Stürmische Verhältnisse sind für die meisten Iren nichts Besonderes. An der Westküste der Insel erstreckt sich über eine Länge von 2500 Kilometern der "Wild Atlantic Way". Die Straße schlängelt sich an atemberaubenden, permanent von der Brandung umtosten Steilküsten entlang. Ein raues Klima herrscht auch in der Wirtschaft. 2008 geriet Irland in den Sog der Finanzkrise und war auf ein Hilfspaket angewiesen. Aber der "keltische Tiger" hat sich zurückgekämpft und wächst wieder kräftig. Die EU-Kommission rechnete im Mai für 2016 beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Plus von 4,9 Prozent - der Spitzenwert unter allen 28 EU-Staaten.

Wenn das Risiko zur Chance wird



Allerdings ist in der Zwischenzeit die nächste Sturmfront, in Form des Brexit, aufgezogen. Wegen der geografischen Nähe und den engen Handelsbeziehungen (siehe Randspalte) stellt der EU-Austritt Großbritanniens eine Bedrohung für Irland da. Entsprechend geschockt fiel die Reaktion der Dubliner Börse aus: An den ersten drei auf das britische EU-Votum folgenden Handelstagen brach der ISEQ 20 um bis zu 14 Prozent ein. Mittlerweile hat er jedoch einen Großteil der anfänglichen Verluste wieder aufgeholt.

Aus gutem Grund, da der Brexit-Sturm auf ein robustes Irland trifft. "Die Wirtschaft schafft neue Stellen und Indikatoren wie Einzelhandelsumsätze, Autoverkäufe, Geschäftsaktivität und Steuereinnahmen deuten darauf hin, dass dem ein solides Wachstum zugrunde liegt", erklärt Loretta O’Sullivan, Chefvolkswirtin der Bank of Ireland. Hinzu kommt, dass die grüne Insel an gewissen Stellen sogar von der britischen Entscheidung profitieren könnte. Es gilt als wahrscheinlich, dass gerade Banken von der Londoner City in das nur eine Flugstunde entfernte Dublin übersiedeln werden, um den EU-Standort zu erhalten. Zumal die Metropole mit günstigen Steuersätzen und einer modernen Infrastruktur lockt.

Chancen könnte der Brexit auch für das eine oder andere irische Unternehmen bieten. Beispiel Ryanair: Michael O’Leary, Chef von Europas größter Billigfluglinie, macht keinen Hehl daraus, dass der Austritt Risiken birgt. Gleichzeitig betont er, dass sich für Ryanair auch günstige Gelegenheiten ergeben könnten, beispielsweise falls britische Konkurrenten EU-Landerechte abgeben müssten. Während das Zukunftsmusik ist, hat O’Leary die Prognose für das Fiskaljahr 2017 (per 31. März) gerade bestätigt. Er möchte den Überschuss um rund 13 Prozent auf 1,38 bis 1,43 Milliarden Euro verbessern. "Ich denke, keine andere Airline in Europa wird solch einen Gewinnzuwachs erreichen und voraussagen", gibt sich der smarte Manager selbstbewusst. Wir teilen diese Einschätzung und sehen im jüngsten Sinkflug der Ryanair-Aktie eine Einstiegschance.



Vollständig ausgemerzt ist die Brexit-Delle im Kursbild von CRH. Kürzlich schraubte der Baustoffriese seine Zielsetzung für das erste Halbjahr nach oben. Mit 1,1 Milliarden Euro soll das operative Ergebnis um ein Zehntel höher ausfallen als zuvor erwartet. CRH dürfte unter anderem vom Aufschwung in den USA profitieren, wo das Unternehmen die Nummer 1 im Asphaltgeschäft und der drittgrößte Produzent von Transportbeton und Zuschlagsstoffen ist. Mehr erfahren Anleger am 25. August, wenn das Dubliner Unternehmen die Halbjahresbilanz vorlegt.

Vorübergehende Delle



Während Analysten bei CRH für das laufende Jahr mit einem Gewinnsprung von nahezu 50 Prozent rechnen, soll der Profit der Kerry Group nur moderat zulegen. Doch bereits 2017 dürfte der Lebensmittelkonzern auf den Wachstumskurs zurückkehren. In den vergangenen drei Jahrzehnten erwies sich das Geschäftsmodell - den Großteil der Umsätze erwirtschaftet Kerry mit Nahrungsmittelzusatzstoffen und Aromen - als sehr erfolgreich: Umsatz, Gewinn und Dividende legten im Schnitt prozentual zweistellig zu. Die aktuelle Delle führt das Management neben ungünstigen Wechselkursen auf die geopolitische Großwetterlage zurück. An der Börse ist der langfristige Aufwärtstrend intakt. Scheinbar vertrauen Investoren darauf, dass die Verantwortlichen ihr an der rauen Südwestküste Irlands beheimatetes Unternehmen sicher durch das derzeit stürmische Umfeld navigieren. Übrigens: Anleger, die diversifiziert auf Irlands Topkonzerne setzen möchten, können sich mit einem auf dem MSCI Irland basierenden Tracker-Zertifikat 16 Aktien, darunter unsere drei Favoriten, ins Depot holen (siehe Tabelle unten).