Wenn eine Aktie über viele Jahre nur seitwärts dümpelt und dann plötzlich anspringt, sollten Anleger immer hellhörig werden. Ein gutes Beispiel liefert der Kursverlauf bei Vectron: Zwischen 2009 bis 2014 kosteten die Scheine des Kassenherstellers zwischen sieben bis 15 Euro. Seit Anfang 2015 ist der Dornröschenschlaf beendet. Aktuell müssen rund 400 Prozent mehr bezahlt werden, auch das Handelsvolumen zieht seit Monaten kräftig an und deutet auf eine nachhaltige Bewegung. Lohnt sich auch jetzt noch der Einstieg? Viele Anleger dürften ein schlechtes Gefühl haben verbunden mit der Sorge, "mal wieder" am Hoch zu kaufen. Bei Vectron ist die Gefahr aber eher gering. Im Gegenteil. Die Investmentstory des Small Caps könnte in den kommenden Monaten sogar noch an Dynamik zunehmen.

Beginnen wir mit den Fakten: Die Münsteraner zählen zu den "Top 10" der europäischen Hersteller von Kassensystemen und Kommunikationssoftware zur Vernetzung von Filialbetrieben. Bisher ist das Unternehmen mit seinen Produkten besonders im gehobenen Segment positioniert und kann rund 175.000 Installationen in 30 Ländern vorweisen. Vectron ist einer der Technologie- und Innovationsführer auf dem Markt, rund ein Drittel der 125 Mitarbeiter arbeiten im Bereich Entwicklung und Produktmanagement. Zielbranchen sind Gastronomie und Bäckereien. Im Gegensatz zu anderen Herstellern funktionieren alle Kassenmodelle mit der gleichen Software und sind daher problemlos untereinander vernetzbar. Auch mobile Systeme erfreuen sich großer Beliebtheit: Elf der 14 großen Zelte auf dem Münchner Oktoberfest vertrauen auf Vectron.

Damit haben sich die Westfalen eine starke Grundlage geschaffen, von der aus weitere Wachstumspläne nun konsequent umgesetzt werden. Um die Ausbreitung im Kerngeschäft zu forcieren, wurde Ende 2013 die Zweitmarke Duratec eingeführt. Die Systeme weisen eine deutlich geringere Komplexität auf und zielen auf das untere bis mittlere Preis- und Leistungssegment, um so auch Marktanteile außerhalb der Kernregion zu erobern. Zugleich besteht aufgrund des eingeschränkten Funktionsumfangs kaum die Gefahr von Kannibalismus-Effekten. Das Potenzial ist hingegen enorm: Schätzungen zufolge ist der gesamteuropäische Markt für Kassensysteme um den Faktor sechs größer als Vectrons heutiger Zielmarkt in den DACH- und BeNeLux-Ländern. Warburg-Analyst Malte Schaumann rechnet mit einem Umsatzpotenzial von rund 14 Mio. Euro, wovon etwa fünf Mio. Euro in den nächsten drei bis vier Jahren gehoben werden sollten. Bei steigenden Auslandsumsätzen wären auch höhere Stückzahlen realistisch.

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Neue Gesetzgebung und Plattform sorgen für Schubkraft



Das klassische Kassengeschäft ist noch aus einem anderen Grund sehr interessant. Verschiedene Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass dem Finanzministerium durch nicht deklarierte Einnahmen mehrere Milliarden Euro an jährlichen Steuereinnahmen entgehen. Wenig überraschend treibt Berlin daher die gesetzlich vorgeschrieben Einführung von manipulationssicheren Kassensystemen voran. Eine vergleichbare Gesetzgebung gilt in Österreich ab Januar 2017. Vectron bietet sich so ein perfekter Testlauf für die Umsetzung in Deutschland.

Die Bundesländer fordern, dass das Einführungsdatum auf Anfang 2018 festgesetzt wird, im Gesetzesentwurf gilt der 1. Januar 2019 als Stichtag. Die mögliche Verzögerung wäre für Vectron sogar positiv, da der Markanteil über Duratec dann noch größer ausfallen sollte. Da die Westfalen in Deutschland in den Zielbranchen Restaurants und Bäckereien über eine installierte Kassenbasis von rund 100.000 verfügen, stellt die fiskalische Regulierung einen erheblichen Umsatz- und Ergebnistreiber dar. In Zahlen ausgedrückt wäre mit zusätzlichen Erlösen von 64 Mio. Euro und einem Ebit von 39 Mio. Euro zu rechnen, wobei sich das Zusatzgeschäft zu gleichen Teilen auf 2017 und 2018 verteilen sollte.

