Herr Uebber, bei Mercedes-Benz brummt das Geschäft wie noch nie. Daimler steuert auf ein Rekordjahr zu. Eigentlich müssten in der Konzern-Zentrale in Stuttgart alle glückstrunken vom eigenen Erfolg sein. Aber hier ist alles ruhig. Ist das schwäbische Nüchternheit oder können Sie beim Daimler nicht richtig feiern?


Ich kann Sie beruhigen: Die Stimmung hier ist sehr gut. Wir haben in diesem Jahr viel erreicht und sind sehr zuversichtlich, dass wir unsere selbst gesteckten Ziele erreichen werden. Und unsere Motivation ist hoch, sich nicht darauf auszuruhen, sondern weiter zu arbeiten und die Zukunft der Automobilbranche zu gestalten. Das tun wir mit Hochdruck, denken Sie nur an unsere autonom fahrenden Trucks oder an unsere Aerodynamik-Studie zum Pkw der Zukunft, die wir auf der IAA im September präsentiert haben.

Von Januar bis November hat Mercedes-Benz weltweit 1,69 Millionen verkauft, Audi kommt auf 1,65 Millionen. Bei Ihrem Momentum wird das im Dezember auch nicht anders sein. Das wäre das erste Mal seit 2010, dass Sie wieder vor Audi ins Ziel kämen. Wie überrascht sind Sie, dass sie den Wettbewerber aus Ingolstadt schon 2015 überholen haben könnten?


Wir sind mit Mercedes-Benz im November den 33. Monat in Folge gewachsen. Dass wir dabei 2015 auch insgesamt die Premium-Marke mit dem stärksten Wachstum sind, spiegelt unseren Erfolg wider. Wir wollen 2020 die Nummer 1 sein. Wer sich dieses Ziel setzt, muss stärker als der Wettbewerb wachsen. Und das tun wir.

Und 2016 ist BMW fällig?


Wir wollen nicht punktuell besser sein, sondern nachhaltig. Das bedeutet, dass wir weiter hart arbeiten müssen. Dazu gehören die laufende Erweiterung des Produktportfolios, die Nutzung von Absatzchancen in den einzelnen Märkten und die richtigen Strukturen. Unser Ziel bleibt, 2020 nachhaltig die Nummer 1 im Premium-Segment zu sein. Wenn wir also vor 2020 vorne liegen, ist das umso besser. Wir sind gut unterwegs.

Auf Seite 2: Wachstumstreiber China





Einer der wichtigsten Wachstumstreiber für die starke Entwicklung ist China. Im laufenden Jahr haben Sie im größten Pkw-Markt der Welt um gut ein Drittel zugelegt. Das Ziel von "deutlich über 300.000 Fahrzeugen" haben Sie bereits im November erreicht. Wie lange können Sie dieses Tempo noch halten?


Wir sind sehr stolz auf unsere Entwicklung in China. Die Erfolge dort basieren auf vielen Faktoren. Dazu gehören das Produktportfolio, Prozessoptimierungen im Vertrieb und der deutliche Ausbau des Händlernetzes. Wir produzieren mit dem GLA, der C-Klasse, der E-Klasse mit langem Radstand und dem GLC bereits vier Modelle in unserem Werk in Peking. Klar ist: Man wird nicht jedes Jahr um 30 Prozent wachsen können. Aber grundsätzlich sehen wir mittelfristig weiter gute Chancen, uns vom Wettbewerb abzusetzen. Wie gut uns das gelingen wird, hängt natürlich auch vom Marktumfeld ab.

Also ist 2016 erneut ein zweistelliges Wachstum in China drin?


Wir sind für den Gesamtmarkt in China insgesamt zuversichtlich. Eine detaillierte Guidance für 2016 veröffentlichen wir im Rahmen unserer Jahrespressekonferenz Anfang Februar.

Trotz ihrer Absatzerfolge ist Audi in China weiterhin die Nummer 1 im Premium-Segment. Die Konzernmutter VW wird allerdings gerade vom milliarden-schweren Skandal um manipulierte Abgas-Daten durchgerüttelt. Wie besorgt sind Sie, dass Audi in seinem wichtigsten Markt mit aggressiven Preisen auf Kundenfang gehen könnte?


Ich hoffe, dass Volkswagen alles Nötige tut, um die Lage im Konzern wieder zu normalisieren.

Aber haben Sie Hinweise darauf, dass sich der Preiskampf in China verschärft?


Wir schauen uns alle Märkte immer genau an - egal, ob es um Nordamerika geht, um China, Deutschland oder andere Länder. Wir sind im laufenden Jahr beim Absatz und der Preisdurchsetzung gut unterwegs. Das spricht für die Stärke unserer Marke und unserer Produkte. Und das führt im Endeffekt zu profitablem Wachstum.

Mercedes-Benz hatte beim Händlernetz in China einen großen Nachholbedarf. Bis Jahresende wollten Sie rund 500 Händler an Bord haben. War’s das jetzt, oder zünden Sie die nächste Stufe?


