Bei Microsoft brechen nach dem jüngsten Wechsel an der Konzernspitze neue Zeiten an. Die Aktie notiert auf dem höchsten Stand seit 14 Jahren. BÖRSE ONLINE sprach mit dem Chef des weltweiten Vertriebs, Jean-Philippe Courtois, über den Umbruch, die neue Offenheit und die ungewohnte Rolle als Herausforderer.

Jean-Philippe, die Krise in der Ukraine spitzt sich weiter zu. Die ersten Unternehmen haben bereits vor Belastungen gewarnt. Spüren Sie Auswirkungen auf Ihr Geschäft in der Ukraine?

Microsoft ist ein globales Unternehmen. Wir machen über 60 Prozent des Umsatzes außerhalb der USA und Kanada. Was die Lage in der Ukraine anbelangt: Dort ist die politische Situation derzeit sehr angespannt. Selbstverständlich belastet das unser Geschäft vor Ort. Aber im weltweiten Maßstab ist der Umsatzanteil der Ukraine nicht so groß, als dass wir hier spürbare Belastungen erwarten würden.

Und in Russland?

Es ist noch zu früh, hier eine Aussage zu treffen. Russland ist ein sehr wichtiges Land für uns. Wir sind seit über 20 Jahren dort und haben in vielen Bereichen einen großen Marktanteil. Aber wir verfolgen in jedem Markt eine sehr langfristige Strategie.

Der Westen hat bereits erste Sanktionen gegen Russland verhängt und weitere angedroht. Ist das der richtige Weg?

Ich bin weder Politiker noch Diplomat, sondern Geschäftsmann. Und von dieser Warte aus sind alle Dinge, die Gespräche vereinfachen und Vertrauen begründen und vertiefen können, zu begrüßen.

Microsoft hat seit wenigen Wochen mit Satya Nadella einen neuen Chef. Seit dem Führungswechsel wächst der Eindruck, dass viele Regeln, die früher als unverbrüchlich galten, nun in Frage stehen. Erfindet sich Microsoft gerade neu?

Es stimmt: Wir gehen seit längerem durch einen tiefgreifenden Wandel im Unternehmen und einiges davon ist bislang von außen noch gar nicht zu sehen.

Einiges aber schon?

Ja, denken Sie an Office fürs iPad, das wir unlängst angekündigt haben. Diese Entscheidung ist noch unter unserem früheren CEO Steve Ballmer gefallen. Aber die Veränderungen gehen viel weiter: Unsere Software läuft inzwischen im Kern auf einer einheitlichen Plattform. Für uns, aber auch für externe Entwickler bedeutet das, dass man Anwendungen schreiben kann, die künftig auf allen Betriebssystemen laufen, egal, ob es um Windows 8 geht, Windows Phone 8 oder eine Anwendung für die Xbox. Das ist ein riesiger Schritt nach vorne. Aber es gibt noch viel zu tun und in vielen Bereichen sind wir auch die Herausforderer.

Was eine bislang eher ungewohnte Rolle für Sie ist?

Als Herausforderer müssen wir ein paar Dinge anders machen: Wir müssen alte Zöpfe abschneiden. Wir müssen uns noch klarer vom Wettbewerb unterscheiden. Und wir müssen schneller werden. Denn viele unserer Wettbewerber sind rasant unterwegs, ob das Google ist, Facebook, Apple oder Oracle und SAP. Unser Vorteil ist: Wir sind das einzige Unternehmen, das Geräte und Dienste voll integriert. Wir sind das einzige Unternehmen, das an der digitale Schnittstelle von privatem und beruflichem Leben zu Hause ist. Und wir sind derzeit der einzige Anbieter im Wachstumsmarkt Cloud Computing,, dessen Richtlinien und Vertragsinhalte für den Transfer von Kundendaten den Anforderungen der EU-Datenschützer entspricht. Das bietet unseren Kunden eine enorme Rechtssicherheit.

Aber es gibt ja genügend Baustellen: Ausgerechnet im boomenden Smartphonemarkt hat Microsoft bislang kaum ein Bein auf den Boden gekriegt. Jetzt wollen Sie Ihr mobiles Betriebssystem Windows Phone umsonst abgeben. Klingt wie eine Kapitulation?

Überhaupt nicht. Sehen Sie: Der Markt für Smartphones wächst mit rasanter Geschwindigkeit. In den Schwellenländern geht der Siegeszug der Smartphones gerade erst los. Hier wollen wir dabei sein. Dazu senken wir die Hürden, damit Windows Phone nicht nur auf Nokia verfügbar ist, sondern auf möglichst vielen Geräten anderer Hersteller.

Bisher hat Microsoft mit dem Verkauf von Software-Lizenzen Geld verdient. Wo soll das Geld künftig herkommen, wenn Sie Ihre Software jetzt verschenken?

Zunächst: Die Erlösquellen verschieben sich. Früher kam der Umsatz über den Verkauf des Betriebssystems. Heute findet die Monetarisierung über den gesamten Lebenszyklus eines Geräts statt. Bei Windows Phone sehen wir verschiedene Möglichkeiten: Es gibt Dienste, die auf den Geräten laufen, denken Sie etwa an Office 365 oder andere Abo-Modelle. Dazu kommt das Hardware-Geschäft, sowie App Stores und Werbung. Auf allen diesen Ebenen sind wir dabei.

