BÖRSE ONLINE: Herr Vogel, im ersten Quartal belastete der Tropensturm "Debbie" und eine Gesetzesänderung in Großbritannien die Bilanz der Hannover Rück. Im zweiten Quartal gab es offenbar keinen so großen Schaden. Wie zufrieden sind Sie mit dem ersten Halbjahr?


Roland Vogel: Wir sind gut ins Jahr gestartet, wir sind aktuell sogar sehr zufrieden. Durch "Debbie" und einige andere Großschäden war die Naturkatastrophenlast zwar höher als im Vorjahr. Aber sie lag noch immer unter unserem Budget.

Was ist mit dem Großbrand in London vergangene Woche?


Nach derzeitigem Stand rechnen wir hier nicht mit einer größeren Belastung.

Das Ziel von einem Gewinn von mehr als einer Milliarde Euro für 2017 steht also?


Auch im zweiten Quartal gab es noch keine herausragenden Großschäden. Auch der Kapitalmarkt hat gut mitgespielt. Wir sind also aktuell auf einem gutem Weg, unser Ziel, einen Gewinn von einer Milliarde Euro zu erreichen.

Aber es gibt durchaus Gegenwind von der Zinsseite. Sichere Anlagen wie Staatsanleihen werfen fast keine Rendite mehr ab. Warum investieren Sie noch immer den Großteil der Anlagen in festverzinsliche Wertpapiere?


Weil sonst die Anforderungen an das Risikokapital deutlich steigen würden. Staatsanleihen sind die einzigen Anlagen, die praktisch kein Risiko haben. Außerdem legen wir unser Kapital währungskongruent an...

... das heißt, Sie legen die Kapitalanlagen auch im ursprünglichen Währungsraum an...


Aktuell entfallen 30 Prozent der Prämien auf den Euroraum: Dort, wo die Zinsen besonders niedrig sind. Aber 70 Prozent sind außerhalb des Euro - im Wesentlichen im Dollar - investiert.

An den Aktienmärkten winken deutlich höhere Renditen. Wieso stocken Sie die Aktienquote nicht auf?


Wir müssen unser Kapital so anlegen, damit wir sicherstellen, dass wir das Geld zum fälligen Datum auszahlen können. Wenn ich die Aktien dann verkaufen müsste, wenn sie gerade deutlich an Wert verloren haben, wäre das gegebenenfalls fatal. Dazu kommen noch die Kapitalanforderungen nach Solvency II. Für Aktienanlagen müssen wir sechs bis acht mal so viel Eigenkapital vorhalten wie für festverzinsliche Wertpapiere. Damit müssten die Papiere auch sechs bis acht mal so viel Gewinn abwerfen, um die gleiche Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften. Deshalb sind wir bei Aktien zurückhaltend. Das gilt im Übrigen weitgehend für die gesamte Branche.

Aber Wettbewerber wie die Münchener Rück legen rund sechs Prozent in Aktien an, Sie nur zwei Prozent. Fehlt Ihnen der Mut zum Einstieg?


Unser Ziel ist eine Quote von vier bis sechs Prozent. Wir würden aber erst dann investieren, wenn sich echte Einstiegsgelegenheiten bieten. Wir haben das ja in den vergangenen beiden Jahren bereits gemacht: Jeweils in Phasen, in denen die Aktienkurse deutlich gesunken waren.

Sie warten also auf eine Korrektur?


Ja, wir würden investieren, wenn sich günstige Einstiegskurse ergeben. Im Moment laufen die Indizes auf Rekordniveau, die Aktienmärkte boomen.

Rechnen Sie mit einer Korrektur an den Börsen?


Solange die Zinsen so niedrig sind, werden die Aktienkurse weiter unterstützt, da Kapital in die Märkte fließt. Ich glaube nicht, dass wir aktuell bereits eine Aktienblase haben und dass die Kurse stark nach unten korrigieren. Darüber hinaus scheinen die Aktienmärkte relativ resistent gegen Nachrichten zu sein - als wäre es egal, wer gewählt wird oder was gerade in der Welt passiert.

