisses ist die Gewinnung von neuen Cloud-Nutzern aus dem eigenen Kundenbestand für die Münchener natürlich wesentlich einfacher als über Neuausschreibungen.

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Vom Jäger zum Gejagten?



Neue Kunden sind daher der Schlüssel zum Erfolg, um auch längerfristig im zukunftweisenden Geschäftsfeld der Cloud wachsen zu können. Neben dem bereits bestehenden Kundenbestand bieten sich Übernahmen ab. Nach den erfolgten Zukäufen in der jüngeren Vergangenheit ist hier ab dem zweiten Halbjahr durchaus wieder mit Neuigkeiten zu rechnen. Zugleich könnte das TecDAX-Unternehmen nach Meinung von Lampe auch selbst ins Visier größerer Branchenkollegen geraten, die in den lukrativen deutschen Markt einsteigen wollen. Nationale Wettbewerbe wie Bechtle oder die Deutsche Telekom zählen ebenfalls zum erweiterten Kreis der potenziellen Käufer.

Auf Basis der Unternehmensbewertung bietet sich ein Einstieg, sowohl für Privatanleger als auch für Konkurrenten durchaus an. Mit einem 2016er-KGV von 13,1 weist die Aktie einen deutlichen Abschlag gegenüber einer Vergleichsgruppe von Unternehmen wie Bechtle, QSC, Datagroup und Atoss Software auf. Ähnlich günstig erscheint die Aktie auch bei anderen wichtigen Kennziffern wie dem Unternehmenswert im Vergleich zum Umsatz und Ebit.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), Gastautor bei n-tv und gern gesehener Vortragsredner. Er hält regelmäßig Webinare, referierte unter anderem beim Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD) und betreute mehrere Jahre für die Commerzbank den Zertifikate-Newsletter ideas daily. www.index-radar.de