Ob das Land dadurch aber in eine bessere Position bei Verhandlungen für weitere Hilfen kommt oder näher an ein Ausscheiden aus dem Euro-Raum heranrückt, blieb am Sonntagabend offen. Mit Spannung wird nun zunächst auf die nächsten Stunden geblickt: So ist unklar, ob die von Rezession und Rekordarbeitslosigkeit geplagten Griechen am Montag noch an ihre Guthaben kommen oder ob den Banken das Geld ausgeht. Für die Aktienmärkte, etwa beim Dax, wurden Kurseinbrüche vorhergesagt. Der Euro sackte nach dem Ergebnis rund 1,5 Prozent auf unter 1,10 Dollar ab.

Bei dem Referendum lehnten nach vorläufigen Zahlen 61 Prozent der Bürger Bedingungen ab, die Europäische Union (EU), Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) im Gegenzug für weitere Kredite gemacht hatten.

Tsipras sagte in einer Fernsehansprache, das griechische Volk habe eine mutige Entscheidung getroffen, die seine Verhandlungsposition stärke. Er wolle nun ohne Zeitverzug eine tragfähige Lösung in dem Streit aushandeln. Allerdings liege auch seine Forderung eines Schuldenschnitts auf dem Tisch. Die anderen Euro-Länder hatten im Vorfeld klar gemacht, dass sie nicht an dem Prinzip rütteln würden, Hilfe nur im Gegenzug für Reformen zu leisten. Auch einen bedingungslosen Schuldenerlass lehnen sie ab. Ohne schnelle Einigung ist eine Staatspleite aber kaum noch zu verhindern.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte für Montagmorgen ein Telefonat mit EZB-Präsident Mario Draghi, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und EU-Ratspräsident Donald Tusk an. Eine entscheidende Frage ist, ob Griechenland schnell weiter mit frischem Euro-Geld versorgt wird und damit die Einführung einer Parallelwährung vermeiden kann, die faktisch ein Ausscheiden aus der Euro-Zone bedeuten würde. Insidern zufolge wird die EZB die "ELA" genannten Nothilfen an Hellas-Banken trotz des "Neins" bei dem Referendum wohl nicht stoppen.

Ohne die Hilfen drohen die Institute auszubluten, da Unternehmen und Privatleute wegen der Unsicherheit, ob das Land im Euro bleiben kann, massiv Gelder von ihren Konten abgezogen haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande telefonierten am Sonntagabend und sprachen sich für einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone bereits am Dienstag aus. Beide seien sich einig, dass das Votum der Griechen respektiert werden müsse, sagte ein Regierungssprecher.

Bei mehreren Politikern von CDU, CSU und SPD stieß das Nein der Griechen auf harsche Kritik. Sie bezweifelten, dass das Land nun noch in der Euro-Zone bleiben könne. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, er sehe nun kaum noch Chancen auf einen Kompromiss mit der Regierung in Athen. Etliche CDU- und CSU-Politiker wandten sich dagegen, Tsipras Kompromisse anzubieten. Damit wird die nötige Zustimmung im Bundestag schwieriger, die es für ein neue Hilfen geben müsste. Denn ein neues Paket kann nur unter dem Rettungsschirm ESM beschlossen werden und dafür müsste der Bundestag nicht nur dem Abschluss, sondern bereits der der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen.

Führende deutsche Ökonomen sehen Griechenland nach dem "Nein" im Referendum denn auch auf dem Weg aus dem Euro. "Es läuft auf einen Grexit hinaus", sagte BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels am Sonntagabend der Nachrichtenagentur Reuters. Die Eurogruppe habe die Wahl, "entweder das Gesicht zu verlieren und nachzugeben oder den Grexit zu riskieren und unbekanntes Terrain zu betreten". Holger Schmieding, Chefökonom der Berenberg Bank, sagte Reuters, die griechische Regierung habe die Wirtschaft so gelähmt, dass der Finanzbedarf des Landes von Woche zu Woche steige. "Das macht es den Gläubigern sehr, sehr schwer, etwas anzubieten, das ausreichen könnte." Auch die US-Bank JP Morgan erklärte, für sie sei es nun wahrscheinlicher, dass Griechenland den Euro verlasse als dass das Land die Gemeinschaftswährung behalte. Die Analysten von IHS Global teilten mit, aus ihrer Sicht bestehe die einzige Hoffnung auf eine Lösung darin, dass der IWF die Regierungen der Euro-Länder überzeuge, Griechenland für die Zukunft einen Schuldenschnitt zuzusagen, wenn das Land bestimmte Ziele erreiche.

Eine "neue Drachme" würde Währungsexperten zufolge gegenüber dem Euro vermutlich um bis zu 80 Prozent abwerten. Damit wären alle in Euro gehaltenen Schulden noch viel schwieriger zu bedienen und auch die Importe würden sich schlagartig verteuern. Einige Ökonomen erwarten langfristig aber Vorteile, weil Griechenland dann Produkte im Ausland günstiger anbieten kann.

Schon Ende Juni konnte Griechenland einen Milliardenkredit an den IWF nicht zurückzahlen. In zwei Paketen wurden seit 2010 fast 240 Milliarden Euro nach Athen überwiesen. Deutschland bürgt direkt für 53 Milliarden Euro und indirekt für weitere Risiken von EZB und IWF.

Reuters