Herr Dimitrov, der in Dollar notierende russische Leitindex RTS hat seit Jahresanfang 41 Prozent verloren. Geht es noch weiter nach unten oder zeichnet sich mittlerweile eine Bodenbildung ab?
Der russische Aktienmarkt ist mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter fünf sehr günstig bewertet. Für die Masse der Investoren ist das dennoch kein Einstiegsgrund. Sie treffen ihre Anlageentscheidung vor allem anhand von Top-Down-Analysen. Die Ergebnisse aber mahnen zur Vorsicht. Die Sanktionen der westlichen Staaten, der fallende Ölpreis und die Rubelschwäche hinterlassen immer deutlicher ihre Spuren in der russischen Wirtschaft.

Gibt es russische Unternehmen, die sich dem Abwärtstrend an der Börse in Moskau bislang erfolgreich entzogen haben?
Ja, zum Beispiel Norilsk Nickel. Die Aktie des Metallproduzenten zog in den vergangenen Wochen an. Der Nickelpreis steigt, zudem konnten die Exporte ausgebaut werden. Das Unternehmen erzielt seine Erlöse in ausländischer Währung, die Kosten fallen in Rubel an. Zudem weist Norils Nickel eine Dividendenrendite von über zehn Prozent auf. Norilsk Nickel ist für die Investoren derzeit eine der wenigen Zufluchtsmöglichkeiten. Der Gesamtmarkt wird jedoch von der Mehrheit der Investoren weiterhin als riskant eingestuft. Damit die Kurse sich wieder erholen, bedarf es wohl eines Abbaus der Spannungen zwischen den westlichen Industriestaaten und Russland. Danach sieht es bislang aber nicht aus.

Die Weltbank erwartet, das Russlands Wirtschaft im kommenden Jahr um 0,7 Prozent schrumpft. Kann das Minus noch größer ausfallen?
Es ist erstaunlich, das Russlands Wirtschaft nicht schon in diesem Jahr in die Rezession gerutscht ist. Der Abschwung kann sich im kommenden Jahr durchaus noch beschleunigen, sollten die Ölnotierungen weiter nach unten tendieren. Durch den Preisverfall gehen ja nicht nur die Budgeteinnahmen zurück, es werden auch Investitionen gekürzt, zudem fallen die realen Einkommen, was wiederum den Konsum belastet. Schon jetzt halten sich die Verbraucher zurück, da die Inflation aufgrund des schwachen Rubels und damit einhergehenden höheren Importkosten auf über neun Prozent gestiegen ist.

Auf Seite 2: Warum westliche Sanktionen eine Chance bieten



Russischen Politikern zufolge sind die westlichen Sanktionen eine Chance, die Abhängigkeit vom Öl abzubauen und die Wirtschaft zu diversifizieren. Ist das eine realistische Einschätzung?
In der Vergangenheit ist ja schon einiges in Richtung Diversifizierung passiert. Der Handelskonzern Magnit etwa entwickelt eigene Agrarprodukte und Marken. Die Notwendigkeit, verbotene Importwaren zu substituieren, dürfte den Prozess noch beschleunigen. Doch der Umbau der russischen Wirtschaft wird Jahre in Anspruch nehmen. Die derzeitigen Sanktionen bremsen die notwendige Entwicklung mehr, als sie sie fördern. Die notwendige Diversifizierung lässt sich nur schwer ohne westliches Know-how und ausländische Direktinvestitionen durchführen. Aber auch russische Unternehmen brauchen Planungssicherheit, die ist derzeit aber nicht in dem nötigen Maß gegeben. Voraussetzung dafür, das der Umbau wieder vorangetrieben werden kann, ist ein stabiler Rubel und eine Beruhigung beim Ölpreis.

Ist der niedrige Ölpreis derzeit nur das Ergebnis von Angebot und Nachfrage beziehungsweise von ungekürzten Förderquoten oder spielen weitere Faktoren eine Rolle?
Der Ölpreis neigt zum Überschießen, sowohl nach oben als auch nach unten, weil auch Finanzinvestoren sich engagieren. Derzeit überwiegt die Angst vor einer zu schwachen Entwicklung der Weltwirtschaft. Zwar gibt es Lichtblicke wie die Erholung in den USA. Auch in einigen asiatischen Staaten belebt sich die Konjunktur. Doch insgesamt ist das globale Wachstumstempo doch noch sehr verhalten. Insbesondere die nachlassende Dynamik in China bereitet Sorge.

Versuche der russischen Zentralbank, durch den Verkauf von Dollar-Reserven den Rubel zu stärken, waren bislang nicht erfolgreich. Ist die Mitte November erfolgte Freigabe des Wechselkurses der bessere Weg?
Angesichts der schwindenden Devisenreserven war dies die richtige Entscheidung. Die Freigabe war eigentlich erst für das Jahr 2016 vorgesehen gewesen, wurde nun aber vorgezogen. Es werden voraussichtlich aber auch künftig Interventionen der Notenbank notwendig sein, um den Rubel zu stärken. Der Außenwert der russischen Währung ist eng an die Entwicklungen beim Ölpreis gebunden. Auch müssen russische Unternehmen vermehrt Rubel in Dollar tauschen, da sie vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten sind. Das drückt den Rubelkurs. Die Mittel zur Verhinderung eines weiteren Abrutschens der Währung sind aber noch vorhanden. Die Devisenreserven Russlands belaufen sich auf über 700 Milliarden Dollar.

Auf Seite 3: Erhöhung der Zinsen: Wie jetzt agiert werden muss



Die russische Zentralbank hat in dieser Woche auch noch die Zinsen erhöht. Schadet sie durch die Entscheidung der russischen Wirtschaft nicht mehr, als sie ihr nützt?
Das ist natürlich eine zusätzliche Belastung. Für die Zentralbank ist das aber auch ein schwieriger Balanceakt. Einerseits muss sie die Kapitalflucht verhindern, andererseits dämpft sie durch Zinserhöhungen die Investitionsbereitschaft. Aktuell beträgt der Zinssatz 10,5 Prozent, weitere Zinsschritte sind nicht ausgeschlossen.

Wie agieren Sie als Fondsmanager in einem so schwierigen Umfeld?
Wir versuchen unter anderem Unternehmen zu vermeiden, die vom Inlandskonsum abhängen, wie zum Beispiel Versorger oder Telekommunikation. Auch im Energiesektor sind wir vorsichtig, vor allem aber versuchen wir Banken zu vermeiden.

Die Gründe?
Die Zahl fauler Kredite wächst, insbesondere bei den Regionalbanken. Den Unternehmen fällt es zunehmend schwerer, ihren Schuldenverpflichtungen nachzukommen. Der russische Bankensektor rutscht in eine Krise.

Schwindet angesichts der Folgen für die Wirtschaft die Unterstützung der Unternehmer für den außenpolitischen Kurs des Kremls?
Das ist von außen sehr schwer zu beurteilen. Einige dürften aber zwischen Patriotismus und Brieftasche schwanken.

Auf Seite 4: Alexandre Dimitrov im Profil



Im Profil

Alexandre Dimitrov leitet seit dem Jahr 2010 das Osteuropa Aktienfondsmanagement der österreichischen Gesellschaft Erste Asset Management. Zuvor war er für den Osteuropa- Aktienhandel der UniCredit in London verantwortlich. Dimitrov war zudem als Berater der bulgarischen Regierung tätig und von Banken und Versicherungen - stets mit Fokus auf Aktienveranlagungen in den zentral- und osteuropäischen Ländern.