China hat die Anleger geschockt. Während insbesondere in Europa viele Anleger nur Richtung Griechenland geschaut haben, ob der Grexit kommt, oder die Regierung doch einen Sanierungsplan vorlegt, ist in China die Börse massiv eingebrochen. Binnen vier Wochen hat etwa der Shanghai A Index rund 30 Prozent an Wert verloren. Und obwohl der Index zwischenzeitlich wieder zehn Prozent aufgeholt hat, sinnen die Anleger weltweit darüber nach, ob die Talfahrt beendet ist - oder ob noch etwas nachkommt.



Juan Nevado, Manager des M&G Dynamic Allocation Fund, sieht beispielsweise keinen spezifischen Anlass für den Kursturz. Zwar hätten sich die Wirtschaftsdaten in China abgeschwächt, die Exporte sinken seit Anfang des Jahres und in der Quartalsbetrachtung sei ersten Schätzungen zufolge auch das Bruttoinlandsprodukt gesunken. Doch davon hätten sich die Marktteilnehmer im Prinzip wenig beunruhigt gezeigt, so seine Beobachtung. Vielmehr sieht er das Phänomen der Simplifizierung: "Anleger neigen in unruhigen Zeiten dazu, sich auf ein einzelnes Thema wie etwa die Euro-Krise zu konzentrieren", sagt er. "Dann reicht ein eigentlich unbedeutendes Ereignis, um ein anderes Thema wieder ins Blickfeld zu rücken." Beispielsweise China. Was genau der Auslöser für Chinas Börseneinbruch war, werde sich wahrscheinlich nie klären lassen, so Nevado, doch die Anleger sollten die weitere Entwicklung wachsam verfolgen.

Laura Luo von Baring Asset Management hat indes zwei Hauptgründe für den Anstieg der Volatilität an Chinas Aktienmärkten ausgemacht: Gewinnmitnahmen anlässlich des kräftigen Anstiegs, den Chinas Börsen seit Juli 2014 erlebt haben, sowie die Entscheidung der chinesischen Wertpapieraufsicht, fremdfinanzierte Investitionen einzudämmen. Hinsichtlich der Gewinnmitnahmen hatten Börsianer in der Tat einiges abzuschöpfen. Schließlich ist beispielsweise der Shanghai A Index seit Juli 2014 bis zum Peak im Juni 2015 um 150 Prozent rasant angestiegen, wie der Chart zeigt. Und hinsichtlich der Regulierung versucht die chinesische Regierung schon länger, die heiß gelaufene Spekulation in geordnete Bahnen zu lenken. Im aktuellen Fall waren die Folgen allerdings heftig.

Auf Seite 2: Investoren wurden auf dem falschen Fuß erwischt





Die Investoren, die chinesische Aktien auf Kredit gekauft haben, wurden offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. Wenn die Kurse fallen, nehmen die Sicherheiten für die Kredite - in der Regel die gekauften Aktien - im Wert ab, weshalb die betroffenen Investoren entweder neue Sicherheiten einbringen oder ihre Positionen auflösen müssen. Letzteres ist nach Einschätzung der Beobachter im größeren Stil passiert. "Mit dem Abwärtstrend erhöhte sich der Druck zum Abbau der Schuldenlast durch den Verkauf von Aktien", formuliert es Laura Luo.

Asoka Wöhrmann, Chief Investment Officer der Deutschen Asset & Wealth Management, sieht das ähnlich. Seiner Meinung nach können sich etwa die Notierungen der chinesischen A-Aktien - Werte, die in Renminbi notieren und überwiegend von Inländern gehandelt werden - erst dann wieder erholen, wenn die "Margin Calls" enden. Wenn also die betroffenen Investoren nicht mehr verkaufen müssen, um kreditfinanzierte Positionen glattzustellen. H-Aktien wiederum - also China-Aktien, die in Hongkong gehandelt werden - könnten sich seiner Ansicht nach stabilisieren, wenn ausländische Investoren wieder kaufen. Doch bislang sei das nicht in ausreichendem Maß geschehen.

Auf Seite 3: Chinesische Aktien haben sich deutlich verbilligt





Infolge des Kurssturzes haben sich chinesische Aktien deutlich verbilligt, wie Wöhrmann vorrechnet. So stünde der MSCI China Index bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von nur noch 9, was einen Abschlag gegenüber dem S&P 500 Index von 45 Prozent bedeute und gegenüber dem MSCI Emerging Markets Index von 18 Prozent. Eine Kaufgelegenheit also. Doch allzu schnell erwartet der CIO keine Entspannung: "Wir gehen davon aus, dass sich der jetzige Verkaufsdruck bis in den Sommer halten wird und warten auf Kaufgelegenheiten im Herbst", sagt Wöhrmann. Die Wende der aktuellen Situation könnte durch die Behörden herbeigeführt werden, indem etwa staatsnahe Firmen zum Kauf von Aktien aufgefordert werden, oder indem die Transaktionssteuer gesenkt und die staatliche Werbetrommel zum breiten Aktienkauf kräftig gerührt werde.

Relativ optimistisch gibt sich Barings-Managerin Luo. Sie hält die Auswirkungen des Marktrückgangs auf die chinesische Wirtschaft für begrenzt. Allenfalls fürchtet sie Folgen für den Konsumsektor und für Bereiche der Finanzbranche, wie etwa Maklerunternehmen. Sie erwartet Aktivitäten der Regierung zur Wiederherstellung des Vertrauens. Beispielsweise in Form geldpolitischer Maßnahmen. Das dürfte auch die Investoren bewegen, wieder an den Markt zurückzukehren, so Luos Kalkül.

Obwohl sie eine weitere Phase der Volatilität nicht ausschließen möchte, betrachtet die Barings-Expertin die jüngste Entwicklung als technisch bedingt und nicht fundamental getrieben. Die guten Investitionsaussichten in China hätten sich fundamental nicht verändert, "sondern lediglich das Bewertungsniveau". Im Rahmen der hauseigenen Analysen bescheinigt Luo chinesischen Aktien mittel- bis langfristig ein hohes Aufwärtspotenzial. Insbesondere gelte dies für Unternehmen, die in der Städtebauentwicklung, dem Dienstleistungsbereich und dem Export tätig sind, sowie solchen Titeln, die vom Aufstieg chinesischer Marken profitieren können.

Fazit: Der jüngste Einbruch chinesischer Aktien hat viele Anleger unvorbereitet getroffen. Die Experten sehen allerdings die fundamentale Situation als unverändert positiv an und beurteilen die gefallenen Kurse vielfach als Einstiegsgelegenheit.