"Feku" nennen ihn viele seiner genervten Kritiker inzwischen höhnisch: den "Bluffer", den "Sprücheklopfer", der viel redet und wenig tut. Das ist eine Spur ungerecht, denn man kann Indiens Regierungschef Narendra Modi vieles vorwerfen, aber nicht Tatenlosigkeit. Modi trat sein Amt 2014 mit einer umfangreichen Reformagenda an, die seitdem teilweise ab-gearbeitet wurde, so mit der jüngst verabschiedeten Steuerreform und einer Neuauflage des Insolvenzrechts. Nun versucht er eine weitere Großtat: die systematische Erstickung der Schattenwirtschaft. Dieser große Wurf, eine in ihrer Breite und Tiefe einmalige Währungsreform, hat eine Wirtschaftskrise verursacht und droht in eine Katastrophe zu münden.

Am Abend des 8. November verkündete Modi völlig überraschend, dass um Mitternacht alle Banknoten zu 500 und 1 000 Rupien - zusammen machten sie 86 Prozent des umlaufenden Bargelds aus - ungültig würden. Nicht nur das politische Neu-Delhi und sämtliche Banken des Subkontinents wurden mit der Hauruckaktion überrumpelt, sondern auch die Notenbank Reserve Bank of India (RBI) sowie die 1,3 Milliarden Bürger der größten Demokratie der Welt. Seitdem gibt es fast kein umlaufendes Bargeld mehr im Land. Neu gedruckte Geldscheine kommen nur extrem langsam in den Verkehr und können praktisch nicht benutzt werden, weil es kaum Wechselgeld gibt; Kleingeld wird überall gehortet.

Gut gemeint, schlecht umgesetzt



Der Austrocknung der Schattenwirtschaft dürfte die Regierungskoalition unter Führung der Bharatiya Janata Party damit einen großen Schritt näher gekommen sein. Doch mit ihrer Trockenlegung wird auch die legitime Wirtschaft abgewürgt: Operation gelungen, Patient tot. Manmohan Singh, ein führender Kopf der Oppositionspartei Indischer Nationalkongress und Anfang der 90er-Jahre eine treibende Kraft hinter den damaligen Wirtschaftsreformen, sprach von "monumentalem Managementversagen" der Regierung.

Indiens Agrargroßhandel, der traditionell weit überwiegend in bar abgewickelt wurde, ist infolge des Cashcrashs in weiten Teilen des Landes zum Erliegen gekommen. Die Einbußen im Einzelhandel lagen in den vergangenen drei Wochen landesweit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei mehr als 50 Prozent und in vielen Geschäften bei 90 Prozent.

Die Lebensmittelversorgung der Städte - das Land zählt allein 50 Millionenstädte - erscheint angesichts des Kollapses der überregionalen Lkw-Logistik mittelfristig ungewiss. Die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten ist insbesondere in ländlichen Regionen kollabiert. Gold-, Devisen- und Immobilienmarkt befinden sich seit dem 9. November in Schockstarre.

Die Auswirkungen für die Autoindustrie in Indien - auch die deutschen Autobauer und Zulieferer wie Bosch sind hier präsent - sind verheerend. So ist etwa der Neuwagenabsatz im nordwestlich gelegenen Großraum Gujarat-Punjab-Delhi nach ersten Schätzungen um 30 bis 50 Prozent eingebrochen. Bei Gebrauchtwagen liegt das Absatzminus im ganzen Land bei ungefähr zwei Dritteln.

Während Indiens Wirtschaftswachstum noch im Herbst auf annualisiert fast acht Prozent geschätzt wurde, ist im Moment keine seriöse Prognose mehr möglich. Alles hängt davon ab, wie lange der Cash-Crunch "par ordre du mufti" andauert. Die Leitbörsen BSE und NSE in Mumbai haben empfindlich korrigiert. Die Rupie brach gegenüber dem US-Dollar ein.



Anleger sollten die Lage in Indien genau beobachten. Falls es zu drastischen Versorgungsengpässen und landesweiten Unruhen kommt, sind kurzfristig weitere Kursverluste wahrscheinlich. Allerdings steht der überwiegende Teil der Bevölkerung bislang klar hinter Modi. Langfristig wird die Währungsreform Indien zu einem transparenteren, modernen und deutlich größeren Wirtschaftsraum machen. So hat allein in den vergangenen drei Chaoswochen die Digitalisierung des Bankwesens einen gigantischen Sprung nach vorn gemacht.

Angesichts der Stärke vieler indischer Unternehmen erscheinen schwache Börsentage aktuell als "Kanonendonner"-Kaufgelegenheit. Langfristig orientierte Investoren finden attraktive indische Bluechips unter anderem im IT- und Bankensektor.

Auch ausländische Unternehmen mit starkem Indien-Geschäft sind einen Blick wert, so die Konsumgüterriesen Nestlé und Unilever sowie der Telekom-Konzern und Vodafone.





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