Der Ölpreis ist bekanntlich so niedrig wie lange nicht. Und weil das so ist, sollte doch mehr Geld in den Portemonnaies der Verbraucher zu finden sein, schließlich spart man beim Heizen und an der Tankstelle. Dennoch nimmt angeblich der Konsum auf dem Globus im Großen und Ganzen nicht zu. Zumindest hört man diese These immer wieder. Und weil das so sei, blieben die Wachstumsraten schwach.

Aber ist das wirklich so? Überall? Nein, ist es nicht. Zumindest in Osteuropa hört man von obigem Mantra nichts. Im Gegenteil. Das, was in den Ländern zwischen der polnischen Ostseeküste und der bulgarischen Schwarzmeerküste an Energiekosten gespart wird, das wird an anderer Stelle ausgegeben. Der Konsum nimmt zu.

Lohn des Ganzen: Das Wirtschaftswachstum in den ehemaligen kommunistischen Ländern Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien und Slowakei liegt im Schnitt bei knapp vier Prozent - so hoch wie zuletzt 2008. Und es ist recht ausgewogen verteilt, echte Ausreißer nach oben oder unten gibt es nicht. Tschechien liegt mit 4,8 Prozent vorn, gefolgt von der Slowakei mit 4,2 Prozent Plus. Bulgarien hält die rote Laterne, schafft aber immerhin auch noch ein Plus von 3,1 Prozent.

Das ist nicht übel für eine Region, die eingequetscht ist zwischen dem rezessionsgeplagten Russland, das seinerseits mit der Ukraine im Clinch liegt, sowie dem westlichen Teil der Eurozone, mit dem wiederum gerade die vier Visegrád-Nationen Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn in der Flüchtlingsfrage nicht zu einer Einigung kommen wollen.

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Überschuss statt Defizit



Und trotzdem das erstaunliche Wachstum, das zudem nicht auf Kosten von neuen Defiziten zustande kommt. Im Gegenteil: Sowohl die Staatsverschuldung wie auch die Verschuldung der Privathaushalte ist stabil. Es werden gar Überschüsse in den Staatshaushalten geschafft. Gleichzeitig liegt die Inflation bei unter einem Prozent. "Ich beobachte die Region nun schon seit 15 Jahren, und so eine günstige Konstellation gab es bislang nicht", sagt Marcus Svedberg, Chefökonom der Fondsgesellschaft East Capital. Erstaunlich ist das Wachstum auch deshalb, weil die Haupthandelspartner in der Europäischen Union teilweise mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben. Gut zu sehen ist diese Diskrepanz auch an den Aktienmärkten: Die Börse in Bratislava ist seit Jahresbeginn mit elf Prozent im Plus, Budapest mit sieben Prozent und Warschau mit drei Prozent. Zum Vergleich: Der DAX steht noch - trotz der jüngsten Avancen - mit minus neun Prozent seit dem Jahreswechsel da.

Und trotzdem scheinen die Börsen in Osteuropa bisweilen in einem Dornröschenschlaf versunken - anders als noch vor zehn Jahren als die sogenannte "Konvergenzfantasie" zum geflügelten Wort wurde und Osteuropa-Investments geradezu schick waren. Das änderte sich dann während der Finanzkrise, als die Märkte im Osten besonders gebeutelt wurden und viele Banken im Feuer standen.

Dies ist nun besser geworden: Der Bankensektor hat konsolidiert, die Kreditvergabe steigt und ufert dennoch nicht aus, die Notenbanken in den Nicht-Euroländern agieren vernünftig, und dann sind da eben noch die Konsumenten, die den billigen Ölpreis nutzen und das Geld an anderer Stelle verkonsumieren. Man könnte sich ein Beispiel dran nehmen.

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Die Krux mit dem Spread



Und es gibt ja auch durchaus interessante Aktien aus der Region. Aus Polen etwa KGHM Polska Miedź, ein Bergbauunternehmen mit Sitz in Lubin, das Kupfer, Silber, aber auch Gold, Blei und Steinsalz abbaut. Das Unternehmen mit 19 000 Mitarbeitern ist mit einer Jahresförderung von durchschnittlich 1200 Tonnen der bedeutendste Silberproduzent der EU. Die Aktie wird auch an deutschen Börsen gehandelt, allerdings muss man in Kauf nehmen, dass der Spread zwischen Kauf- und Verkaufspreis derzeit bei knapp unter fünf Prozent liegt - vielleicht auch ein Grund für den Dornröschenschlaf mancher Ost-Aktien.

In Ungarn gefällt Magyar Telekom, das führende Telekommunikationsunternehmen des Landes - Hauptaktionär ist mit 60 Prozent Anteil übrigens die Deutsche Telekom. Der Gewinn des Unternehmens hat sich zuletzt verdoppelt. Außerdem peilt man in Budapest zum ersten Mal seit Längerem wieder eine Dividendenzahlung an. Auch positiv: Der Spread liegt bei erträglichen 2,5 Prozent.

In Tschechien wiederum ist die Aktie von Unipetrol spannend. Das Unternehmen ist führend in der Petrochemie, wurde 1994 gegründet und ist im Mehrheitsbesitz des größten europäischen Ölverarbeiters, des polnischen Mineralöl- und Tankstellenunternehmens PKN Orlen. Hauptgeschäftsfelder von Unipetrol sind die Verarbeitung von Rohöl, der Treibstoffhandel und die Herstellung petrochemischer Produkte. Wie bei Magyar Telekom wird es zur nächsten Hauptversammlung auch wieder eine Dividende geben, die in den kommenden Jahren kontinuierlich steigen soll. Ein sehr gutes Argument für die Aktie. Und für ein Ende des Dornröschenschlafs an Osteuropas Börsen.



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