Was der "Black Monday" 1987 in den USA war, dürfte in der Schweiz der "Schwarze Donnerstag" am 15. Januar dieses Jahres gewesen sein. Als die schweizerische Notenbank SNB die Aufhebung der Mindestkursgrenze zum Euro verkündete, herrschte Panik an der Züricher Börse. Der Leitindex SMI, der die wichtigsten 20 Aktien des Landes auflistet, brach um 15 Prozent ein. Swatch-Chef Nick Hayek klagte über einen Tsunami, den die SNB ausgelöst habe.

Von einem solchen Tsunami spricht heute kaum noch einer in der Alpenrepublik. Nur die Schweizer Tourismuswirtschaft und der Einzelhandel wurden von der Franken-Aufwertung kalt erwischt und erlitten deutliche Umsatzeinbußen. Die Mehrheit der Schweizer Wirtschaft hingegen konnte mit Einsparmaßnahmen den Widrigkeiten trotzen. "Das Franken-Gespenst hat an Schrecken verloren", schrieb die "Handelszeitung". Auch auf dem jüngsten Außenwirtschaftsforum des Wirtschaftsverbands Switzerland Global Enterprise (SGE) überwog der Optimismus. "Viele Schweizer Firmen haben sich sehr schnell angepasst und Kosten gesenkt", erklärte SGE-Chef Daniel Küng. Der Schock sei auch nicht so groß gewesen wie 2011. Damals stürzte die Schweizer Währung gegenüber dem Euro binnen kurzer Zeit von 1,50 auf 1,20 Franken. Einige Firmen, die 2011 auf dem falschen Fuß erwischt wurden, haben inzwischen, so Küng, ihre Hausaufgaben gemacht und erfolgreich mit Lohnsenkungen, Personalabbau und Einsparungen beim Einkauf reagiert. Das werde sich auszahlen.



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Verluste wettgemacht

An der Schweizer Börse hat sich inzwischen der Wind gedreht. Der SMI hat zeitweise seine Verluste vom 15. Januar wieder wettgemacht. Mitte April kletterte er auf ein Achtjahreshoch und lag mit 9471 Punkten nur noch 60 Zähler unter dem Rekord von 2007. Seither hat der SMI aber wieder leicht an Boden verloren. Auf Jahressicht konnte er in etwa sein Kursniveau halten. "Einige Investoren haben überschätzt, dass viele Schweizer Firmen im Ausland produzieren oder Vorprodukte von dort einkaufen und so vom Anstieg des Franken gar nicht so stark betroffen waren", sagt Anja Hochberg, Chefanlegerin Europa bei der Credit Suisse. Nestlé zum Beispiel produziert seine Waren meist im jeweiligen Absatzmarkt. Der Nahrungsmittelkonzern ist von der Schweizer Konjunktur praktisch unabhängig. 98 Prozent der Umsätze erwirtschaftet Nestlé außerhalb der Schweiz. Auch der Pharmariese Roche produziert einen Teil seiner Produkte im Ausland, insbesondere in den USA. Viele Schweizer Konzerne wie Nestlé oder Roche seien gut diversifiziert und gegenüber einem starken Franken "gehedged", meint Ralf Rybarczyk, der bei DWS die Schweiz-Fonds verwaltet. Investoren haben dementsprechend Titel von Firmen herausgefiltert, die vom starken Franken kaum betroffen sind. Dazu zählen vor allem Nahrungsmittel-, Pharma-, Industrie-, Biotech- und Hightech-Titel. So stieg etwa der Kurs der Nestlé-Aktie seit Jahresbeginn um rund 15 Prozent. Der Konsumgüterkonzern stemmte sich mit Preiserhöhungen gegen die Franken-Aufwertung. Noch größer war der Appetit auf die "Schoggi-Aktien" von Barry Callebaut (plus 25 Prozent). Der weltgrößte Schokoladenhersteller hat Fabriken in den USA, Lateinamerika und Asien und profitiert von der wachsenden Naschlust der Asiaten. "Wir wollen 2015 stärker wachsen als der Gesamtmarkt", kündigte Vorstandschef Jürgen Steinemann gegenüber BÖRSE ONLINE auf dem SGE-Außenwirtschaftsforum an. Im Blickpunkt standen zuletzt insbesondere Chemietitel aus der Alpenrepublik. Übernahmespekulationen trieben die Aktien von Clariant und Syngenta an. Der US-Multi Monsanto will den Agrochemiekonkurrenten Syngenta für 45 Milliarden Dollar schlucken. An Clariant hingegen soll die deutsche Evonik interessiert sein. Mit einem Plus von rund 41 Prozent ist Clariant der bisherige SMI-Gewinner in diesem Jahr.



