Der neue Chef der Deutschen Bank will bei dem skandalgeschüttelten Institut ordentlich aufräumen. Deutschlands größtes Geldhaus sei viel zu komplex und stehe wegen seiner ramponierten Reputation vor immensen Herausforderungen, schrieb John Cryan am Mittwoch in einem Brief an die rund 100.000 Mitarbeiter. Es war sein erster Arbeitstag, die Botschaft flatterte der Belegschaft noch vor 10 Uhr ins Haus. "Ich werde Ihnen nicht sagen, dass in den nächsten Monaten alles harmonisch und ohne Probleme verlaufen wird", erklärte der Brite, der Anfang Juni überraschend zum neuen Konzernlenker berufen worden war und die bisherigen Co-Chefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain beerbt.

Zusammen mit Fitschen, der noch bis zum Frühjahr an Bord bleibt, will Cryan alles daran setzen, dass die Deutsche Bank wieder dorthin zurückkehrt, wo sie seiner Meinung nach hingehört: "Ins Herz der deutschen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft". Der 54-Jährige, der früher Finanzchef bei der Schweizer UBS war, saß schon seit 2013 im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und kennt das Institut. Weithin wird unter ihm eine radikale Abspeckkur erwartet - und der Abbau tausender Stellen. Details dazu soll es erst im Herbst geben.

Der bisherige Co-Chef Jain, den viele Investoren für die teuren Skandale der Bank verantwortlich gemacht haben, ist seit dieser Woche Geschichte. Drei Jahre lang hatte die Doppelspitze glücklos agiert. Sie polsterte zwar die Kapitaldecke auf, aber die Rendite blieb deutlich unter den Erwartungen der Anleger. Diese mussten mehrmals frisches Geld in das Institut pumpen. Der Aktienkurs stagnierte ebenso wie die Dividende, während bei anderen Großbanken in Europa nach radikalen Aufräumarbeiten längst wieder Aufbruchstimmung herrscht.

Bei den Deutsche-Bank-Anlegern regierte am Mittwoch das Prinzip Hoffnung: Mit einem Plus von fünf Prozent lagen die Deutsche-Bank-Titel an der Dax-Spitze, machten damit aber vor allem die jüngsten Verluste wieder wett.

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ROSSKUR MIT SCHMERZEN

In seinem Brief, der auf der Internetseite der Bank veröffentlicht wurde, redete Cryan der Belegschaft ins Gewissen: "Niemand kann versprechen, dass wir nie wieder einen Fehler machen werden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir Probleme entschieden identifizieren, Lösungen finden und diejenigen zur Rechenschaft ziehen werden, die sich falsch verhalten."

Weggefährten beschreiben Cryan, der als "Neuer" auf keine Seilschaften in der Bank Rücksicht nehmen muss, als unprätentiösen Macher. Seine wichtigste Aufgabe ist nun die Umsetzung der "Strategie 2020", die Ende April noch unter der alten Doppelspitze beschlossen wurde. Cryan hat sie im Aufsichtsrat selbst mit auf den Weg gebracht und hält an ihr fest, bittet sich nun aber für die Feinheiten mehr Zeit aus: Details der Strategie sollen nicht wie ursprünglich geplant Ende Juli, sondern spätestens Ende Oktober präsentiert werden.

Kernpunkt ist der Verkauf der Postbank bis Ende 2016, vorzugsweise über einen Börsengang. Nach Cryans Worten sollen die nächsten Schritte "so schnell und effektiv wie möglich" passieren. Die Entflechtung aus dem Konzern hat Insidern zufolge bereits begonnen. Das restliche Privatkundengeschäft der Deutschen Bank, bestehend aus den sogenannten "blauen" Filialen, soll erheblich gestrafft werden. Von den derzeit noch gut 700 Niederlassungen im Heimatmarkt sollen bis 2017 nur noch 500 übrig bleiben. Entsprechend viele Jobs dürften wegfallen. "Das wird schmerzhaft", sagt einer, der mit den Plänen vertraut ist.

Der neue Privatkundenchef Christian Sewing, der am Mittwoch ebenfalls seinen ersten Arbeitstag im neuen Ressort hatte, machte klar, dass es für seinen Bereich ein 'Weiter so' nicht geben kann, weil die Kosten zu hoch sind und immer mehr Kunden ins Online-Banking abwanderten. "Die Deutsche Bank ist leider noch nicht überall dort, wo wir sein wollen", sagte er. "Ich will ein ausgeglichenes Portfolio - nach Ländern, nach Produkten, nach Erträgen."

Auch die Investmentbank wird Federn lassen müssen. Jain, der die Sparte jahrelang selbst geführt hatte, plante zuletzt zwar eher moderate Einschnitte. Cryan machte nun aber klar, dass mehr kommt: "Unser Handelsgeschäft mit Wertpapieren und Derivaten kann nicht mehr so bilanzintensiv sein. Diesen Luxus können wir uns nicht erlauben."

Reuters