Zugleich widersprach die Finanzmarkt-Expertin der von führenden Banken-Vertretern zuletzt wiederholt geäußerten Darstellung, die Niedrigzinspolitik der EZB sei für die angespannte Lage bei den deutschen Kreditinstituten verantwortlich. Es sei zwar richtig, dass die Niedrigzinspolitik die Ertragslage der Banken belaste und deren traditionelles Geschäftsmodell aushöhle. "Viele Probleme der deutschen Banken begannen früher und sind struktureller Natur. Hierfür kann Herr Draghi nicht verantwortlich gemacht werden", sagte Schnabel.

BÖRSE ONLINE: Frau Prof. Schnabel, die Deutsche Bank und die Commerzbank lagen im jüngsten Banken-Stresstest europaweit am Tabellenende. Auch bei Investoren schwindet das Vertrauen in die Unternehmen rapide. Alleine seit Jahresanfang haben sich die Papiere beider Geldhäuser praktisch halbiert. Wie schlimm ist die Lage bei der Deutschen Bank und der Commerzbank wirklich?


Schnabel: Es gibt derzeit viele Gerüchte über die beiden genannten Banken. Ich halte das für ausgesprochen gefährlich und werde mich an solchen Spekulationen sicher nicht beteiligen.

Der Deutschen Bank droht alleine wegen Immobilien-Tricksereien in den USA eine Strafzahlung von 14 Milliarden Dollar. Die tatsächliche Höhe könnte zwar deutlich geringer ausfallen. Aber um eine Milliardenstrafe wird die Bank wohl kaum vorbei kommen. Dazu gibt es weitere Rechtsrisiken wie den Vorwurf der Geldwäsche in Russland oder den Verdacht von Devisenmarkt-Manipulationen. Für die laufenden Verfahren hat die Deutsche Bank bislang rund 5,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Reicht das?


Das lässt sich nur schwer prognostizieren. In ähnlichen Verfahren waren die Strafzahlungen am Ende deutlich geringer als die anfänglich genannte Summe, aber die Verhandlungsposition der Deutschen Bank wurde durch die frühzeitige Veröffentlichung der Summe vermutlich geschwächt.

Und falls nicht, braucht die Deutsche Bank doch frisches Kapital - entgegen aller Dementis?


Unabhängig von den Rechtsrisiken täte die Bank gut daran, ihr Eigenkapital zu erhöhen, da ihr Eigenkapitalpolster im Vergleich zu anderen großen Banken gering ist. Aber bei den derzeitigen Marktverhältnissen ist das nicht so einfach.

Von welcher Höhe sprechen wir hier?


Das hängt von vielen Faktoren ab, die sich von außen nur schwer beurteilen lassen.

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Auf politische Unterstützung dürfen die Banken offenbar nicht hoffen. Erst am Donnerstag hat der einflussreiche CDU-Finanzpolitiker Hans Michelbach erklärt, dass im Krisenfall Staatshilfen für Banken nicht in Frage kämen. Richtig?


Die Gewährung von Staatshilfen an Banken unterliegt in Europa strengen Regeln - das sind zum einen die neuen Abwicklungsregeln, zum anderen die Beihilferegelungen. Der deutsche Staat ist gut beraten, diese nicht in Frage zu stellen. Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass es im Falle des Falles zu einer Rettung ohne vorherige Gläubigerbeteiligung käme.

Aber kein anderes Kreditinstitut ist hierzulande so systemrelevant wie die Deutsche Bank. Das hat unlängst auch der IWF deutlich gemacht. Hätte die Bundesregierung also im Krisenfall überhaupt eine Wahl?


Natürlich ist die Deutsche Bank ein höchst systemrelevantes Institut, dessen Abwicklung dadurch erschwert würde, dass die Bank global tätig und sehr stark vernetzt ist. Hierdurch steigt der politische Druck für den Staat, die Bank im Falle eines drohenden Zusammenbruchs zu retten.

Als Lehre aus der jüngsten Finanzkrise hat die Politik Eckpfeiler für eine geordnete Bankenabwicklung festgelegt. Aber weder in Italien noch in Spanien sind bislang entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden. Wie wahrscheinlich ist es, dass ausgerechnet Deutschland hier im Zweifelsfalle eine Vorreiterrolle übernehmen würde?


Deutschland ist in der Krise immer für das Einhalten von Regeln eingetreten und hatte einen wesentlichen Anteil an der Ausgestaltung der neuen Regeln zur Bankenabwicklung. Will man die neuen Regeln nicht gleich zu Beginn beschädigen, muss man sie erst recht im eigenen Land befolgen.

Auf Seite 3: Wann sich die Lage für die Banken-Branche wieder bessern könnte





Müssten die Eigenkapital-Vorschriften in den nächsten Jahren nicht schrittweise weiter erhöht werde, um das Bankensystem langfristig zu stabilisieren?


Meines Erachtens hat man in der Vergangenheit zu stark auf risikogewichtete Eigenkapitalquoten und auf bail-in-fähige Schuldtitel gesetzt. Das hat die Komplexität der Regulierung massiv erhöht. Zwar soll auch eine nicht-risikogewichtete regulatorische Eigenkapitalquote eingeführt werden, aber diese ist mit 3 Prozent viel zu niedrig. Sie sollte deutlich angehoben werden, vor allem für systemrelevante Banken.

Es gibt unter Beobachtern auch Überlegungen, langfristig noch einen Schritt weiterzugehen und Investmentbanking und das traditionelle Einlagen- und Kreditgeschäft grundsätzlich voneinander zu trennen. Halten Sie das für sinnvoll?


Ich halte das für wenig zielführend. Dieser Vorschlag beruht auf der Fiktion, dass es "sicheres" und "riskantes" Bankgeschäft gibt und dass sich ersteres mit dem traditionellen Bankgeschäft und letzteres mit dem Investmentbanking verbindet. Das stimmt so nicht. Auch aus dem traditionellen Bankgeschäft können erhebliche Risiken erwachsen.

Viele deutsche Kreditinstitute sehen eine Teilschuld für ihre vielfach angespannte Lage auch in der Niedrigzinspolitik der EZB. Ist also Mario Draghi Schuld am Zustand des deutschen Bankensystems?


Die Niedrigzinspolitik belastet die Ertragslage der Banken und höhlt das traditionelle Geschäftsmodell aus, was sich allerdings erst in der Zukunft deutlicher auswirken wird. Viele Probleme der deutschen Banken begannen früher und sind struktureller Natur. Hierfür kann Herr Draghi nicht verantwortlich gemacht werden.

Was müsste passieren, damit sich die Lage für die deutschen Kreditinstitute grundlegend aufhellt?


Solange die Niedrigzinsphase anhält, bleibt das Bankgeschäft schwierig. Die Banken müssen sich an die neuen Bedingungen anpassen und tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln, die es ihnen erlauben, auch in einem Umfeld von Niedrigzinsen, Digitalisierung und wachsender Regulierung profitabel zu sein. An Kostensenkungen, zum Beispiel durch Filialschließungen, wird kein Weg vorbeiführen. Auch Bankenzusammenschlüsse können vor allem bei kleineren Banken sinnvoll sein.

Zur Person



Isabel Schnabel (Jhg. 1971) ist Professorin für Finanzmarktökonomie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie Forschungsprofessorin am Centre for Economic Policy Research (CEPR) und am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Bankenregulierung und Finanzkrisen. Im Juni 2014 wurde Schnabel in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen. Die Volkswirtin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der "Best Teaching Award" der Goethe-Uni Frankfurt für herausragende Leistungen in der Lehre. Schnabel ist verheiratet und hat drei Kinder.