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Franken-Stärke gut weggesteckt

Selbst die Uhrenbranche, die ausschließlich in der Schweiz produziert, scheint die Franken-Aufwertung gut zu verkraften. Im ersten Quartal lieferte sie mehr Uhren ins Ausland als vor Jahresfrist. "Der schwache Euro macht uns kaum etwas aus", sagte François Thiébaud, Präsident der Swatch-Tochter Tissot, auf der BaselWorld. Nur rund ein Viertel der Exporte gehen in die Eurozone. Die Franken-Stärke gegenüber dem Euro konnte zudem durch die Franken-Schwäche gegenüber dem Dollar kompensiert werden.

Als weitestgehend immun gegenüber der Franken-Aufwertung sieht DWS-Analyst Ralf Rybarczyk die Biotech- und Hightech-Branche. Biotech-Titel wie Lonza (plus 37 Prozent) oder Actelion (plus 27 Prozent) haben in diesem Jahr gegenüber dem Gesamtmarkt outperformt. Noch besser schlugen sich Hightech-Titel wie AMS sowie U-Blox, deren Kurse in den letzten zwölf Monaten zwischen 50 und 100 Prozent an Wert gewannen. Für europäische Anleger war der Franken-Schock ohnehin nicht schlimm. Sie profitierten unter dem Strich sogar von den Währungsturbulenzen. In Euro gerechnet legte der SMI genauso stark zu wie der DAX, nämlich um 17 Prozent. Und der Swiss Performance Index sprang sogar um rund 20 Prozent nach oben.

Fondsmanager Rybarczyk ist der Meinung, dass der SMI bis Ende 2015 neue Jahreshochs erreichen wird. Nach der jüngsten Konsolidierung dürfte der Index wieder anziehen, glaubt er. Nicht ganz so optimistisch ist Credit-Suisse-Chefanlegerin Hochberg. Nach der ersten scharfen Aufholbewegung dürfte aktuell das Potenzial für eine weitere Outperformance beschränkt sein, meint sie. Hochberg empfiehlt daher Finanztitel und Konsumgüter, insbesondere im Luxussegment. Noch wäre es verfrüht, Entwarnung für die Schweizer Wirtschaft zu geben. Die Aufwertung zum Euro könnte sich in den nächsten Monaten mit etwas Verspätung negativ auf die Konjunktur auswirken. Im ersten Quartal schrumpften die Schweizer Exporte um 1,7 Prozent. Einige Volkswirte und Aktienstrategen rechnen mit einem Rückfall der Schweiz in die Rezession. Das Berner Wirtschaftsministerium hingegen erwartet 2015 ein BIP-Wachstum von ein Prozent. Politische Hemmnisse könnten die Konjunktur der Eidgenossen weiter abwürgen. So droht die Einführung einer Erbschaftsteuer. In einer Volksabstimmung Mitte Juni entscheiden die Schweizer, ob diese neue Steuer kommen soll. Die Wirtschaft läuft Sturm. "Das wäre neben der Gewerbe- und Vermögensteuer die dritte Steuer in der Schweiz und damit einmalig in Europa", schimpft Economie-Suisse-Direktorin Monika Rühl.



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Schweizer Aktien mit Perspektive