Der langjährige Linde-Chef Wolfgang Reitzle soll seinem unter Druck geratenen Nachfolger Wolfgang Büchele auf die Finger schauen. Der engste Führungszirkel will den 66-Jährigen als Aufsichtsratschef zurück in den Münchner Industriegasekonzern holen, wie Linde am Montag mitteilte. Unmittelbar nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Abkühlphase von zwei Jahren solle die Hauptversammlung den ehemaligen Linde-Chef im Mai in das Kontrollgremium wählen, dessen Vorsitz er anschließend übernehmen solle.

Darauf verständigte sich der Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Schneider, der seinen Platz räumen will, mit dem früheren Allianz -Boss Michael Diekmann und dem Bosch -Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach. Die drei einflussreichen Manager bilden den Nominierungsausschuss des Linde-Aufsichtsrats und wollen diesem einen entsprechenden Wahlvorschlag für die Aktionäre unterbreiten, die sich am 3. Mai in München treffen.

Der frühere BASF -Manager Büchele, der den Linde-Chefposten im Mai 2014 von Reitzle übernommen hatte, enttäuschte die Anteilseigner wiederholt. Zuletzt kippte er im Herbst zum zweiten Mal binnen Jahresfrist seine mittelfristige Geschäftsprognose. Unerwartet stark trafen den Konzern die weltweit lahmende Industriekonjunktur, schlechtere Preise im Medizingeschäft und die Folgen des niedrigen Ölpreises. Bereits ein Jahr zuvor hatte Büchele den bis 2017 geltenden Ausblick zusammengestrichen, den ihm Reitzle hinterlassen hatte. Seit Bücheles Amtsantritt ist der Aktienkurs von rund 150 Euro auf 120 Euro abgesackt.

Der Wirtschaftsingenieur Reitzle hatte 2003 das Ruder bei Linde übernommen und dem Traditionsunternehmen seinen Stempel aufgedrückt. Er trennte die Gabelstaplersparte ab und richtete den Konzern ganz auf das lukrative Gasegeschäft aus. Mehrere milliardenschwere Übernahmen machten das Unternehmen vorübergehend zum größten Gaseanbieter der Welt. Der radikale Umbau brachte Reitzle den Respekt vieler Kollegen ein.

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SPITZENPOSTEN AUCH BEI LAFARGEHOLCIM UND CONTI



Nach dem Abschied bei Linde aus Altersgründen baute der bestens verdrahtete Reitzle die Zahl seiner Mandate in anderen Konzernen aus. Der mit der Fernseh-Moderatorin Nina Ruge verheiratete Manager ist Verwaltungsratschef des Zementriesen LafargeHolcim und Aufsichtsratschef des Autozulieferers Continental. Er sitzt auch in den Kontrollgremien des Medienkonzerns Axel Springer und des Weinhändlers Hawesko. Im August heuerte er bei der US-Investmentbank Perella Weinberg an. Auch als möglicher Aufsichtsratschef von Volkswagen war der frühere BMW -Vorstand Reitzle zeitweise im Gespräch.

Einer von Reitzles engsten Weggefährten kehrte bereits zum Jahreswechsel auf seinen früheren einflussreichen Posten bei Linde zurück: Harry Roegner, der Reitzle viele Jahre als Sprecher begleitet hatte, löste überraschend Bücheles Vertrauten Ulrich Porwollik als Kommunikationschef des Konzerns ab.

Offen blieb zunächst, ob Reitzle bei LafargeHolcim bleibt. Ein LafargeHolcim-Sprecher wollte sich am Montag nicht dazu äußern. Ein Insider erklärte, er gehe davon aus, dass Reitzle beim weltgrößten Baustoffkonzern zurücktrete. Diese Aufgabe erfordere in den nächsten Monaten noch sehr viel Zeit, weil die Integration der Schweizer Holcim und der französischen Lafarge noch nicht abgeschlossen sei.

Ein Rücktritt käme für den Konzern zur Unzeit. LafargeHolcim wurde im vergangenen Juli aus der Taufe gehoben, seither rumort es im Konzernhauptsitz in Zürich und die Aktie hat fast die Hälfte an Wert eingebüßt. Reitzle war maßgeblich daran beteiligt, dass die Fusion nicht scheiterte und wurde als Vertreter der ehemaligen Holcim-Eigner in der Spitze des neuen Unternehmens gesehen. Ein möglicher Nachfolger als LafargeHolcim-Präsident ist dem Insider zufolge der gegenwärtige Vize Beat Hess.

Reuters