DIE KASSEN SIND VOLL



Unbestritten ist, dass die Lage so gut ist wie lange nicht mehr: Nach 45 Jahren hatte der Bund 2014 den Ausstieg aus der Schuldenspirale geschafft. Mindestens bis zum Ende des Jahrzehnts soll die schwarze Null stehen. Auch die Bundesländer erholen sich rasant. Bis auf drei schrieben alle im ersten Halbjahr dieses Jahres in ihren Haushalten schwarze Zahlen.

Saniert haben den Staat in erster Linie seine Bürger. 2015 überwiesen die Steuerzahler 673,3 Milliarden Euro an den Fiskus. 2020 werden es der Mai-Steuerschätzung zufolge 808,1 Milliarden Euro sein. Das bedeutet: Bis zum Ende des Jahrzehntes nimmt der Staat im Schnitt 27 Milliarden Euro mehr pro Jahr ein. Gründe dafür sind die gute Konjunktur und die hohe Beschäftigung, aber auch ein Steuersystem, das immer mehr Menschen zu Gutverdienern erklärt: Heute schrammt ein Arbeitnehmer bereits mit dem 1,6-fachen des Durchschnittslohns von 32.600 Euro im Jahr an den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Ältere Bürger erinnern sich noch an Zeiten, als die Schwelle beim Zehnfachen oder höher lag.

Um diesen Trend zu bremsen, will Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zumindest die Steuerquote stabilisieren: Ohne Korrektur würde der Steueranteil am BIP von 22,25 Prozent 2015 bis 2020 auf 22,66 Prozent steigen. Würde man den Bürgern die vier Zehntelprozentpunkte erlassen, entspräche das einer Summe von rund zwölf Milliarden Euro. Eine echte Steuersenkung wäre das jedoch nicht - sondern nur ein Verzicht auf Mehrbelastung.

STEUERN RUNTER?



Nach Meinung der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) kann und muss Schäuble in größeren Dimensionen denken. Das dreistufige Entlastungskonzept der MIT summiert sich bis 2020 auf 30 Milliarden Euro. Losgehen soll es 2018 mit der Verdoppelung der Werbungskostenpauschale auf 2000 Euro. Ab 2019 soll der ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 13.669 Euro fällige Steuersatz von 24 Prozent auf 20 Prozent sinken. Zudem soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab 60.000 Euro greifen und nicht wie heute bereits ab 53.666 Euro. 2020 soll dann das steuerfreie Existenzminimum von Kindern von derzeit 7248 Euro auf das Erwachsenen-Niveau von 8652 Euro steigen.

Die CSU geht mit einem anderen Entlastungsmodell an den Wahlkampfstart. Ihr "Bayern-Tarif" soll kleine und mittlere Einkommen um zehn Milliarden Euro entlasten. Außerdem will die CSU den Solidaritätszuschlag schrittweise bis 2030 abschaffen und die kalte Progression bekämpfen, die nach Lohnerhöhungen für eine höhere Steuerbelastung sorgt, auch wenn mit dem Lohnplus nur die Inflation ausgeglichen wird. Familien sollen außerdem Zuschüsse für den Bau oder den Kauf eines Eigenheims erhalten.

Einen Mitstreiter würden der Unions-Mittelstand und die CSU in der FDP finden, falls es die Liberalen wieder in den Bundestag schafft. Parteichef Christian Lindner hält eine Entlastung von mindestens 20 Milliarden Euro für nötig. Zudem will er den Soli abschaffen, was eine weitere Entlastung um 20 Milliarden Euro bringen würde.

ODER SOZIALABGABEN?



Viele Wähler dürfte Steuersenkungen begrüßen. Allerdings erwähnen ihre Befürworter gewöhnlich nicht, dass die Mehrheit der Bürger von Steuersenkungen nichts oder nur wenig hätte: 2014 gab es 41 Millionen Einkommensteuerpflichtige. Von diesen wurden aber knapp 23 Millionen vom Fiskus gar nicht belastet, weil sie so wenig verdienten, dass bei ihnen nichts zu holen war. Aus einer weiteren Statistik des Bundesfinanzministeriums für 2015 geht hervor, dass die unteren 50 Prozent der Steuerpflichtigen nur 5,5 Prozent des Einkommensteueraufkommens beisteuerten.

Will man - wie so oft beschworen - die Bezieher niedriger Einkommen entlasten, muss man bei den Sozialabgaben ansetzen, nicht bei den Steuern. So diskutiert die SPD über die Einführung von Freibeträgen für Sozialabgaben. Allerdings lauern auch hier Stolperfallen. Zum einen drohen enorme Kosten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kam 2003 in seinen Berechnungen auf Beitragsausfälle von mindestens 30 Milliarden Euro, die aus der Steuerkasse kompensiert werden sollten. Zum anderen stellt sich bei Freibeträgen in der Sozialversicherung die Frage, ob damit auch Leistungskürzungen verbunden wären. Denn eigentlich gilt dort ja das Prinzip, wer weniger einzahlt, bekommt auch weniger.

TRÄUME KÖNNTEN IM BUNDESRAT PLATZEN



In eine andere Richtung gehen die Überlegungen bei den Grünen, deren Steuerexperten sich Anfang Juli auf Umrisse für eine "gerechte" Steuerpolitik geeinigt haben. Gemeint ist damit unter anderem eine höhere Belastung von Reichen. So sollten der Spitzensteuersatz erhöht und Erträge aus Zinsen und Dividenden stärker belastet werden. Außerdem diskutieren die Grünen über Wege, die alte Vermögensteuer verfassungsfest wiederzubeleben.

Steuersenkungen stehen bei den Grünen nicht auf der Agenda, die über ihre Beteiligung an zehn Landesregierung im Bundesrat fast jedes Steuersenkungsmodell blockieren könnten. Auch die SPD will sich bisher nicht als Steuersenkungspartei profilieren. Je nach Ausgang der Wahl im Herbst 2017 könnte es am Ende also zu einer erneuten Blockade in der Steuerpolitik kommen - aus politischen Gründen und nicht wegen einer miserablen Finanzlage. Die Steuerzahler, die seit über zehn Jahren auf eine spürbare Entlastung warten, müssten sich dann weiter in Geduld üben.

rtr