Herr Borowski, gefährdet die Dollaraufwertung den Aufschwung in den USA?
Didier Borowski: Nein. Zwar spüren die exportorientierten Unternehmen die Folgen des festen Dollar. Auch können ausländische Firmen in den USA nun günstiger ihre Produkte anbieten. Das belastet die Kursentwicklung. Der S & P 500 hat ja auch im Vergleich zum Euro Stoxx seit Jahresanfang deutlich schlechter abgeschnitten. Die Erholung der USVolkswirtschaft bleibt trotz sinkender Unternehmensgewinne dennoch intakt. Die Arbeitslosenrate ist mittlerweile auf 5,6 Prozent gesunken, die Lage auf dem Jobmarkt wird sich weiter entspannen.

Das hebt die Stimmung der Verbraucher?
Ja, US-Konsumenten erwarten höhere Löhne, sie werden daher nicht sparen, sondern ihre Ausgaben erhöhen. Für Optimismus bei den Verbrauchern sorgen auch die anziehenden Häuserpreise. Dies wiederum sollte die Unternehmen zu vermehrten Investitionen motivieren.

Ist das steigende Konsumentenvertrauen auch auf den niedrigen Ölpreis zurückführen?
Sicherlich. Aber die günstigen Energiekosten werden erst später - wahrscheinlich ab dem zweiten Halbjahr 2015 - ihre positive Wirkung auf die USKonjunktur voll entfalten.

Der IWF erwartet für die USA in diesem Jahr ein Wachstumsplus von über drei Prozent. Ist das eine realistische Prognose?
Wir sind ein wenig vorsichtiger und erwarten einen Zuwachs von lediglich 2,7 Prozent, vielleicht fällt das Wachstum des US-Bruttoinlandprodukts sogar noch ein wenig geringer aus. Wichtig ist zudem, dass die ökonomische Verlangsamung im ersten Quartal nur eine Konjunkturdelle ist und dass das durchschnittliche Wachstum 2015 und 2016 über dem Potenzialwachstum liegt.

Wird die US-Notenbank dennoch die Zinsen in diesem Sommer erhöhen?
In der Abschlusserklärung der Fed-Sitzung im März wurde das Wort "geduldig" gestrichen, was Marktteilnehmer als klaren Hinweis auf eine baldige Erhöhung interpretierten. Doch die US-Notenbank ist nicht in Eile, die Zinswende einzuleiten. Erstens ist die Inflation schwach, nicht nur wegen des niedrigen Ölpreises, auch der hohe Dollarkurs dämpft den Preisauftrieb. Zudem hat die Dollaraufwertung den geldpolitischen Rahmen bereits merklich eingeengt. Im März lag die Teuerungsrate bei minus 0,1 Prozent und die von der Fed noch stärker beachtete Kerninflation verharrte bei niedrigen 1,4 Prozent. Zweitens erwarten wir nicht, dass steigende Löhne die Inflation so schnell antreiben. Wir gehen daher davon aus, dass die Fed die Zinsen erst im Dezember und in kleinen Schritten anheben wird.

Die Europäische Zentralbank hat das Anleihekaufprogramm gerade gestartet. Wird es ihr gelingen, bis 2016 die Inflation anzuheben?
Das dürfte schwer werden, da die deflationären Tendenzen in der Eurozone doch sehr hartnäckig sind. Es wird im September 2016 auf keinen Fall einen abrupten Stopp der Anleihekäufe geben. Für die Bondmärkte und die Wirtschaft wäre dies ein Schock. Ich will auch nicht ausschließen, dass die Lockerungsmaßnahmen nach September 2016 fortgeführt werden. Um die Arbeitslosigkeit abzubauen und etwas Inflation zu erzeugen, brauchen wir in der Eurozone aber weitaus mehr als nur eine zyklische Erholung.

Auf Seite 2: Die Pläne der EZB bis September 2016





60 Milliarden Euro pro Monat reichen nicht?
Das EZB-Programm umfasst bis September 2016 in der Summe mehr als eine Billion Euro. Dies entspricht rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone. Das Volumen sieht zwar eindrucksvoll aus, liegt aber unter dem Niveau dessen, was die amerikanische und die japanische Notenbank bereits unternommen haben.

Die Anleihekäufe sollen auch die Konjunktur beleben. Sehen Sie bereits erste Erfolge?
Ja. Seit der Ankündigung der Maßnahmen im Januar wurden die Wachstumsprognosen kontinuierlich erhöht. Sowohl das Konsumenten- als auch das Unternehmervertrauen in der Eurozone steigen. Auch haben die Banken die Kreditvergabe ausgeweitet und die Zinsen für Kredite an kleinere und mittelgroße Unternehmen gesenkt. Die quantitative Lockerung und die Euroabwertung allein reichen aber nicht, um den Aufschwung dauerhaft zu machen Dazu bedarf es weiterhin struktureller Reformen seitens der Regierungen.

Was muss angepackt werden?
Neben der Deregulierung des Arbeitsmarkts und niedrigen Unternehmenssteuern müssen die Staaten insbesondere Innovationen und private Investitionen fördern. Deshalb ist auch der Juncker-Plan so wichtig. Damit sollen Investitionen von über 300 Milliarden Euro angestoßen werden. Ein Großteil der Mittel soll von privaten Investoren kommen. Da die Strukturreformen kurzfristig Deflationstendenzen mit sich bringen, brauchen wir jedoch parallel dazu einen Plan zur Ankurbelung des Wachstums.

Spanien, Portugal und nun auch Italien erhalten für ihren Sparwillen und Reformeifer Lob. Kritik gibt es dagegen für Frankreich. Zu Recht?
Nein. Auch die französische Regierung hat erkannt, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit steigern muss. Selbst die unabhängige OECD bestätigte Paris jüngst Fortschritte. So entsprechen die Steuererleichterungen für Unternehmen aus dem Jahr 2014 immerhin einer sechsprozentigen Senkung der Lohnkosten für Mitarbeiter, deren Einkommen unter dem 2,5-Fachen des Mindestlohns liegt. Darüber hinaus gibt es viele weitere Beispiele, etwa die Lockerung der Bestimmungen für freie Berufe wie Notare. Die Maßnahmen kommen allerdings 15 Jahre zu spät. Reformen in einem Umfeld mit niedrigem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit umzusetzen, ist und bleibt schwierig.

Paris bekommt mehr Zeit, um das Defizitziel zu erreichen. Dämpft dies den Sparwillen?
Nein. Eine zu starke Konzentration aufs Sparen macht derzeit keinen Sinn, da dies das Wachstum in einem kritischen Moment bremsen würde. Wichtiger ist die Verpflichtung der Regierung, Strukturreformen zur Steigerung des Potenzialwachstums umzusetzen und das strukturelle Defizit abzubauen. Von 2015 bis 2018 sollte das Strukturdefizit jährlich um 0,5 Prozent abgebaut werden. Frankreich ist spät dran - aber es war in puncto Reformen nie so aktiv wie heute.

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Didier Borowski

Didier Borowski ist seit dem Jahr 2010 Chefvolkswirt der französischen Investmentgesellschaft Amundi. Von 2000 bis 2009 arbeitete er für Société Générale Asset Management. Zuvor war Borowski unter anderem im französischen Finanzministerium und für die Europäische Kommission tätig. Zwei Jahre lang arbeitete er im Wirtschaftsministerium der Zentralafrikanischen Republik. Borowski studierte Wirtschaftswissenschaften und übte mehrere Jahre eine Lehrtätigkeit an der Universität Paris-Nord aus.