Die 100-Tage-Bilanz, die man gerne bei neuen Vorstandschefs zieht, fällt bei John Cryan schwer. Seit dem 1. Juli steht er an der Spitze der Deutschen Bank. In zwei "Klartext"-Briefen an die Belegschaft hat er die verschwenderisch hohen Kosten angeprangert. Hinter den Kulissen führte er unzählige Gespräche mit Führungskräften, um das Ausmaß der Krise bei Deutschlands größtem Geldhaus überhaupt erst einmal zu verstehen. Auch einige "Mitarbeitertreffen" gab es, um sich persönlich vorzustellen. Etwas fehlte jedoch: Der öffentliche Auftritt. Keine Interviews, keine Investoren-Gespräche. Der Brite, der als Sanierer angetreten ist, macht sich nach außen rar. Welche Lösungen der frühere Finanzchef der Schweizer UBS für die Probleme in Frankfurt parat hat, das dürfte erst Ende Oktober klar werden.

Spätestens dann will Cryan die mit Spannung erwarteten Details der künftigen Konzernstrategie vorstellen. Der Countdown läuft. Den "heißen Herbst" hat die Deutsche Bank mit Credit Suisse und Standard Chartered gemeinsam, wo mit Tidjane Thiam und Bill Winters ebenfalls neue Manager an der Spitze stehen. Sie alle gingen ungefähr zeitgleich an den Start - jetzt wartet der Markt auf erste Ergebnisse. "Das sind alles große Kaliber", sagt ein hochrangiger Banker. "Aber sie müssen sich beeilen und Entscheidungen über ihre Geschäfte und Regionen treffen - noch während sie sich in die Themen einarbeiten." Investoren haben früh angemahnt, wer zuerst seine Karten aufdeckt, sei im Vorteil. Denn möglicherweise gebe es zwischen den drei Instituten einen Wettlauf um weiteres frisches Kapital - falls die angekündigten Schrumpfkuren alleine nicht reichen.

Wer also wagt sich zuerst aus der Deckung? Nach aktuellem Stand will Thiam den Anfang machen: Er hat angekündigt, die neue Strategie der Credit Suisse bereits am 21. Oktober zu enthüllen. Die Deutsche Bank könnte eine Woche später folgen, die Quartalszahlen sind für den 28. Oktober angesetzt. Standard Chartered dagegen kommt wohl erst Anfang Dezember. Eines zeichnet sich jetzt schon ab: Alle drei Geldhäuser stehen vor tiefen Einschnitten, weithin wird der Abbau tausender Stellen erwartet. Denn Deutsche Bank, Credit Suisse und Standard Chartered wurden von der Konkurrenz abgehängt. Die Rendite ist schwach, die Altlasten sind hoch. Die neuen Männer an der Spitze - alle Anfang 50 - müssen aufräumen, das Geschäft fokussieren, die Kapitaldecke nachhaltig stärken. Nur dann können sie das Vertrauen der Großinvestoren und Regulierer zurückgewinnen. Der Status-quo ist keine Option, wie Cryan es formuliert hat.

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KEIN VERTRAUENSVORSCHUSS



Bei der Deutschen Bank dürften der bereits beschlossene Verkauf der Postbank über die Börse, die Ausdünnung des verbleibenden Privatkundengeschäfts und die Verschlankung der Investmentbank dazu führen, dass von den weltweit 100.000 Mitarbeitern in den nächsten Jahren noch maximal 75.000 übrig bleiben. Das verlautete Mitte September aus Finanzkreisen. Dabei stehen auch viele der 20.000 Stellen zur Disposition, die die Bank in Niedriglohnländern aufgebaut hat, wie mehrere Insider Reuters sagten. Analyst Kian Abouhossein von JP Morgan würde es begrüßen, wenn die Bank unter Cryan nicht mehr nur halbherzig spart, wie er in einer Kurzstudie schreibt. Aber der Vertrauensvorschuss der Anleger sei gering: "Das Kosten-Management der Deutschen Bank ist traditionell schlecht." Und in der Tat: Nach Konzernangaben sind mehr als 40.000 Mitarbeiter mit Verwaltungstätigkeiten ohne Kundenkontakt beschäftigt. Hinzu kommen unzählige externe Berater.

Bei Credit Suisse hat der neue Vorstandschef Thiam bislang erst grob angedeutet, wohin die Reise gehen könnte. Viele Jahre führte er den britischen Versicherer Prudential. Jetzt will er die zweitgrößte Schweizer Bank ähnlich umkrempeln: Rückzug aus Bereichen, die viel Kapital verschlingen, Fokus auf Wachstumsregionen wie Asien. Am Ende könnte die Vermögensverwaltung im Konzern eine noch größere Rolle spielen. Die Erwartungen der Investoren sind hoch: "Das ist ein CEO mit einer sehr starken Erfolgsbilanz", lobt Fondsmanager Guy de Blonay vom Vermögensverwalter Jupiter, der Aktien an Credit Suisse hält. Dass man trotz starker Wachstumsraten in den Schwellenländern das Sparen nicht aus den Augen verlieren darf, zeigt indes das Beispiel Standard Chartered. Die britische Großbank soll unter Winters abspecken. Er führte einst die Investmentbank von JP Morgan und hat in seiner neuen Rolle angekündigt, "harte Entscheidungen" nicht zu scheuen.

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GEHEIMZIRKEL



In allen drei Geldhäusern ist die Unsicherheit groß. Bei der Deutschen Bank bangen etliche Manager um ihre Zukunft, denn weithin wird erwartet, dass Cryan den Vorstand erneut umbaut und das erweiterte Führungsgremium eine Ebene darunter entmachtet. "Viele Leute sind sehr nervös", berichtet ein Insider. Das dürfte auch für Credit Suisse und Standard Chartered gelten. Cryan, Thiam und Winters haben bislang nur in sehr kleinen Zirkeln ihre Ideen diskutiert. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bank etwa tagte Mitte September drei Tage am Tegernsee, um Cryan zu lauschen.

Eines fiel dabei auf, berichtete ein Insider: Cryan trete inzwischen viel offensiver auf, habe von 'Zuhören" auf 'Ansagen' geschaltet. Bei der vorletzten Aufsichtsratssitzung Ende Juli in New York habe er noch die meiste Zeit geschwiegen und sich viele Notizen gemacht. Am Tegernsee habe er nun stundenlang Tacheles geredet. Eine leise vorgetragene, aber messerscharfe Problemanalyse. Vieles spricht dafür, dass er die Probleme bald entschieden angeht.

Reuters