Herr Würmli, der Ölpreis hat sich innerhalb eines halben Jahres mehr als halbiert. Die rasante Talfahrt hat viele überrascht, die erdölproduzierenden Staaten gingen in ihren Haushaltsplanungen von 70 bis über 100 Dollar aus. Was hat den Preissturz ausgelöst?
Die Entwicklung hat in der Tat Produzenten und vor allem Investoren auf dem falschen Fuß erwischt. Im März vergangenen Jahres war der Markt noch übermäßig bullish, die Futures signalisierten einen nachhaltigen Anstieg. Doch die reale Nachfrage enttäuschte, das Wachstum der Weltwirtschaft blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück. Gleichzeitig hat sich das Ölangebot, insbesondere durch das starke Wachstum der Schieferölindustrie in Nordamerika, erhöht, die USA sind inzwischen weltweit der größte Ölproduzent. Wir haben derzeit ein Überangebot von täglich 1,5 Millionen Barrel.

Wie weit kann der Ölpreis noch fallen?
Der Markt will jetzt die 40 Dollar pro Barrel sehen. Auch tiefere Preise sind vorstellbar. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass Korrekturen beim Ölpreis sehr heftig ausfallen können, aber nicht allzu lange dauern. Bis der Boden gefunden wird, dürfte es noch sechs bis acht Monate dauern. Die Erholung dauert in der Regel aber wesentlich länger. In welche Höhen der Ölpreis wieder steigen wird, lässt sich schwer prognostizieren, 60 Dollar im Verlauf des kommenden Jahres sollten aber möglich sein. Mittelfristig sind dann wieder Notierungen von 70 bis 80 Dollar drin.

Eine Garantie gibt es dafür aber nicht?
Nein. Allerdings sind die Ölkontrakte für das Jahr 2017 zuletzt nicht mehr gefallen. Das deutet auf wieder anziehende Preise hin.

Warum erholt sich der Ölpreis langsamer als er fällt?
Große Nachfrageländer wie China kaufen derzeit so viel Öl wie möglich. Ist der Ölpreis wieder auf etwa 60 Dollar gestiegen, ist der Bedarf erst einmal gedeckt. Sie fragen dann deutlich weniger nach.

Ab welchem Preis wird es für Fracking-Unternehmen in Kanada und den USA unrentabel zu fördern?
Bei Eagle Fort Shale etwa liegt die Gewinnschwelle bei 43 Dollar. Ein so niedriger Break-even ist aber die Ausnahme. Im Schnitt rechnet es sich für die Schieferölindustrie bei rund 60 Dollar pro Barrel. Die Unternehmen wollen aber nicht nur den Break-even erreichen, sondern auch für die eingegangenen Risiken angemessen entlohnt werden.

Geben viele Fracking-Firmen jetzt auf?
2015 sind die meisten Unternehmen noch abgesichert, sie profitieren zudem von den sinkenden Kosten. Denn Ölservice-Unternehmen wie Schlumberger müssen ihre Dienste nun zu günstigeren Konditionen anbieten. Im nächsten Jahr ist jedoch mit einer größeren Konsolidierung zu rechnen. Zahlreiche Unternehmen sind hoch verschuldet, die Banken werden angesichts des niedrigen Ölpreises deutlich restriktiver als bislang Mittel zur Finanzierung neuer Bohrungen bereitstellen. Die düsteren Aussichten spiegeln sich schon jetzt in den Kursen. Einige Aktien sind bis zu 80 Prozent gesunken.

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Lohnen sich auch Tiefseebohrungen nicht mehr?
Die Kosten sind enorm hoch, die Förderung rechnet sich nur bei einem hohen Ölpreis. Doch die Arbeiten können nicht von heute auf morgen eingestellt werden. Das schlägt sich negativ in der Bilanz nieder.

Ist der Traum von der Energieautonomie in den USA nun vorbei?
Nein, die USA sind weiterhin auf einem guten Weg. Unserer Ansicht nach werden die USA künftig ihren Energiebedarf verstärkt durch Gas decken. An dem Rohstoff ist kein Mangel. Die Erdgasreserven der USA reichen für die nächsten 100 Jahre. Auch global sollten die Gasnachfrage und der Gaspreis anziehen, da die Umweltbelastungen im Vergleich zu Öl geringer sind.

Saudi-Arabien ist, im Gegensatz zu früheren Phasen, bislang nicht bereit, die Ölförderung zu kürzen und so das Angebot zu reduzieren. Der Ölminister des Landes sagt, man könne sogar einen Preis von 20 Dollar verkraften. Eine realistische Einschätzung?
Saudi-Arabien kann sicherlich deutlich länger als andere Staaten wie zum Beispiel der Iran eine Phase niedriger Preise aushalten. Doch die Scheichs müssen die Ölinfrastruktur erhalten beziehungsweise in deren Modernisierung investieren. Zudem will Saudi-Arabien seine Wirtschaft diversifizieren. Einnahmen aus dem Ölexport sind auch notwendig, um die Wohltaten an die Bevölkerung zu finanzieren. Würde der Ölpreis zwei bis drei Jahre bei 20 Dollar notieren, dann hätte auch Riad ein Problem.

Die Scheichs wollen die Fracking-Konkurrenz aus dem Markt drängen?
Ja, sie verfahren nach dem Motto "short term pain, long term gain", das heißt, sie gehen kurzfristige Nachteile ein, um sich langfristige Vorteile zu verschaffen.

Große Ölunternehmen wie ExxonMobil oder Texaco haben im Vergleich zu Fracking-Unternehmen oder den Herstellern von Bohrinseln deutlich weniger an der Börse verloren. Warum?
Sie sind breiter aufgestellt, die Einnahmen aus ihren Chemieaktivitäten schützt sie vor allzu starken Gewinneinbrüchen. Die Dickschiffe der Branche sind auch wegen ihrer hohen Dividendenrenditen gesucht. Die Anleger werden so für das Warten auf wieder anziehende Ölnotierungen entschädigt.

Ist jetzt ein guter Zeitpunkt zum Kauf von Ölwerten?
Ja, aber es ist ratsam, sich nur schrittweise zu positionieren. Zu erst sollten Anleger bei großen Unternehmen einsteigen, dann bei Explorationsunternehmen, die als Gewinner aus dem Konsolidierungsprozess hervorgehen können und erst zum Schluss bei Ölserviceunternehmen. Diesen wird es nicht so schnell gelingen, höhere Preise durchzusetzen.

Wird der Swisscanto Equity Fund Selection Energy das Jahr 2015 mit einer positiven Rendite abschließen?
Ausgehend vom aktuell gebeutelten Umfeld bin ich optimistisch gestimmt, dass der Fonds ein Plus erzielen kann.

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Daniel Würmli

Daniel Würmli ist Mitglied der Direktion und als Senior Portfolio Manager verantwortlich für den Swisscanto Equity Fund Selection Energy. Würmli trat 2001 bei Swisscanto ein und verfügt über eine mehr als 20 Jahre Berufserfahrung. Zuvor war er bei der AIG (Switzerland) in Zürich als Portfoliomanager vor allem für Aktien Amerika und Europa zuständig. Von 1994 bis 1998 arbeitete er als Portfoliomanager ebenfalls für die Swisscanto und betreute verschiedene europäische Aktienfonds.