Die sonst betont streng auftretende Daniela Bergdolt von den Aktionärsschützern der DSW gab sich auf der Hauptversammlung von Linde herzlich: "Ich freue mich", begrüßte sie den in der ersten Reihe sitzenden Ex-Vorstandschef Wolfgang Reitzle. Der sollte an diesem Tag, zwei Jahre nach seinem Abgang als Konzernlenker, zum neuen Aufsichtsratschef gekürt werden. "Uns allen war klar", fuhr Bergdolt fort, "dass Sie es ohne uns, also Linde, nicht lange aushalten können."

Im Mai 2014 war Reitzle nach 14 Jahren an der Linde-Spitze abgetreten. Es folgten die inzwischen üblichen zwei Jahre "Abkühlphase". Auf dem Aktionärstreffen in München hielt sich Reitzle zurück, die Reden hielten andere. Er selbst erhob sich nur für einen kurzen Moment von seinem Platz, als er als Kandidat für den Aufsichtsrat vorgestellt wurde. Bedenken gegen ihn hatte es wohl gegeben, vor allem wegen seiner zahlreichen Kontrollmandate, etwa beim Baustoffkonzern Lafarge-Holcim, bei Conti, Medical Park oder dem Weinhändler Hawesko. Einen Teil dieser Mandate gibt Reitzle jetzt auf.

Ein solches Abspecken hatte vor allem Reitzles Vorgänger, Aufsichtsratschef Manfred Schneider, gefordert. Das Pikante: Ausgerechnet Schneider galt jahrelang als einer mit den allermeisten Aufsichtsratsmandaten. Linde sei in guter Verfassung, das Management in Ordnung, sagte der zu Ironie aufgelegte Vorgänger: "Der Aufsichtsrat kann nur noch besser werden, wenn ich jetzt abtrete."

93 Prozent - kein Traumresultat



Von der Hauptversammlung bekam Reitzle später 92,88 Prozent Ja-Stimmen für den Einzug in den Aufsichtsrat. "Ein Traumergebnis ist das nicht", kommentierte die "Börsenzeitung" auch mit Blick auf den anderen Neuzugang im Kontrollgremium, der Microsoft-Deutschland-Geschäftsführerin Victoria Ossadnik, die 99,65 Prozent der Ja-Stimmen erhielt.

Dabei haben viele Aktionäre Reitzles Rückkehr erwartet. Schließlich war er es, der den Konzern neu erfunden und von Erfolg zu Erfolg geführt hatte. Sein Nachfolger Wolfgang Büchele kämpft mit Gegenwind, musste Gewinnziele kassieren, der Aktienkurs brach ein.

Das Verhältnis zwischen Büchele und Reitzle soll trotz der heiklen Konstellation - erfolgreicher Vorgänger kontrolliert Nachfolger - intakt sein, heißt es. Doch ohne Erfolge wird sich Büchele auf Dauer nicht halten können. Vorstand Thomas -Blades verlässt das Gremium, er wird Chef beim Baudienstleister Bilfinger. Sein Nachfolger dürfte in Kürze benannt werden. Medienberichten zufolge ist zudem nicht ausgeschlossen, dass sich der langjährige Finanzvorstand Georg Denoke in den kommenden Monaten verabschiedet.