Die Renditen von Staatsanleihen der Industrieländer kennen seit September 1981 nur den Sinkflug. Als Luftpumpe kam dabei vor allem die US-Notenbank zum Einsatz, die unter ihren letzten drei Vorturnern die Leitzinsen immer mehr drückte. Seit nunmehr 34 Jahren wird der Luftballon der Staatsanleihen aufgeblasen. Diesen renten-Blähungen können sich auch die Euro-Peripherie nicht mehr entziehen. Im Euro-Zeitalter waren die Renditen italienischer oder spanischer Staatspapiere niemals niedrig als jetzt.

Leider zeigt die Finanzhistorie, dass es bei Anlageblasen nie ein Happy End gab. Alle Blasen hatten das gleiche Schicksal: Sie platzten. Denn der jeweilige Herr US-Notenbankpräsident - bis vor kurzem waren es nur Männer - ließ regelmäßig die zuvor Fed-geschaffene Blase wieder in die ewigen Jagdgründe der Finanzwelt eingehen. Der Herr gibt es, der Herr nimmt es.

Auf Seite 2: Was passiert, wenn die Geldpolitik zum Staubsauger wird?

Was passiert, wenn die Geldpolitik zum Staubsauger wird?

Staatsschulden gibt es wie Sand am Meer. Allein das Land der unbegrenzten Schulden-Möglichkeiten, die USA, hat Staatstitel von 18.000 Mrd. US-Dollar im Umlauf. Grundsätzlich ist die Liste der in Schuldenschönheit erstarrten Länder länger als die Wunschliste der Kinder an Weihnachten. Da Staatsschulden die weltgrößte Anlageklasse sind, wimmelt es in unendlich vielen weltweiten Anlagedepots von Kapitalsammelstellen, Versicherungen und Pensionsfonds nur so davon. Momentan stehen dicke Kursgewinne darauf. Da stellt sich die Frage, ob die Renditen überhaupt noch sinken können, also ob man nicht lieber aus Buch- tatsächliche Gewinne macht. Auch wird in Anlagestrategiesitzungen frevelhaft diskutiert, was passieren würde, wenn sich die Finanz-Geschichte wiederholt, die Bank of Japan, die EZB und die Fed von Blasen auf Aufsaugen umschalten und so ihren jahrzehntelangen geld-militärischen Feuerschutz für Staatspapiere einstellen. Dann erlebten wir die Kapitulation der Rentenmärkte: Anleger würden in Massenpanik - dann gibt es keinen geordneten Rückzug mehr - den Rückzug antreten.

Auf Seite 3: Die Geister, die die Notenbanken riefen…

Die Geister, die die Notenbanken riefen…

Zu volkswirtschaftlichen Risiken und Nebenwirkungen dieses Vertrauensverlustes braucht man dann auch nicht mehr den Arzt oder Apotheker zu befragen. Wenn eine schuldenabhängige Volkswirtschaft keine neuen Schulden mehr machen kann, weil sie aus Risikomeidung der Anleger kein Geld mehr erhält und/oder die hohen Zinsen nicht mehr bezahlen kann und auch Unternehmen mit ihren Anleihen dann in den gleichen Sack gesteckt werden, verdörrt die gute Konjunkturstimmung wie Blumen, die während des Urlaubs nicht gegossen wurden. Ebenso würde die finanzwirtschaftliche Stimmung schneller sinken als die brasilianischer Fußballfans bei der 1:7-Klatsche gegen Deutschland. Denn das Vermögen großer internationaler Anleger - z.B. China mit seinen über drei Billionen US-Staatspapieren - fällt über Kursverluste zusammen wie ein Kartenhaus. Staatspapiere wären auf einmal tatsächlich Papier. Haben beim Platzen der Immobilienblase die Dämme des Finanzsystems noch geradeso gehalten, würden beim Bersten der Mega-Blase Staatsanleihen wohl alle Dämme der westlichen Finanzwelt brechen.

Auf Seite 4: Das Dilemma von Draghi & Co.

Das Dilemma von Draghi & Co.

