Ein seit Jahrzehnten gebräuchlicher Steuertrick von Banken und großen ausländischen Investoren hat eine politische Debatte über das Geschäftsgebaren der Finanzbranche ausgelöst. Die Institute und ihre Kunden machen sich mit sogenannten "Cum/Cum-Geschäften" offenbar im großen Stil die unterschiedliche Besteuerung von Dividenden bei in- und ausländischen Aktionären zunutze. Nach einem gemeinsamen Bericht des Bayerischen Rundfunks (BR), des "Handelsblatts" und anderer Medien entgegen dem Staat auf diese Weise mehr als eine Milliarde Euro Steuern pro Jahr. Vor allem die Commerzbank, die zu 15 Prozent dem Staat gehört und dem Bericht zufolge bei den Transaktionen besonders aktiv war, geriet unter Beschuss.

"Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass eine Bank, die der Steuerzahler vor wenigen Jahren gerettet hat, dann in so großem Umfang Geschäfte zulasten genau desselben Steuerzahlers macht", sagte der Finanzexperte der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, am Dienstag zu Reuters TV. "Das geht gar nicht." Laut "BR" haben auch zahlreiche andere Geldhäuser aus dem In- und Ausland Cum-Cum-Geschäfte getätigt, unter anderem die Deutsche Bank. Sie betonte wie die Commerzbank, sie halte sich bei ihren Wertpapiergeschäften an die geltenden Steuergesetze. Laut Branchenkennern sind potenziell alle Institute betroffen, die im Wertpapierhandel aktiv sind. Laut Finanzkreisen ist auch die DZ Bank an den Geschäften beteiligt gewesen, allerdings nur in geringem Umfang. Das Institut wollte sich dazu nicht äußern.

ILLEGAL ODER NUR ILLEGITIM?



Die rechtliche Bewertung der Transaktionen ist umstritten. "Um es klar zu sagen: Wir halten die Cum/Cum-Geschäfte für illegitim, weil ihr einziger Zweck ist, die rechtmäßige Besteuerung von Dividenden zu umgehen" sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Strafrechtlich seien sie aber anders als "Cum/Ex"-Geschäfte nicht zu beanstanden. Dabei hatten sich Aktionäre gezahlte Kapitalertragssteuer vom Finanzamt mehrfach zurückerstatten lassen. Oft sei es schwer auseinanderzuhalten, ob es sich bei einer Transaktion um einen Cum-Cum-Deal oder ein "normales" Geschäft handele, hieß es in Finanzkreisen.

Die Bundesregierung arbeitet bereits an einer Änderung der Steuergesetze, die das Schlupfloch rückwirkend zu Jahresbeginn "endgültig" stopfen soll, wie der Sprecher sagte. Ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BGH) aus dem vergangenen Jahr, das bei einem Cum-Cum-Geschäft den Erstattungsanspruch abgelehnt hatte, sei bereits ein "Warnschusses für die einschlägigen Akteure" aus der Finanzbranche gewesen. Derzeit werde geprüft, ob das Urteil rückwirkend auf andere Fälle übertragbar sei. Grünen-Experte Schick hat aber Zweifel, ob die Lücke mit der Gesetzesänderung wirksam geschlossen wird. Auch die neue Vorschrift lasse sich innerhalb eines Konzerns umgehen. "Ich erwarte jetzt, dass der Bundesfinanzminister einen Vorschlag vorlegt, mit dem die Cum/Cum-Geschäfte endgültig beendet werden können." Die Praxis sei seit 1978 gebräuchlich. Es sei unverständlich, warum der Staat nie gehandelt habe.

Die Commerzbank betonte, sie habe sich stets an das Gesetz gehalten, habe aber angesichts der bevorstehenden Änderung bereits seit Jahresbeginn umgesteuert. Bei täglich über 100.000 Handelsgeschäften mit Tausenden Kunden und Banken handele sie "zwangsläufig" in Cum/Cum-Situationen. Darüber hinaus wollte sich Finanzvorstand Stephan Engels nicht äußern. Der stellvertretende Chef der CDU/CDU-Fraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus, sagte zu Reuters, er halte die Transaktionen für nicht legitim, weil sie nur der Steuerminimierung dienten. "Der Rolle der Commerzbank und anderer deutscher Banken werden wir sehr genau nachgehen." Dem Bericht zufolge hat die Bank allein von 2013 bis 2015 rund 250 Mal kurz vor dem Dividendenstichtag große Bestände an Aktien erworben und wenige Tage später wieder abgegeben - ein Indiz für den Steuertrick.

Dabei verleihen ausländische Investoren Aktien vorübergehend an deutsche Banken und entgehen damit der Besteuerung. Ausländische Anleger müssen auf ihre Kapitalerträge - etwa durch Dividenden - pauschal Steuer zahlen. Deutsche Banken können sich die gezahlte Kapitalertragsteuer in der Regel zurückerstatten lassen. Die gesparte Steuer teilen sich beide Partner. Laut dem "Handelsblatt" schwillt das Volumen verliehener Aktien deutscher Unternehmen vor einem Dividendenstichtag bis auf das Neunfache an. Vor allem große Fonds wie Blackrock und Vanguard nutzten das "Cum/Cum"-Modell. Vanguard spreche von einer "weit verbreiteten Praxis", hieß es in dem Bericht. Blackstone wollte sich nicht äußern.

Reuters