542 Abgeordnete aus allen vier Fraktionen billigten am Freitag den Aufschub um vier Monate. Von 32 Gegenstimmen kamen 29 aus der Union. 13 Abgeordnete enthielten sich. Die neue Regierung in Athen habe sehr viel Vertrauen zerstört, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Debatte. Schließlich habe sie sich aber "ohne jede Einschränkung" zum Reformprogramm bekannt. Im eigenen Land gerät Ministerpräsident Alexis Tsipras deshalb unter Druck. In Athen kam es zu Ausschreitungen. Seine Nagelprobe könnte im Sommer eine Entscheidung über ein drittes Hilfsprogramm werden.

Schäuble betonte, mit dem Bundestagsbeschluss seien noch keine neuen Milliardenüberweisungen der Euro-Länder nach Athen verbunden. Zuvor müsse die neue Regierung mit den drei "Troika"-Institutionen EU, IWF und EZB einen Reformplan vereinbaren und umsetzen. Nach wochenlangem quälenden Streit mit den Gläubigern hatte die griechische Regierung diese Woche erste Vorschläge gemacht. Ohne die Fristverlängerung wäre das Hilfsprogramm am Samstag um Mitternacht ausgelaufen, und das seit 2010 mit 240 Milliarden Euro gestützte Land wäre nahe an die Pleite gerückt.

"Die Entscheidung fällt keinem Abgeordneten des Bundestages leicht", sagte Schäuble. Die jüngste Diskussion habe sie nicht einfacher gemacht, sagte der CDU-Politiker, der zuletzt in einer Zeitung der Regierungspartei Syriza als NS-Verbrecher karikiert worden war. Die neue Regierung habe sich aber verpflichtet, keine einseitigen Maßnahmen zu ergreifen und alle Schulden zu bedienen. "Solidarität hat auch etwas mit Verlässlichkeit und gegenseitiger Rücksichtnahme zu tun", mahnte Schäuble. "Solidarität heißt nicht, dass man einander erpressen kann."

Der Reformkurs müsse weiterverfolgt werden, sagte Schäuble. Würde man Griechenland nachgeben, hätten alle anderen Euro-Staaten nicht mehr die Kraft, Reformen durchzusetzen. Dass es die neue Regierung mit ihren Ankündigungen ernst meint, stellen dem neuen ZDF-Politbarometer zufolge allerdings 71 Prozent der Deutschen infrage, nur ein Viertel glaubt, dass sie Wort hält.

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SPD UND GRÜNE EINSTIMMIG HINTER SCHÄUBLE

Am schwersten mit der Zustimmung taten sich die Abgeordneten der Union, drei weitere Gegenstimmen kamen von der Linken, die aber erstmals bei der Bewältigung der Euro-Krise mehrheitlich mit der Koalition stimmte. Zehn Linken-Abgeordnete enthielten sich, in der CDU/CSU-Fraktion waren es drei. Grüne und SPD votierten dagegen einstimmig für Schäubles Verlängerungsantrag.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte, das Votum der Linken bedeute kein Ja zur gescheiterten Sparpolitik: "Aber es ist eine Zustimmung dafür, dass Griechenland eine Atempause bekommt." Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte: "Wir erwarten, dass der neuen Regierung wenigstens eine kleine Chance gegeben wird." Ein mögliches drittes Hilfspaket müsse so gestaltet werden, dass an seinem Ende ein stabiles und wohlhabendes Griechenland stehe.

"Jedem muss klar sein, die teuerste Lösung jetzt wäre der Austritt der Griechen aus der Euro-Zone", sagte der Vizechef der SPD-Fraktion, Carsten Schneider. Deutschland verbürge Kredite von über 60 Milliarden Euro. Wenn die Regierung in Athen bereit sei, die richtigen ökonomischen Antworten zu geben, "werden wir über ein neues Hilfsprogramm reden müssen". CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte, nach der Verlängerung bis Ende Juni werde entschieden, "ob es mit Griechenland weitergeht oder nicht."

Der Bundestag war die letzte große Hürde für den Aufschub. Schäubles Ministerium widersprach Medienberichten, in denen der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit der Äußerung wiedergegeben wurde, er habe sich auf Empfehlung seiner Kollegen in der Eurogruppe auf eine bewusst unscharfe Formulierung der Reformzusagen geeinigt. Ansonsten hätten die Ministerkollegen Probleme bei der Zustimmung in ihren Parlamenten gehabt. "Es gibt keine Nebenabreden", sagte eine Schäuble-Sprecherin dazu.

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ERSTMALS DEMONSTRATION GEGEN TSIPRAS

Währungskommissar Pierre Moscovici appellierte an die neue Regierung in Athen: "Griechenland muss seine Verpflichtungen gegenüber den europäischen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds zwingend halten." Wegen der Reformzusagen kam es in Athen erstmals seit dem Machtwechsel zu Protesten gegen die Tsipras-Regierung. Dutzende Vermummte lieferten sich Auseinandersetzungen mit Bereitschaftspolizisten, schlugen Schaufester ein, warfen Benzinbomben und setzten Autos in Brand. Die Verlängerung des verhassten Reformprogramms wird auch in den Reihen der Syriza kritisiert. Tsipras war mit dem Versprechen angetreten, die Reformauflagen der Gläubiger aufzukündigen.

Der Wahlkampf und der Streit mit der Euro-Zone hat der griechischen Wirtschaft offenbar stärker geschadet als angenommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte zwischen Oktober und Dezember nach amtlichen Angaben um 0,4 Prozent zum Vorquartal. In einer Schnellschätzung war zunächst ein Minus von 0,2 Prozent ermittelt worden. In den ersten drei Quartalen war das BIP gestiegen. Insgesamt dürfte die Wirtschaft nach sechs Rezessionsjahren 2014 also gewachsen sein.

Reuters