Wo sehen Sie die größten Risiken für die Finanzmärkte?


In den politischen und geopolitischen Unsicherheiten: Die Krisen in Nordkorea und im Nahen Osten, die Auseinandersetzung mit Russland, die Wahlen in Europa, die Verschuldung von Griechenland oder Italien. Ich glaube auch, dass diese Aspekte aktuell relevanter sind als wirtschaftliche Faktoren wie Währungskurse, Zinsen oder Bruttosozialprodukte. Wahrscheinlich brauchen wir in Zukunft keinen Chef-Volkswirt mehr, sondern einen Polit-Soziologen, um unsere Investitionsentscheidungen zu treffen. (lacht)

In welche Aktien würde die Hannover Rück investieren?


Wir wollen breit gestreut in den Markt gehen: unterschiedliche Währungen, Länder und Branchen. Ein Teil des Kapitals würde sicherlich in Dividendenwerte fließen. Eine Konzentration oder gar eine Wette auf ein bestimmtes Segment verbietet sich.

Sie investieren auch in Private Equity - mit zwei Prozent genauso viel wie in Aktien. Ist hier die Ausfallquote nicht höher als bei Dax-Schwergewichten?


Die Risiken sind höher. Entsprechend erwarte ich einen höheren Ertrag. Bei den sogenannten "Blue Chips" rechne ich mit einer Rendite von sechs bis acht Prozent, im Private Equity-Bereich mit deutlich mehr. Damit erwirtschaften wir im Schnitt knapp zweistellige Renditen. Wir würden aber in Private Equity nicht mehr Kapital investieren als die bestehenden zwei Prozent. Bei den Aktien wären wir dazu bereit.

Auf Seite 2: Wann kommt die Zinswende?





In den USA hat die Zinswende schon begonnen, in der Eurozone sind die Leitzinsen noch immer auf dem Rekordtief von null Prozent. Wird die Hannover Rück in Zukunft mehr in den USA investieren?


Nein, wir betreiben keine Währungsspekulation. Wie viel wir in den USA anlegen, wird von unseren versicherungstechnischen Verpflichtungen und nicht von Zinsdifferenzen bestimmt. Mehr als die Hälfte unseres Rückversicherungsgeschäftes und damit auch unserer Kapitalanlagen sind im US-Dollar. Durch die höheren Zinsen in den USA steigt aktuell die durchschnittliche Verzinsung unseres Portfolios.

Werden Sie mehr Versicherungen in den USA zeichnen, um mehr am Kapitalmarkt investieren zu können?


Nein. Dadurch, dass die Zinsen in den USA höher sind, wird nicht automatisch das Rückversicherungsgeschäft profitabler.

Wann erwarten Sie die Zinswende in Europa?


Das wird noch dauern. Denn dafür sind die Probleme, die speziell in den südeuropäischen Ländern durch die Verschuldung entstehen, noch zu groß. Ich würde mich freuen, wenn die EZB den gleichen Mut hätte wie die Fed und die Zinsen langsam erhöht. Das wäre für uns das richtige Szenario. Wir stellen uns aber darauf ein, dass die Niedrigzinsphase im Euroraum noch fünf bis zehn Jahre dauern kann.

Die EZB kauft Anleihen im Umfang von 60 Milliarden Euro im Monat, noch bis mindestens Dezember. Wann erwarten Sie das Ende dieser Käufe?


In den kommenden Jahren wird sich die Geldpolitik wohl nicht grundlegend ändern. Ich hoffe, dass die EZB die Anleihenkäufe zurückfährt. Aber damit sind sie ja noch nicht gänzlich eingestellt. Falls es dann zum Beispiel neue Probleme mit dem Wachstum gäbe, würde die EZB relativ schnell wieder damit beginnen.

Die aktuelle Lage ist ziemlich kompliziert: Der Leitzins in der Eurozone bleibt vorerst auf dem Rekordtief. Die Anleihenkäufe gehen noch weiter. Sie können oder wollen nicht an den Aktienmarkt. Die Großschäden könnten stark zunehmen. Wie lange halten Sie das überhaupt noch durch?


