Viele Menschen wünschen sich nicht nur insgeheim, gelegentlich in eine virtuelle Welt abtauchen zu können. Vor allem bei Börsianern ist das angesichts von Problemen wie Brexit, US-Zinserhöhungszyklus und Wachstumsschwäche in China kein Wunder.

Der Wunsch ist mittlerweile erfüllbar. Dafür sorgt ein wachsendes Produktangebot aus der sogenannten Virtuellen Realität, kurz VR genannt. Hinter diesem Begriff verbergen sich durch Computertechnologie simulierte, interaktive Modelle der Wirklichkeit. Der Benutzer kann dabei in einer virtuellen Umgebung in den Programmablauf eingreifen und diesen verändern. Einsatz findet die Technik nicht nur im Freizeitbereich, sondern auch in der Industrie, in der Logistik, in Marketing und Produktion sowie in der Medizin oder in der Ausbildung. Das wohl bekannteste Beispiel sind Flugsimulatoren.

Das verfügbare Spektrum im Entertainmentsegment wächst insbesondere seit diesem Jahr beträchtlich. Seit März ist die VR-Brille Oculus Rift am Markt, im April folgte das Konkurrenzprodukt HTC Vive. Sony will außerdem im Oktober die Play Station VR in den Handel bringen. Auch bei der Electronic Entertainment Expo Mitte Juni in Los Angeles war Virtual Reality eindeutig eine der Hauptattraktionen. Allerdings haben die Produktoffensive und der PR-Rummel auf der wichtigsten Videospielemesse der Welt längst nicht jeden Branchenkenner überzeugt. So gibt es nach wie vor Kritiker, die das Ganze nur für einen selbst inszenierten Hype halten. Diese Vorbehalte haben unter anderem mit dem klobigen Aussehen der VR-Brillen zu tun, dem isolierten und damit oft asozialen Charakter der Flucht in künstliche Welten und einem trotz allem immer noch eher begrenzten Spieleangebot.

Alter Hut durch neue Brille betrachtet



Die Skeptiker erinnern insbesondere daran, dass es die Technik, theoretisch jedenfalls, bereits seit den 90er-Jahren gibt. Trotz vieler Vorschusslorbeeren hat es zum ganz großen Durchbruch bisher nie gereicht. Das wird sich zwar möglicherweise künftig ändern, eine Garantie für das Eintreffen der optimistischen Marktprognosen (siehe Seite 4) gibt es aber nicht. Mut macht jedoch die Fürsprache von Techgrößen wie Mark Zuckerberg. Der Facebook-Gründer war 2014 sogar bereit, zwei Milliarden Dollar in die Übernahme des VR-Spezialisten Oculus zu stecken. Neben Facebook und Sony glauben auch andere Großkonzerne wie Alphabet, Apple oder Samsung an die virtuelle Zukunft. Mit ihrer geballten Marktmacht setzen sie alles daran, VR populär zu machen.

Diese Ausgangslage erhöht zwar die Chancen auf einen Durchbruch als Massenprodukt, dennoch bleiben die Zukunftsaussichten von VR ungewiss. Weil dem so ist, scheint es ratsam, bei möglichen Profiteuren des Sektors bevorzugt auf Titel zu setzen, die noch über weitere geschäftliche Standbeine verfügen.

Auf Seite 2: Die Umsetzung dieser Idee ...





Die Umsetzung dieser Idee ist einfach, weil es etliche Branchenvertreter gibt, die diese Bedingung erfüllen. Geachtet werden sollte außerdem auf ein überzeugendes Chartbild. Damit kann beispielsweise Facebook aufwarten. Das Unternehmen bietet unter anderem ein Social-VR-Netzwerk an. Langfristiges Ziel ist es, damit eine neue Kommunikationsplattform aufzubauen. Sollte es gelingen, bei VR mehr soziale Interaktionen zu ermöglichen, dann wäre das nicht nur für die Technik an sich ein Sprung nach vorn, sondern natürlich auch für Vorreiter wie Facebook.

Unabdingbar für den Erfolg von VR ist auch attraktiver Content - und den steuern Spielehersteller bei. Einer davon ist Ubisoft Entertainment. Die Franzosen versuchen zunächst mit Spielen an dem erhofften Megatrend mitzuverdienen. Dabei haben sie mehrere Eisen im Feuer, etwa den VR-Flugsimulator "Eagle Flight", das Social-VR-Spiel "Werewolves Within" oder "Star Trek: Bridge Crew", wo der Spieler auf die Brücke eines Föderationsraumschiffs gebeamt wird. Die Bewertung sieht optisch anspruchsvoll aus, relativiert sich aber, wenn die Schätzungen der Analysten aufgehen. Denn die Branchenexperten rechnen im Konsens von 2016 bis 2019 mit einem Gewinnanstieg von 1,12 Euro auf 2,34 Euro je Aktie. Gestützt wird der Aktienkurs hier übrigens auch durch Vivendi. Der französische Medienkonzern hat seinen Anteil inzwischen auf 20,1 Prozent aufgestockt und zudem den Ankauf weiterer Ubisoft-Aktien angekündigt.

Einen interessanten Eindruck machen auch einige Zulieferer. Das gilt insbesondere für einschlägige Vertreter aus dem Halbleitersektor, denn schließlich lässt sich ohne die passenden Chips und entsprechende Grafikleistung nicht das für die virtuelle Welt erforderliche optimale Gaming-Erlebnis erreichen. Eine führende Stellung nimmt Nvidia dank der VR-Grafikplattform GeForce GTX ein. Seit der Besprechung in BÖRSE ONLINE vor einem Vierteljahr (Ausgabe 15/2016) hat dieser US-Wert schon so stark zugelegt, dass eine Erhöhung des längst übertroffenen ursprünglichen Kursziels von 37,80 Euro erforderlich ist. Sehr gut aufgestellt ist Nvidia übrigens auch in Sachen künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos.

