Herr Kater, leidet unter der VW-Abgasmanipulation das Image "Made in Germany"?


Ulrich Kater: Nein. Die Qualitätserfahrungen, die ausländische Kunden mit "Made in Germany" gemacht haben, waren dafür zu positiv. Deutschland würde sonst nicht zu den exportstärksten Nationen der Welt zählen. Das Fehlverhalten eines Konzerns ändert nichts an den generell guten Eigenschaften deutscher Produkte. Die Nachfrage wird weiterhin hoch bleiben.

Warum ist die Empörung über den VW-Betrug im Ausland, nicht zuletzt in Frankreich, so hoch?


Deutschland steht mit seinen Produkten mit vielen Ländern im Wettbewerb. Im Volkswagen-Debakel sehen die Konkurrenten nun auch eine gute Gelegenheit, zumindest kommunikativ Marktanteile zu gewinnen.

Schadet Volkswagen auf politischer Ebene?


Ich glaube nicht, dass es der Bundesregierung wegen VW künftig in politischen Diskussionen schwerer fallen wird, auf der Erfüllung von Regeln zu bestehen.

Wie wichtig sind die Automobilhersteller für Deutschlands Wirtschaft?


Die Branche trägt rund vier Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, bestimmte Regionen in Deutschland sind extrem abhängig von den Verkaufserfolgen der Hersteller. Wenn die VW-Thematik etwas Gutes hat, dann dass sie an die Einseitigkeit des Geschäftsmodells Deutschlands erinnert. Die deutsche Wirtschaft ist zu industrielastig. Das ist ein Risiko. Deutschland muss sein Geschäftsmodell erweitern, insbesondere in den Dienstleistungsbereich hinein.

Muss wegen Volkswagen und des dadurch möglichen Schadens für andere Automobilhersteller die Wachstumsprognose für Deutschland revidiert werden?


Nein. Selbst wenn, was völlig unwahrscheinlich ist, kein weiteres deutsches Automobil in den USA verkauft werden sollte, würde dies das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts um gerade mal gut einen Prozentpunkt dämpfen. Ich bin mir aber sicher, dass auch Volkswagen in den USA weiterhin Fahrzeuge verkaufen wird.

Wie stark beeinflusst die Kursentwicklung von Automobilwerten den deutschen Leitindex?


Die vier im DAX gelisteten Werte - VW, Daimler, BMW und Continental - bringen es bei den gegenwärtigen Kursverhältnissen zusammen auf eine Marktkapitalisierung von 15 Prozent. Kursverluste der Branchen fallen daher schon ins Gewicht. Da sich die Folgen der Umweltproblematik für die Branche noch nicht einschätzen lassen, hat der Markt gegenüber Autowerten derzeit einen Sicherheitsabschlag eingepreist. Das ist normal, auch wenn der Abschlag übertrieben erscheinen mag. Die Börse dient hier als ein Risikoseismograf. Sollten sich die Folgen als weniger gravierend herausstellen, dürfte die Übertreibung relativ schnell wieder korrigiert werden.

Die Abgasmanipulation wurde von US-Behörden festgestellt. Warum haben deutsche Stellen nichts bemerkt?


Jedes Unternehmen versucht sich gegenüber Aufsichtsbehörden so gut wie möglich darzustellen. Die Grenze zur Gesetzeswidrigkeit kann dabei überschritten werden. Es mag sein, dass US-Behörden speziell in puncto Autoabgase sorgfältiger hinschauen. Es wäre aber falsch davon auszugehen, dass Deutschlands Aufsichtsbehörden generell keinen guten Job machen. In Deutschland wird schon sehr umfassend auf die Einhaltung von Regeln gedrungen.

Relativiert die Entdeckung der Abgasmanipulation durch US-Behörden Bedenken gegen das Freihandelsabkommen TTIP?


Das wird die Kritiker nicht beruhigen. Ihnen geht es um den Erhalt der kulturellen Vielfalt, auch fürchten sie einen Verlust nationaler Regulierungskompetenz. Meiner Meinung nach überwiegen die Vorteile des Freihandelsabkommens aber klar.

Die deutsche Industrie sorgt sich neben den Folgen der Abgasmanipulation um den wichtigen Absatzpartner China. Wie ernst ist die konjunkturelle Abkühlung im Reich der Mitte?


China ist nach den USA für Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner. Zweifellos fällt die Dynamik nicht mehr so stark aus, wir erleben derzeit aber keinen dramatischen Einbruch. China erzielt immer noch hohe Wachstumsraten, deutsche Unternehmen werden daher auch weiterhin in China Geld verdienen. Zudem kommt die Verlangsamung nicht über Nacht, sondern ist schon seit 2014 klar zu erkennen. Deutsche Unternehmen hatten und haben Zeit, sich darauf einstellen.

Die französische Bank Société Générale empfahl ihren Kunden vor Kurzem, sich vom DAX wegen dessen hohem China-Exposure fernzuhalten. Teilen Sie die Auffassung?


Nein, die China-Ängste sind übertrieben. Zudem lassen sich schwerlich Alternativen finden. Auch in anderen europäischen Leitindizes finden sich Unternehmen, die den chinesischen Markt beliefern. Im französischen CAC 40 sind dies Hersteller von Luxusgütern. Wer wegen China pessimistisch ist, sollte sich besser bei deutschen Werten aus der zweiten Reihe positionieren.

Seit April hat der deutsche Leitindex 20 Prozent verloren. Hält die Talfahrt Ihrer Meinung nach an?


Die Schwankungen dürften noch eine Weile hoch bleiben, ein Crash ist aber nicht zu befürchten. Ein Großteil der Risikoszenarien ist eingepreist. Ein DAX-Stand von über 10 000 Punkten ist aus meiner Sicht fundamental gerechtfertigt.

Erleben wir derzeit eine gesunde Korrektur?


Ja, ich würde mich unwohler fühlen, wenn der DAX 15 000 Punkte erreicht hätte. Die Anleger haben mittlerweile erkannt, dass es nicht immer nur nach oben geht. Auch die Einstellung der Investoren gegenüber den Notenbanken hat sich geändert. Sie wissen, diese können zwar stabilisierend eingreifen, doch sie können nicht Wachstum erzeugen. Das ist positiv zu bewerten.

Im Profil



Ulrich Kater studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Göttingen und Köln und promovierte im Jahr 1995. Von 1995 bis 1999 war Kater im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich. Ab 1999 arbeitete er am Aufbau der Volkswirtschaftlichen Abteilung der DekaBank und seit dem Jahr 2004 ist er deren Chefvolkswirt.