Die niedrigen Zinsen gibt es nicht erst seit gestern, dennoch erzielten wir in den vergangenen fünf Jahren jeweils ein Rekordergebnis. Das lag auch daran, dass es zuletzt wenige Naturkatastrophen gegeben hat. Aber wir hatten eine Kapitalanlagerendite von rund drei Prozent. Wenn uns das weiter gelingt, dann erreichen wir unsere Margen auch im Niedrigzinsumfeld.

Aber wie wollen Sie das anstellen?


Über den Preis: Wir erneuern den Großteil unseres Geschäftes einmal im Jahr. In diese Verhandlungen geht auch immer das jeweilig gültige Zinsniveau mit ein. Bei niedrigen Zinsen steigen unsere Preise. Und wir rechnen damit, auf dem Kapitalmarkt mindestens 2,7 Prozent zu erzielen. Damit sollten wir unsere Gewinnziele auch in Zukunft erreichen.

Damit würden Sie unter dem Wert von den letzten Jahren liegen. 2015 hatten Sie eine Kapitalanlagerendite von 3,5 Prozent, im vergangenen Jahr noch drei Prozent.


Wir haben im ersten Quartal des laufenden Jahres bereits 3,1 Prozent erwirtschaftet. Dabei haben wir aber von Sonderausschüttungen im Private Equity Bereich profitiert. Und 2015 hatten wir mit 3,5 Prozent ein außerordentliches Ergebnis. Das Volumen der Kapitalanlage steigt, unterstützt durch einen hohen positiven Cashflow. Wenn wir eine laufende Rendite von 2,7 Prozent erzielen und wie auch in den Vorjahren von Verkäufen profitieren, dann rechnen wir mit steigenden Gewinnen.

Trotz der niedrigen Zinsen in der Eurozone?


Trotz der niedrigen Zinsen. Es ist eben wichtig, dass wir diese in unseren Preisen berücksichtigen. Positiv ist, dass auch in unserem stärksten Markt in den USA die Zinsen wieder steigen.

Und was, wenn die Zinsen in der Eurozone wieder steigen?


Wenn sie stark steigen, würde das durchaus zu Problemen für die Versicherungswirtschaft führen.

Nämlich?


Steigende Zinsen gehen mit niedrigen Marktwerten für Festverzinsliche Papiere einher. Das belastet dann vor allem das Eigenkapital und reduziert entsprechend die Solvenzquote, also das Verhältnis von Eigenkapital zu Verpflichtungen. Wenn zum Beispiel die Zinsen in allen Währungen um 0,5 Prozent nach oben gehen würden, dann würden wir vor Steuern 800 Millionen Euro verlieren. Und 50 Basispunkte sind nicht so viel.

Sichern Sie sich gegen den Zinsanstieg ab?


Wir haben die Szenarien durchkalkuliert, unsere Solvenzquote stünde auch durch einen massiven Zinsanstieg nicht in Frage. Wir würden trotzdem Eigenkapital verlieren. Aber wir sehen dadurch auch Gelegenheiten: Denn der Rückgang der Eigenkapitalbasis in der Erstversicherung wird die Nachfrage nach Rückversicherung stärken; wir würden dann Erstversicherern, die durch die geschwächte Eigenkapitalbasis in Probleme gerieten, Rückversicherungen verkaufen.

Haben Sie denn vor, andere Unternehmen zuzukaufen, um die Kosten zu senken?


Nein, wir haben im Moment keine konkreten Akquisitionspläne. Die wenigen Kandidaten am M&A-Markt sind sehr teuer. Und die Rückversicherungspreise sind im Moment unter Druck. Das Geschäft, das wir jetzt kaufen würden, wäre nicht so profitabel, dass sich der hohe Kaufpreis damit rechtfertigen ließe.

Auf Seite 3: Warum kein Aktienrückkaufprogramm?