Neben den Smartphone-Markt gehen Sie auch im Tablet-Bereich neue Wege. Seit wenigen Wochen gibt es endlich Office fürs iPad. Warum diese Strategiewende?

Wir wollten den Wünschen unserer Kunden gerecht werden.

Das iPad ist inzwischen über 200 Millionen Mal verkauft worden. Sie hätten den Bedürfnisse Ihrer Kunden schon früher gerecht werden können?

Unser Ziel war von Anfang an, Cloud-Lösungen auf allen Geräten zu ermöglichen. Und das mit der besten Nutzererfahrung, ob auf dem iPad oder auf Android-Geräten.

Aber weshalb hat es so lange gedauert, bis Sie eine iPad-Version am Start hatten?

Wir haben uns lange sehr stark auf die Entwicklung der Windows-8-Plattform und Office 365 fokussiert. Natürlich hätten wir auch früher damit an den Start gehen können, aber wir wollten es richtig machen. Sie dürfen ja nicht vergessen: In den Unternehmen läuft der allergrößte Teil der Geräte auf der Windows-Plattform. Hier gibt es hohe Ansprüche bei den Kunden. Diesen wollen wir gerecht werden.

Wann kommt die Office-Version für Android?

Wir wissen, dass der Markt darauf wartet. Und wir werden eine entsprechende Lösung haben. Aber es gibt da noch kein konkretes Datum.

Der Wechsel an der Microsoft-Spitze hat neben der künftigen Produktstrategie auch Fragen über die Aufstellung des Konzerns befeuert. Viele Analysten spekulierten zuletzt darüber, dass Microsoft sich vom Xbox-Geschäft trennen könnte. Wie sinnvoll wäre das?

Ich bin seit rund 30 Jahren bei Microsoft und es gab immer wieder Diskussionen über mögliche Abspaltungen von Unternehmensteilen, denken Sie an die Spekulation über eine mögliche Trennung der Office- und Windows-Sparte. Und was Ihre konkrete Frage anbelangt: Xbox ist eine der stärksten Marken, die Microsoft hat. Dieses Geschäft ist auf lange Sicht aufgebaut. Der Erfolg gibt uns Recht: Alleine von der XboxOne haben wir seit der Markteinführung im vergangenen November weltweit fünf Millionen Einheiten verkauft. Dazu kommt die Xbox 360. Im übrigen geht es bei der Xbox ja nicht nur um Spiele und Cloud-Erweiterungen, sondern auch um Multimedia, ob das Musik ist, Videos oder Skype. Xbox ist für uns ein Ankerprodukt im Endkunden-Markt. Da sehen wir noch großes Potenzial.

Also keine Pläne zum Rückzug?

Überhaupt nicht. Schauen Sie, was die Wettbewerber gerade machen: Google hat Chromecast herausgebracht, mit dem man Filme oder Videos auf den Fernseher streamen kann. Amazon hat eine ähnliche Lösung angekündigt. Am Ende geht es darum, im Wohnzimmer präsent zu sein. Wir sind schon dort, wo andere noch hinwollen.

Mit ihrem Tablet namens Surface läuft es bislang auch nicht gerade rund. Analysten könnten sich hier ebenfalls einen Ausstieg vorstellen. Mit Recht?

Vor 18 Monaten hatten wir noch überhaupt kein Tablet im Angebot. Im jüngsten Weihnachtsquartal haben wir mit dem Surface über 800 Millionen Dollar Umsatz eingefahren. Das ist ziemlich viel für ein Unternehmen, das erst so kurz im Markt ist. Dazu kommen die Umsätze der anderen Hersteller mit Windows-Tablets. Hier wollen wir weiter machen. Lassen Sie sich nicht täuschen: Wir sind im Tablet-Geschäft dabei und meinen es sehr Ernst.

Einschätzung der Redaktion

In der Microsoft-Aktie ist seit dem im Sommer angekündigten Abschied des langjährigen Konzernchefs Steve Ballmer wieder Schwung drin. Erst Ende März hat das Papier die Marke von 40 Dollar geknackt - zum ersten Mal seit Juli 2000. Offenbar hoffen viele Investoren auf frischen Wind im Konzern. Die ersten Weichenstellungen von Ballmers Nachfolger Satya Nadella jedenfalls sind vielversprechend. Nadella setzt voll auf die Cloud. Hier hat Microsoft aufgrund der starken Verankerung bei Unternehmen einen großen Wettbewerbsvorteil.

Zwar drohen bei Windows aufgrund des weltweit schrumpfenden PC-Markts in Zukunft Rückschläge. Doch das kann der Konzern locker verkraften. Alleine im laufenden Geschäftsjahr (30.6.) dürfte Microsoft rund 22 Milliarden Dollar freie Mittelzuflüsse einfahren. Dazu kommen 80 Milliarden Dollar cash und eine Dividendenrendite von 2,6 Prozent. Die Aktie läuft. Wenn Nadella die nötigen Veränderungen weiter mutig angeht, dürfte der Aufwärtstrend anhalten. Kaufen. Vorsichtige Anleger setzen einen Stopp bei 25 Euro.