Der dritte Kurskatalysator ist die Plattform bonVito. Vectron bietet hier Internet-Dienstleistungen in den Bereichen Kundenbindung, Kundenkarten, E-Payment, Reservierung, Online-Bestellung und Reporting an. Über das Internet werden Vectron- und Duratec-Kassen verbunden, wodurch sehr einfach individuelle Marketingkampagnen online eingerichtet und an die Kassen gesendet werden können. Für das Personal entsteht keine zusätzliche Arbeit, der Erfolg der Maßnahmen kann in Echtzeit überprüft werden. Auch hier ist das Potenzial sehr groß, da die Digitalisierung in der Gastronomie noch kaum Einzug gehalten hat. Während in den USA rund die Hälfte der Restaurants online Tischreservierungen anbieten, sind es in Europa nur 16 Prozent. Die Nachfrage dürfte durch die Integration ins bestehende Kassensystem sehr hoch sein, da Vectron als einziger Anbieter eine umfassende Lösung anbietet und mit der breit installierten Basis bereits eine hohe Bekanntheit aufweist. Bis zum Jahresende soll die Marketingstrategie in zwei bis drei mittelgroßen Städten getestet werden. Unterstützt durch Kooperationspartner wie PayPal könnte in 2017 eine umfassende Einführung starten.

Aufgrund des hohen Anteils margenstarker softwarebasierter Services und damit auch wiederkehrender Erlöse dürfte sich mit bonVito auch das Bruttoergebnis je Kunde um den Faktor fünf bis sieben erhöhen. Rund 2500 Kunden sind bisher für bonVito registriert, dies entspricht lediglich zwei bis drei Prozent der Kundenbasis des Unternehmens. Moderat kalkulierte Prognosen von Warburg Research lassen einen Ebit-Beitrag bis 2020 von rund neun Mio. Euro erwarten. Auch hier besteht natürlich noch mehr Fantasie, denn bonVito kann aufgrund seiner flexiblen Plattform auch auf andere Branchen wie Lieferdienste ausgeweitet werden.

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Kursziel 100 Euro?



Mit dem über die Kapitalerhöhung erzielten Liquiditätszufluss im Frühjahr von 5,9 Mio. Euro verfügt Vectron über eine bessere finanzielle Schlagkraft, um die Vermarktung der Projekte zu fördern. Ob dies allerdings ohne strategische Partnerschaft laufen wird, ist derzeit noch offen. Bei einem Kurs von rund 50 Euro ist das Unternehmen mit rund 80 Mio. Euro an der Börse bewertet. Basierend auf den Schätzungen für die drei positiven Treiber kann noch nicht von einer fairen Bewertung gesprochen werden. Warburg schätzt das Kerngeschäft auf 26 Euro je Aktie, die Fiskalisierung steht für rund 14 Euro. Hinzu kommen die Wachstumsperspektiven über bonVito mit rund 17 Euro je Aktie. Daraus errechnet sich ein Kursziel von 57 Euro.

Je nach unterstellter Entwicklung lassen sich aber auch wesentlich höhere Kursziele rechtfertigen. Die drei Katalysatoren bieten viel Fantasie, Hauck & Aufhäuser sieht die Aktie sogar bei 100 Euro. Ganz so sportliche Perspektiven sollten Neueinsteiger nicht erwarten. Der Small Cap bleibt aber eine der spannendsten Investmentgeschichten. Aufgrund der geringen Marktkapitalisierung sind große institutionelle Investoren noch nicht dabei. Sollte die Erfolgsstory der vergangenen Jahre aber anhalten, könnte sich dies mittelfristig ändern. Nebenwertefans mit Weitblick sollten sich also trotz der starken Rally einkaufen. Ein Stopp bietet sich unter der zuletzt bewährten Nachkaufzone bei 38 bis 40 Euro an.



Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), Gastautor bei n-tv und gern gesehener Vortragsredner. Er hält regelmäßig Webinare, referierte unter anderem beim Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD) und betreute mehrere Jahre für die Commerzbank den Zertifikate-Newsletter ideas daily.

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