Wir sind mit unserem Netz von inzwischen rund 500 Händlern auf einem durchaus wettbewerbsfähigen Niveau. Sicherlich wird es an der einen oder anderen Stelle Nachjustierungen geben. Aber wir arbeiten an unserem Händlernetz mittlerweile eher qualitativ als quantitativ.

Daimler hält zehn Prozent am chinesischen Joint-Venture-Partner BAIC Motors. BAIC-Chef Xu Heyi hat im Sommer bereits angekündigt, einen signifikanten Anteil an Daimler übernehmen zu wollen. Wie weit sind Sie in den Gesprächen?


BAIC ist unser wichtigster Partner in China. Wir produzieren gemeinsam Fahrzeuge und arbeiten bei Finanzdienstleistungen eng zusammen. Zudem halten wir Anteile an BAIC Motors. Und wir hören es natürlich mit Interesse, dass BAIC Anteile an Daimler erwerben will. Wir sind immer an langfristigen Investoren interessiert. Alles andere ist eine Entscheidung des Investors.

Mercedes-Benz strebt eine operative Marge von zehn Prozent an. Im laufenden Jahr haben Sie diese Zielmarke im zweiten und im dritten Quartal bereits erreicht. Sind zehn Prozent mit Blick auf die inzwischen deutlich verjüngte Flotte und auf den Anlauf neuer, attraktiver Modelle wie dem GLC oder der bevorstehenden Einführung der margenträchtigen neuen E-Klasse nicht ein bisschen arg konservativ?


Unser Ziel ist klar: Wir wollen bei Mercedes-Benz Cars über den gesamten Zyklus eine operative Marge von zehn Prozent erreichen, bei Trucks von acht Prozent. Diese Zielrenditen haben wir inzwischen mehr oder minder erreicht. Nun gilt es, dieses Niveau nachhaltig abzusichern und den Konzern insgesamt noch robuster zu machen. Einige Herausforderungen sind zu meistern. Denken Sie nur an die steigenden Anforderungen des Gesetzgebers bei den Emissionen oder die Investitionen in die weitere Elektrifizierung der Antriebe. Bevor wir jetzt darüber nachdenken, neue Ziele zu definieren, geht es uns darum, das erreichte Niveau über die entsprechenden Wirtschafts- und Modellzyklen abzusichern und das Unternehmen noch effizienter zu machen. Daran arbeiten wir.

Die Anpassung der Strukturen läuft bei Ihnen unter dem Programm "Fit4Leadership: Next Stage". Beobachter rätseln allerdings immer noch über die möglichen Einsparungen. Können Sie uns aufklären?


Im Grundsatz geht es bei "Next Stage" nicht um ein neues Programm, sondern darum, die bestehenden Systeme so robust und gleichzeitig so flexibel machen, dass wir die Herausforderungen der nächsten fünf bis zehn Jahre meistern. Dazu schauen wir uns strukturelle Fragen an: Denken Sie etwa an unsere Milliarden-Investitionen in Standorte in Deutschland. Wir machen unsere Werke noch effizienter. Es geht hierbei nicht um bestimmte Zielwerte, sondern eher um die nötige Fitness. Deshalb gibt es hier auch keine konkreten Zahlen.

Auf Seite 3: Herausforderungen im Truck-Geschäft





Daimler hat im Truck-Geschäft zuletzt unerwartet gute Zahlen abgeliefert. Das operative Ergebnis lag im dritten Quartal um 30 Prozent über Vorjahr. Aber es gibt Probleme vor allem in Brasilien. Dort hat sich der Markt im ersten Halbjahr halbiert. Sie mussten die Arbeitszeit um 20 Prozent reduzieren. Ist eine Besserung dort in Sicht?


Brasilien ist in einer sehr schwierigen Lage. Das politische Umfeld ist angespannt, die Investitionen sind stark zurückgegangen, die Rohstoff-Preise sind im Keller. Das wirkt sich natürlich auch auf den Lkw-Markt aus. Wir haben für das laufende Jahr einen Marktrückgang von 50 Prozent prognostiziert, der Markt könnte aber noch stärker schrumpfen. Momentan gehen wir davon aus, dass wir auch 2016 mit einer sehr schwierigen Marktlage rechnen müssen. Wir können derzeit leider nicht ausschließen, dass es noch weiter runtergehen könnte.

Das heißt?


Dass wir uns für Brasilien überlegen müssen, wie wir diesen Rückgang auffangen - sowohl bei den Kapazitäten als auch bei der Wertschöpfungstiefe.

Also müssen Sie auf der Kostenseite noch mal ran?


Wir müssen gemeinsam mit den Arbeitnehmer-Vertretern vor Ort nach weiteren Lösungen suchen. Es ist offensichtlich, dass wir zusätzliche Maßnahmen brauchen, um das Geschäft nachhaltig zu stabilisieren.

