Die schwierige Situation hat Spuren hinterlassen. Ungewohnt blass betritt Carsten Kengeter am Donnerstag die Bühne der Veranstaltung des "Handelsblatts". Eine "tiefe Lernerfahrung" sei die gegenwärtige Situation, antwortet der 50-Jährige auf die Frage, ob er es mittlerweile bereuen würde, den Job Mitte 2015 angenommen zu haben. Fast seufzt er dabei. Aus gutem Grund.

Bewusstsein der Politik für Fusion fehlte



In der Finanzszene Frankfurts bezeichnen einige den Mann an der Spitze des deutschen Handelsplatzes bereits als "Dead Man Walking". Sein Dilemma hängt an der versuchten Fusion mit der LSE. Deren Scheitern bedauert er auch heute. Für die Deutsche Börse hätte die Übernahme auf Augenhöhe einen großen Sprung bedeutet, da vor allem das Clearing des Frankfurter Konzern stark skalenabhängig sei und deshalb von anorganischem Wachstum profitiert hätte, begründet er.

"Aber das Bewusstsein für die Vorteile war hier und auf europäischer Ebene nicht vorhanden", sagt Kengeter. Da man Fehler besser bei sich als bei anderen sucht, erklärt er: "Wir hätten die Kommunikation mit Politik und Medien besser vorbereiten müssen." Da sei es zu vielen Missverständnissen und Fehleinschätzungen gekommen. "Wir haben in der Erläuterung des "Warums" Fehler gemacht", so Kengeter. Letztlich sei die Fusion aber daran gescheitert, dass die LSE Auflagen der EU-Wettbewerbskommission nicht erfüllen konnte.

Künftig setze die Deutsche Börse weniger auf Wachstum im Clearing als im Technologie-Bereich. Grenzüberschreitende Fusionen hält er zwar nicht mehr für erstrebenswert. "Klar ist aber, dass die Deutsche Börse im Wettbewerb dynamischer werden muss." Es reiche nicht, sich mit latenter Underperformance zufriedenzustellen, so Kengeter.

Verantwortung für Aktiendeal lag beim Aufsichtsrat



Ein weiterer Grund, weshalb die Personalie Kengeter umstritten ist: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn und die Deutsche Börse, weil er zwei Monate vor Veröffentlichung der Fusionspläne einen Aktienpaket über 4,5 Millionen Euro zu vergünstigten Konditionen angenommen hat. Dabei habe er zum Kaufzeitpunkt bereits Gespräch über die Fusion - die dann auch die Kurse angetrieben hatte - geführt, lautet ein Vorwurf der Ermittler.

Kengeter sieht aber nicht nur sich sondern auch den Aufsichtsrat der Deutschen Börse in der Pflicht. Denn das Gremium habe den Aktiendeal vorher juristisch geprüft und genehmigt. "Wenn ein Angebot des Aufsichtsrats erfolgt, ist es eine moralische Pflicht, das anzunehmen", sagt er. Ansonsten sei das kein gutes Signal.

Bis Mitte September kann sich die Deutsche Börse zu einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten Strafzahlung über 10,5 Millionen Euro äußern. Sollte die Deutsche Börse das Angebot annehmen, bedeute das aber nicht automatisch, dass die Ermittlungen eingestellt würden, betonten die Frankfurter Beamten. Doch vom Ausgang der Ermittlungen hängt Kengeters Zukunft ab. Sein Vertrag läuft im März 2018 aus. Üblicherweise entscheidet der Aufsichtsrat ein halbes Jahr vorher - die Ermittlungen dürften das Verfahren diesmal verzögern. Wie sicher sein Job ist, kann Kengeter nicht beantworten, das sei ja immer schwer für einen Betroffenen. "Aber ich respektiere die handelnden Behörden und warte ab - mehr kann ich, glaube ich, nicht tun."

Darüber hinaus hoffe er aber, dass die Deutsche Börse in Ihrem Handeln nicht blockiert sei. "Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann sind die so gut wie lange nicht."

Auf Seite 2: Einschätzung der Redaktion





Einschätzung der Redaktion



Der Handel zieht nach dem Sommer wieder an, was die Geschäfte der Deutschen Börse stützt. Die Nachwehen der gescheiterten Fusion sind in der Bilanz zumindest ausgestanden. Noch ist die Aktie auf einem günstigen Level.

Empfehlung: Kaufen.
Zielkurs: 110,00 Euro
Stoppkurs: 79,50 Euro