Der jüngst zu Ende gegangene Volkskongress hat einmal mehr den Anspruch Chinas auf einen Spitzenplatz in der Weltwirtschaft unterstrichen. Und auch das Treffen von Donald Trump und Xi Jinping sowie der APEC-Gipfel zeigen die neue Relevanz des Reichs der Mitte auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Welche Bedeutung China mittlerweile auch für die globalen Finanzmärkte hat, offenbarte im Oktober die Emission neuer Staatsanleihen.

Denn was viele Marktteilnehmer im Mai noch als Schock empfunden hatten, scheint aktuell keine Rolle mehr zu spielen: Erstmals seit 1989 hatten Ratingagenturen die Bonität der Volksrepublik China heruntergestuft. Das für diesen Schritt verantwortliche Schuldenproblem im Privatsektor des Landes liegt zwar unverändert vor, doch nun sorgt eine neue Meldung für Aufmerksamkeit: Zum ersten Mal nach 2004 hat China neue US-Dollar-Anleihen mit Laufzeiten von fünf und zehn Jahren in einem Volumen von jeweils einer Milliarde US-Dollar begeben. Trotz eines fehlenden Ratings war die Anleihe so stark überzeichnet, dass die Risikoaufschläge am Ende nur leicht über US-Staatsanleihen lagen.

Die chinesische Führung hatte zum Zeitpunkt des Downgradings im Mai längst Maßnahmen ergriffen, um die hohe Verschuldung der Unternehmen einzudämmen. Hinzu kommt, dass sich die chinesische Wirtschaft gegenwärtig in einem Transformationsprozess befindet. Dieser Prozess scheint zu greifen und beflügelt mithin die Fantasie der Aktien- und Anleiheinvestoren. Kurzfristig allerdings ist eine leichte Abschwächung des Wachstums erkennbar, und das aus zwei Gründen: Erstens hat der Nachholbedarf der Konsumenten eine erste Phase der Sättigung erreicht. Und zweitens verursacht die Bekämpfung der Umweltverschmutzung erhebliche Kosten, worunter das verarbeitende Gewerbe und die Industrieproduktion leiden. Zudem hat das Land umfangreiche und durchsetzungsfähige Regelwerke in Kraft gesetzt, mit denen Umweltschäden vermieden und die Korruption eingedämmt werden sollen.

Solche Maßnahmen bremsen zwar vorübergehend die Entscheidungsfreude in den Unternehmen und schwächen die Wachstumsdynamik. Langfristig ist jedoch eine andere Entwicklung von größerer Bedeutung: Die chinesische Führung hat verstanden, dass die Phase des nachholenden Wachstums vorbei ist. Als Wachstumsmotor ausgedient haben Investitionsgüter, Vorprodukte sowie das Kopieren bekannter Erzeugnisse und Technologien. Zielstrebig entwickeln sich die Unternehmen von reinen Zulieferern zu Anbietern hochwertiger Produkte. Infolge der Umstellung der Wirtschaft von der massenhaften Produktion billiger Imitate auf neue, hochwertige Produkte hat sich die Dynamik im Außenhandel Chinas zunächst zwar leicht verlangsamt, doch diese kurzfristige Schwäche dürfte in eine langfristige Stärke münden.

In einigen Bereichen hat China die westlichen Volkswirtschaften schon überholt: So ist das Bezahlen per Smartphone für viele Chinesen inzwischen Alltag. Der digitale Bezahldienst Alipay des Handelskonzerns Alibaba hat 450 Millionen Kunden. Bei den Smartphones selbst ist ebenfalls eine dynamische Entwicklung erkennbar. So haben die chinesischen Hersteller Prozesse etabliert, mit denen innerhalb weniger Wochen Prototypen neuer Modelle entwickelt und getestet werden können. In den USA bedarf es hierzu mehrerer Monate. Diese langfristig aussichtsreichen gesamtwirtschaftlichen Perspektiven in China überlagern die Bonitätsherabstufung, unter der die Reputation Chinas an den Kapitalmärkten zuletzt gelitten hat. Der hohe Zuspruch, den die chinesische US-Dollar-Anleihe gefunden hat, ist somit alles andere als eine Überraschung, sondern die Folge einer konsequenten und positiven Entwicklung.

Nicolas Schlotthauer



Der Autor ist seit 2004 bei Deutsche Asset Management im Bereich Schwellenländeranleihen tätig und Head of Emerging Markets Sovereigns. Der promovierte Diplom-Volkswirt bringt insgesamt 17 Jahre Industrieerfahrung mit. Mit 711 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen gehört die Deutsche Asset Management (DeAM) zur Gruppe der weltweit führenden Vermögensverwalter und ist Teil der Deutsche Bank Gruppe.