Der wichtige US-Truckmarkt ist lange stark gewachsen. Doch inzwischen trüben sich die Aussichten ein. Viele Analysten glauben inzwischen, der Zyklus-Peak sei bereits überschritten. Was erwarten Sie für 2016?


Daimler Trucks North America steuert 2015 auf eines der stärksten Jahre der Firmengeschichte zu. Wir sind die klare Nummer 1 in der Region und haben unsere Marktführerschaft in den vergangenen Monaten weiter ausgebaut. Wir verfügen über einen sehr starken Auftragsbestand, wenngleich sich der Auftragseingang etwas abschwächt. Experten schließen im kommenden Jahr einen Marktrückgang um 10 bis 20 Prozent nicht aus. Aber selbst, wenn der Rückgang tatsächlich so stark ausfallen sollte, läge der Markt noch immer auf einem hohen Niveau. Und wir haben gute Chancen, mit unseren effizienten Motoren und Getrieben bei den Kunden auch in einem rückläufigen Markt zu punkten. Die NAFTA-Region wird weiter wesentliche Umsätze und Erträge liefern.

Nun sind die Überlappungen und Synergien von Trucks mit dem Pkw-Geschäft eher überschaubar, monieren die Analysten von der UBS in einer aktuellen Studie. Angesichts dessen werfen sie die Frage nach einer Abspaltung der Trucksparte und eines möglichen Börsengangs auf. Wäre das was oder gehören die Brummis zum Daimler wie der Stern?


Trucks und Cars gehören für uns genauso untrennbar zusammen wie Mercedes und Benz. Es wird künftig noch viel mehr Synergien zwischen den beiden größten Geschäftsfeldern geben: Denken Sie an das autonome Fahren, an Digitalisierung, an Elektrifizierung oder die Konnektivität der Fahrzeuge. Über die Sparten hinweg ergeben sich dadurch Synergien in bislang ungeahnter Größenordnung. Darüber hinaus sind wir der festen Überzeugung, dass wir mit unserer integrierten Aufstellung Wachstumspotenziale deutlich besser erschließen können. Unsere Strategie wird vom Kapitalmarkt honoriert und nicht in Frage gestellt.

Auf Seite 4: Dividende und Erwartungen für 2016





Dazu trägt auch ihre Dividendenpolitik bei. Daimler schüttet traditionell 40 Prozent des Überschusses an die Aktionäre aus. Für 2014 haben Sie eine Dividende von 2,45 Euro je Aktie gezahlt. Was ist für 2015 drin?


Rechnerisch lag der ausschüttungsfähige Überschuss nach neun Monaten bereits auf dem Niveau der Dividende für das vergangene Jahr.

Also wird es einen deutlichen Sprung nach oben geben?


Analysten gehen im Schnitt davon aus, dass eine Drei vor dem Komma stehen wird. Über die Höhe der Dividende wird der Aufsichtsrat im Februar beraten und einen entsprechenden Vorschlag an die Hauptversammlung machen. Dem will ich nicht vorgreifen. Schon jetzt ist aber klar: Es wird eine sehr attraktive Dividende mit einer entsprechend attraktiven Dividendenrendite geben.

Daimler gehört zu den forschungsstärksten Unternehmen. Im Vorjahr haben Sie alleine rund 5,7 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung gesteckt. Dazu kommen weitere Investitionen im Volumen von rund 4,8 Milliarden, etwa in Kapazitätserweiterungen. Was ist für 2016/17 geplant?


Wir haben in den kommenden Jahren vor, sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in neue Produkte weiter kräftig zu investieren. So stellen wir sicher, dass wir weiter profitabel wachsen. 2016 steht die Einführung der neuen E-Klasse im Mittelpunkt. Außerdem erweitern wir unser Produktionsnetzwerk und bauen neue Werke in Brasilien und Mexiko. Daneben werden wir weiter in elektrische Antriebe sowie die Digitalisierung investieren. Deshalb werden wir die entsprechenden Budgets 2016 und 2017 weiter erhöhen.

Für 2016 sind die Vorzeichen insgesamt ja durchaus manierlich. Es gibt Rückenwind vom Dollar, die Zinsen und Rohstoffpreise sind niedrig, die Aussichten für den chinesischen Automarkt ermutigend. Mit wie viel Zuversicht gehen Sie ins Neue Jahr?


Wir haben ein überzeugendes Produktportfolio, eine tolle und hochmotivierte Mannschaft, die auch die Kosten und Erlöse genau im Blick behält. Und wir werden mit weiteren Innovationen aufwarten. Natürlich gibt es auch Risiken: Zum Beispiel unvorhergesehene Entwicklungen und volatile Märkte. Dazu gibt es im Truck-Geschäft derzeit eher ein regional gemischtes Bild. Aber bei aller gebotenen Vorsicht bleiben wir für 2016 zuversichtlich. Außerdem verfügen wir über eine sehr starke Bilanz, mit der wir temporäre Schwankungen an den Kapitalmärkten abfedern und trotzdem weiterhin umfassend in Produkte, Märkte und Technologien investieren können.