Herr Hussy, laut dem jüngsten Sentix-Bericht erwarten Investoren eine Fortsetzung des Aufwärtstrends an Europas Börsen. Vor vier Monaten war die Mehrheit der 5000 von Ihnen befragten Anleger dagegen noch überwiegend pessimistisch. Wie erklärt sich der Stimmungswechsel?
Zum einen haben sich die wirtschaftlichen Perspektiven für die Eurozone durch die Halbierung des Ölpreises und die Schwäche der Gemeinschaftswährung wesentlich verbessert. Die Wachstumszahlen werden im Laufe des Jahres mehrfach positiv überraschen, die bullische Stimmung der Anleger steht daher nicht im Gegensatz zur konjunkturellen Realität. Zum anderen verstärkt die Geldpolitik der Zentralbanken den Anlagenotstand. Weltweit werden 7500 Milliarden Dollar an ausstehenden Anleihen schon negativ verzinst. Wir gehen davon aus, dass künftig noch mehr Geld in die Aktienmärkte fließen wird.

Welche Branchen sind für die Investoren derzeit interessant?
Die Automobilbranche steht hoch im Kurs. Sie profitiert vom niedrigen Ölpreis und vom schwachen Euro in besonderer Weise. Hinzu kommt, dass nun auch in den südeuropäischen Ländern die Automobilnachfrage allmählich wieder anzieht.

Wird der deutsche Leitindex DAX in diesem Jahr weiter von Rekord zu Rekord eilen?
Ja. Im Dezember prognostizierten wir für 2015 einen DAX-Stand von 13 500 Punkten. Dies galt seinerzeit als eine sehr gewagte Einschätzung. Mittlerweile halten viele Investoren einen solchen Anstieg für realistisch. Die Banken werden wohl in den kommenden Wochen ihre Prognosen ebenfalls nach oben korrigieren. Sie gingen bislang im Schnitt von 10 400 Punkten aus. Diese Annahmen sind mittlerweile überholt.

DAX und M-DAX haben neue Allzeithochs erreicht. Steckt in den Aktienmärkten nun mehr Risiko als noch vor ein paar Monaten?
Ein hoher Punktestand bedeutet nicht gleich mehr Risiko. Es kommt auf die Umstände an, in denen wir uns befinden. Die haben sich im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als der DAX noch bei 9500 Punkten stand, wesentlich verbessert. Wir haben es im Augenblick sicherlich nicht mit einer irrationalen Übertreibung zu tun. Von der absoluten Sorglosigkeit, die wir etwa in den Jahren 2000 oder 2007 bei Anlegern erlebt haben, ist derzeit nichts zu spüren. Börse ist noch lange kein Massenthema. Sie zieht auch nicht, wie seinerzeit, Käuferschichten an, die sich mit Aktien und Wirtschaft nur wenig befasst haben.

Werden die geopolitischen Risiken ausreichend beachtet?
Die Börse nimmt die Entwicklungen sehr ernst, die Anleger prüfen, welche Länder, beziehungsweise welche Unternehmen darunter leiden. In erster Linie geht es aber bei der Folgenabschätzung geopolitischer Krisen darum, ob sie das Wirtschafts- und Finanzsystem nachhaltig erschüttern können. Nach einem Jahr Erfahrung mit dem Ukraine- Russland-Konflikt sehen Anleger diese Gefahr nicht.

Auf Seite 2: Griechenland, der US-Aktienmarkt und die deutsche Börsenabstinenz



Wie aber würde die Börse auf einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone reagieren?
Dies würde die Kurse nach unten drücken. Der Grexit gilt mittlerweile aber als beherrschbar, ein Zusammenbruch der Eurozone wird von den Investoren nicht befürchtet. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, je mehr Aufmerksamkeit ein Thema genießt, desto geringer sind die Gefahren. Über Griechenland und Schuldenschnitt wird derzeit intensiv berichtet.

Kann die voraussichtliche Zinserhöhung in den USA die Stimmung der Anleger wieder eintrüben?
Ein oder zwei Zinserhöhungen werden von den Investoren erwartet. Fraglich aber ist, ob die Zinswende tatsächlich kommt. Der fallende Ölpreis bereitet den USA Probleme. In der Fracking-Industrie sind zahlreiche Jobs entstanden. Die sind nun wieder gefährdet. Ein durch kräftige Zinserhöhungen immer stärker werdender Dollar könnte die bislang noch positive Entwicklung einzelner Unternehmen gefährden.

Hat auch der US-Aktienmarkt weiter Potenzial?
Wir haben den aktuellen Aufwärtstrend mit vergangen Haussen verglichen. Derzeit erleben wir in den Staaten die viertlängste von insgesamt sechs Aufschwungphasen seit den 1920er Jahren. Im Vergleich zu früheren Aufwärtsbewegungen fehlt der derzeitigen Rally jedoch die Euphorie. Die muss noch kommen, bevor der US-Markt in eine Korrektur eintritt.

Die von Ihnen befragten Investoren sind in Kauflaune. Der Großteil der Deutschen ist aber weiterhin börsenabstinent. Woran liegt das?
Sicherlich spielen die negativen Erfahrungen mit dem Platzen der Internetblase und der Finanzkrise weiterhin eine Rolle. Auch die 11 000 Punkte beim DAX schrecken viele ab. Sie trauen dem Leitindex auf diesem Niveau nicht mehr allzu viel zu. Würde der DAX auf 9000 Punkte korrigieren, wären Anleger der Ansicht, das Allzeithoch sei wieder erreichbar. Um die Scheu vor Aktien auch im Hinblick auf drohende Versorgungslücken im Alter zu beenden, sind die verantwortlichen Asset Manager und der Gesetzgeber gefordert. Er sollte Pensionskassen deutlich höhere Aktienquoten zubilligen, denn der Anlagehorizont ist entsprechend lang.

Ist auch die Geldpolitik der EZB für die Aktienabstinenz verantwortlich?
Die massive Bereitstellung von Liquidität wird sicherlich von vielen mit Sorge verfolgt, der Börsenboom gilt ihnen als künstlich erzeugt, sie erwarten daher das Platzen einer Blase. Die Skeptiker sollten sich aber bewusst machen, dass festverzinsliche Anlagen und Bargeld, die aktuell "sicher" erscheinen, unter einem System-Crash mindestens genauso viel Risiko haben wie Aktien. Ein Aktieninvestment ist und bleibt eine Sachanlage.

Wie setzen Sie die aktuelle positive Stimmung der von Ihnen befragten Anleger in Ihren Fonds um?
Im sentix 1 haben wir die Aktienquote mittlerweile auf 40 Prozent erhöht. Für einen defensiv ausgerichteten Mischfonds ist das ein sehr hoher Wert. Im sentix Fonds Aktien Deutschland beträgt die Aktienquote durch den Einsatz von DAX-Futures 110 Prozent. Wir sind wie die Investoren sehr optimistisch.

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Patrick Hussy

Patrick Hussy leitet das Fondsmanagement der sentix Asset Management GmbH und verantwortet den Bereich Betreuung institutioneller Kunden. Zuvor war er als Senior-Portfoliomanager bei der Deka Investment tätig. Der studierte Bankbetriebswirt und CEFA-Investmentanalyst verfügt über mehr als 15 Jahre Wertpapiererfahrung im Privatkundensegment, im Spezialfondsmanagement sowie als Research-Spezialist Behavioral Finance.