Bei der Bilanzpressekonferenz im März sagten Sie, lieber eine Sonderdividende ausschütten zu wollen, als Aktien zurückzukaufen. Wettbewerber wie die Allianz oder die Münchener Rück machen das derzeit. Was haben Sie gegen Aktienrückkaufprogramme?


Ein Aktienrückkaufprogramm und eine Sonderdividende haben den gleichen Effekt. Rein psychologisch fällt es mir aber ein wenig schwer, den Kauf eigener Aktien als etwas ausschließlich Positives darzustellen.

Aber steigt damit nicht der Gewinn je Aktie...?


Das ist die Theorie. Aber ich sende die Botschaft, dass ich mit dem Geld der Anleger nichts mehr anfangen kann. Das Kapital habe ich von meinen Aktionären bekommen oder durch Rücklagen gebildet, weil ich es vermehren wollte. Erst wenn mir das nicht mehr gelingt, kaufe ich Aktien zurück.

Sie schütten das Kapital doch seit 2015 über eine Sonderdividende aus?


Ja, aber dann immer als Teil des Gewinns. Wir haben unsere Auszahlungsquote erhöht. So lassen wir unsere Aktionäre zu einem erhöhten Anteil am Erfolg teilnehmen.

Was wollen Sie dann in der Zukunft mit dem Kapital anfangen?


Wir wollen wachsen.

Wie?


In den Märkten steckt noch viel Potential: Wir hatten jetzt fünf Jahre mit wenig Großschäden. Zusätzlich ist durch die niedrigen Zinsen Geld von neuen Wettbewerbern in die Rückversicherung geflossen. Damit ist die Konkurrenz hoch und die Preise stehen unter Druck. Wenn aber die Zinsen auch in Europa steigen, wird dieses Kapital wieder in andere Märkte abfließen. Wenn dann noch die Großschäden zunehmen, werden die Preise wieder nach oben gehen. Dann wollen wir überproportional wachsen.

Wie reagiert die Hannover Rück auf das Brexit-Votum?


Wir werden auch weiterhin unsere Verbindlichkeiten in Großbritannien mit Anlagen im britischen Pfund abdecken. Wenn der Kurs fällt, werden auch unsere Verpflichtungen weniger wert. Das britische Pfund bleibt für uns wichtig. Denn unser gesamtes Portfolio ist zu zehn Prozent davon geprägt.

Was kann sich durch den Brexit für Ihr Geschäft ändern?


Durch den Brexit könnten wir in Großbritannien einen weiteren Aufseher bekommen. Das würde uns aber nicht massiv beeinträchtigen, das haben wir in anderen Nicht-EU-Ländern auch. Im Moment überwacht der EU-Gruppenaufseher, die deutsche Bafin, unser britisches Geschäft. Es ist auch fraglich, welche Zulassung für Großbritannien dann erforderlich sein wird. Eine Drittland-Zulassung würden wir aber sicherlich erhalten können. Wir könnten zudem zusätzliches Eigenkapital vor Ort vorhalten müssen. Wir gehen aber davon aus, dass wir auch in Zukunft in Großbritannien arbeiten können.

Was aber, wenn es wirklich zu dem so genannten harten Brexit kommt?


Dadurch müssten wir auf die genannten Vorteile - kein weitere Aufseher, keine zusätzliche Zulassung, kein zusätzliches Eigenkapital - verzichten, was schade wäre. Wir hoffen, dass es fruchtvolle Verhandlungen geben wird. Aber wenn nicht, würde die Welt nicht untergehen. Der Brexit wird unser Geschäft wohl nicht nachhaltig beeinflussen.

Zur Person: Roland Vogel (57) kam 1989 zur Hannover Rück. Nach verschiedenen Stationen in der Revision und als Zentralleiter des Bereichs Finance and Accounting stieg er im April 2009 zum Finanzchef und stellvertretenden Vorstandsmitglied auf. In dieser Position ist der Diplom-Ökonom für die Bilanz, das Rechnungswesen und die Kapitalanlagen des Unternehmens verantwortlich. Seit 2011 sitzt er im Vorstand.