Die Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Deutsche Börse-Chef Carsten Kengeter wegen Insiderhandels kommen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange (LSE) befindet sich ohnehin in einer heiklen Phase.

So müssen für das 25-Milliarden-Euro-Projekt nicht nur die Bedenken der EU-Wettbewerbsbehörden aus dem Weg geräumt werden, die bis Mitte März über den Deal entscheiden will. Darüber hinaus sind die Pläne, den Sitz der geplanten Börsenholding nach London zu legen, in Frankfurt zunehmend auf Widerstand gestoßen, seit Großbritannien seinen Austritt aus der EU erklärt hat. Die Zustimmung der hessischen Börsenaufsicht gilt neben der Prüfung durch die EU-Kommission als größte Hürde für den geplanten Zusammenschluss.

Nun gerät auch noch Kengeter als designierter Vorstandschef der fusionierten Börse unter Druck. "Ich erwarte nicht, dass durch die Ermittlungen das Fusionsprojekt an sich gestoppt wird", sagte Klaus Nieding, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, gegenüber €uro am Sonntag. "Durch den Vorgang könnten jedoch die Interessen der London Stock Exchange im Fusionsprozess weiter gestärkt werden."

Käufe in kritischer Phase



Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag mitgeteilt, dass sie gegen Börsenchef Carsten Kengeter wegen Verdachts auf Insiderhandel ermittelt. Kengeter soll im Dezember 2015, also zwei Monate vor Veröffentlichung der Fusionspläne, in großem Stil Deutsche-Börse-Aktien erworben haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll es bereits seit Mitte 2015 "Gespräche auf Leitungsebene über eine mögliche Fusion und die Sitzfrage der Holding" gegeben haben. Kengeter soll die Aktien "in Kenntnis dieser Gespräche" erworben haben. Dabei geht es um Aktien im Wert von 4,5 Millionen Euro.

Die Deutsche Börse hat die Vorwürfe umgehend zurückgewiesen. Aufsichtsratschef Joachim Faber bezeichnete sie als "haltlos". Kengeter habe den Aktienkauf im Rahmen eines vom Aufsichtsrat beschlossenen und bis Ende Dezember 2015 befristeten Vergütungsprogramms vorgenommen. Erst Ende Januar 2016 hätten sich die Börsenchefs auf die Fusion verständigt, sagte Faber.

Aktien- und Kapitalmarkt-Rechtsexperte Nieding sieht den Vorgang kritischer. "Von einem DAX-30-Konzern muss man erwarten, dass ein solches Programm unverzüglich gestoppt wird, wenn Fusionsgespräche aufgenommen oder angebahnt werden und der Vorstand dadurch Gefahr läuft, in einem sensiblen Zeitraum Aktien zu kaufen." Gerade die Deutsche Börse habe mit Blick auf ihr Kerngeschäft, den ordentlichen Börsenhandel, dafür zu sorgen, dass keine solchen Konfliktsituationen entstehen, erklärt Nieding.

Der Aufsichtsrat, so sagen Experten, habe mit dem befristeten Programm Kengeter langfristig und mit eigenem Geld an das Unternehmen binden wollen, um die Interessen des Unternehmens und des Managers in Einklang zu bringen. Kengeter habe im Sinn dieser Vorgabe und mit Billigung der Rechtsabteilung gehandelt - allerdings zur Unzeit, und wohl ohne die nötige Sensibilität hinsichtlich möglicher Konsequenzen seines Verhaltens.

Der Vorgang zeigt nach Einschätzung von Vergütungsexperten die zunehmende Brisanz aktienbasierter Vergütungssysteme. Das Risiko, öffentlich unter Beschuss zu geraten, ist in einem solchen Umfeld deutlich gewachsen.