Allerdings sieht sich das Unternehmen, das sich als weltweiter Marktführer für Visual Computing einstuft, mit einem aggressiven Herausforderer konfrontiert. Dabei handelt es sich um den US-Halbleiterkonzern Advanced Micro Devices (AMD), der sich mit dem Angebot von leistungsfähigen und günstigen VR-Grafikkarten aus der hausgemachten Krise herausboxen will. Zielgruppe sind PC-Besitzer, die Interesse an virtueller Realität haben, aber nicht 600 bis 700 Dollar für Hochleistungs-Grafikkarten ausgeben wollen. Die AMD-Technologie LiquidVR hat zuletzt gute Kritiken bekommen, und von den neu angebotenen Grafikkarten versprechen sich Beobachter positive Geschäftsimpulse. Das ist auch bitter nötig, denn noch rechnen Analysten hier für 2016 und 2017 mit Verlusten - ein Punkt, der die Aktie spekulativ macht. Der Kurs ist zuletzt aber angesprungen und hat ein prozyklisches charttechnisches Kaufsignal generiert. Die Hoffnung der Börsianer ist, dass AMD dank der virtuellen Realität wieder reales Geld verdient.



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Datenbrillen: Der Konkurrenzkampf tobt



Große Technologiekonzerne und kleine Spezialanbieter liefern sich einen Wettlauf. Wer sich am Ende durchsetzt, ist offen

Eine Vision lässt die Entertainmentbranche nicht los: Statt vor dem Fernsehbildschirm sollen wir eines Tages mit Virtual-Reality-Brillen auf dem Sofa sitzen. Oder frei im Raum stehen und aktiv mitmachen, Gerüche wahrnehmen, den Wind spüren, das Rauschen des Meeres nicht nur hören, sondern die Wucht der Wellen auch gleich mit dem ganzen Körper erfassen. Gefühlsecht und wirklich mittendrin statt nur dabei.

Science-Fiction ist das längst nicht mehr. Zumindest, was die Bilder anbelangt. "Wir werden in den nächsten Monaten ein verbessertes Produkt nach dem anderen auf den Markt bringen", verspricht etwa Paul Travers, Chef des an der Nasdaq notierten Spezialbrillenherstellers Vuzix. Allerdings ist die Konkurrenz groß. Neben den auf Seite 19 vorgestellten Unternehmen mischen unter anderem die Technologiekonzerne Alphabet, Apple, Baidu, Epson, Intel, Microsoft, Olympus, Panasonic und sogar der Autohersteller Nissan in dem umkämpften Markt mit. Welche Produkte sich am Ende - wenn überhaupt - durchsetzen, ist angesichts der enormen Vielfalt kaum zu prognostizieren. Vuzix etwa musste eine lange Durststrecke durchstehen und verdient sein Geld bislang hauptsächlich mit industriellen Anwendungen: Darunter fallen Datenbrillen, die Barcodes auslesen können, damit die Mitarbeiter in Versandzentren beide Hände frei haben und nicht ständig zum Scanner greifen und diesen wieder weglegen müssen. Das verdoppelt das Arbeitstempo, beim TechDAX-Unternehmen Bechtle sind die Produkte seit Januar im Einsatz. Da viele der Hersteller von smarten Brillen (noch) nicht börsennotiert sind - meist haben sie sich über Crowdfunding finanziert - ist die Auswahl an reinen Virtual-Reality-Werten begrenzt. Der taiwanesische Display-Lieferant Himax hängt bis zu einem gewissen Grad am Erfolg der Brillen Oculus Rift, Google Glass und Microsoft HoloLens.

Japan-Trio mit Licht und Schatten



Ushio, ein japanischer Nebenwert, ist ein aussichtsreicher Spezialist für die Lichtquellen, die für die Brillen benötigt werden, macht jedoch einen charttechnisch angeschlagenen Eindruck. Auch Capcom, ein VR-Spieleentwickler mit Schwerpunkt im Horrorgenre, hat es in mehreren Anläufen nicht geschafft, aus dem Seitwärtstrend auszubrechen. Besser sieht es für den Software-Entwickler Namco Bandai aus, der nur knapp unter dem Jahreshoch bei 22,37 Euro notiert.

Die Branche geht naturgemäß davon aus, dass VR zügig in viele Haushalte vordringt. Auch die Investmentbank Nomura prognostiziert in einer Studie, dass der Absatz von in VR-Systemen verwendeten Datenbrillen (Fachbegriff: Head-Mounted Displays) von weniger als zwei Millionen Einheiten in diesem Jahr bis 2020 auf 40 Millionen steigen wird.

J. P. Gownder, Analyst bei Forrester Research, spricht sogar von einer aufziehenden Virtual-Reality-Welle. Der Marktforscher rechnet damit, dass bis 2020 allein in den USA 52 Millionen VR Head-Mounted Displays und Smartphone-basierte Headsets bei Unternehmen und Konsumenten eingesetzt werden. Eine erhebliche Steigerung verglichen mit den für 2016 erwarteten 3,3 Millionen Einheiten.

Sollte das zutreffen, hat sicher der eine oder andere Profiteur das Zeug zum Kursvervielfacher. Doch immer gibt es auch in Boombranchen Werte, die auf der Strecke bleiben. Alles in allem würden wir deshalb den auf Seite 19 vorgestellten Aktien diversifizierter Konzerne den Vorzug geben. Setzt sich VR durch, verdienen sie sich ein nettes Zubrot. Aber auch ein Scheitern würde sie nicht aus der Bahn werfen.



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