Ist diese Gefahr real? Eher besteigt Prince Charles den britischen Thron. Zwar sollten die Notenbanken dringend den Luftdruck in der Rentenblase abbauen, um den bereits seit Jahren andauernden, fatalen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Bislang werfen sie reformunwilligen Ländern ihr zinsbilliges Geld geradezu in den Rachen und verteilen damit - ohne bonitäts- und investitionsstandortverbessernde Gegenleistungen - großzügige Blankoschecks für eine ungehemmte Schulden-Wollust. Ich behaupte jedoch, dass die Zentralbanken aus dieser geldpolitischen Luftakrobatik nicht mehr heraus kommen. Sie befinden sich in einem massiven Dilemma: Wenn sie keine Luft absaugen, werden die Rentenblase und ihre volkswirtschaftlichen Schäden immer noch größer. Wenn sie aber Luft absaugen, setzen sie unser geld-drogenabhängiges Welt-Rentensystem und nebenbei auch die konjunkturell frei atmenden Schwellenländer schlimmster finanzwirtschaftlicher Luftnot aus. Nicht zuletzt fliegt ihnen auch noch die größte Lüge der Finanzgeschichte - dass große Staatschulden netto jemals zurückgezahlt worden sind - gewaltig um die Ohren. Das alles weiß auch die Fed, die mit ihrer aktuell verbalerotischen Luftakrobatik auf große geldpolitische Restriktion macht.

Auf Seite 5: Dreh Dich nicht um, denn der Zinsklau geht um

Dreh Dich nicht um, denn der Zinsklau geht um

Mir gefällt diese alternativlose Abhängigkeit unseres "Rentensystems" von der guten Laune der Geldpolitik überhaupt nicht. Übrigens, warum sollte man in Staatsanleihen investieren, wenn von ihren Renditen nach Inflation und Steuern weniger als NIX übrig bleibt. Leider werden mit dieser Rendite-Diät auch die anderen Formen von Zinsanlagen in Sippenhaft genommen. Selbst die Renditen der windigsten Mittelstandsanleihen fallen. Es riecht nach Neuem Markt, nur dieses Mal auf der Zinsseite.

Zugegeben, Staatspapiere haben den Vorzug, dass ihre Schuldner nicht pleitegehen können. Bei Fälligkeit erhalten sie 100 Prozent zurück. Damit machen Anleger immerhin nominal keine Verluste. "Staatspapiere sind risikolos", heißt es schon in der modernen amerikanischen Portfoliotheorie. Das ist ihr oberster, geradezu heiliger Grundsatz. Aber bestätigt sich diese theoretische Heiligkeit von Staatstiteln auch in der Praxis?

Auf Seite 6: IWF - Liebe Anleger verzeihen Sie ihm nicht, denn er weiß, was er tut

IWF - Liebe Anleger verzeihen Sie ihm nicht, denn er weiß, was er tut

Der Internationale Währungsfonds (IWF) - keine unbedeutende Adresse in der Finanzwelt - hat bereits zum zweiten Mal innerhalb von 10 Monaten die Mithaftung der Gläubiger von Staatsanleihen ins Spiel gebracht. Laut IWF könnten auslösende Bedingungen sein, dass Schuldnerländer am Kapitalmarkt kein Geld mehr erhalten und/oder Staatsschulden oberhalb bestimmter "Obergrenzen" liegen. Was heißt Obergrenze? Es ist ein Gummiparagraph, der bei Bedarf in die gewünschte Richtung rechtsgebeugt werden kann. Unabhängig davon wird aber angesichts zunehmender Schulden in der westlichen Welt irgendwann jede Obergrenze überschritten.

Käme es bei Staatsanleihen tatsächlich zu Kuponherabsetzungen, einem Verzicht auf Zinszahlungen, Laufzeitverlängerungen oder gar Schuldenschnitten, würde aus dem theoretisch risikoloses Heiligenschein von Staatstiteln schnell ein praktisch problematischer Scheinheiligenschein. Und das nennt man Enteignung. Eine Blaupause gibt es hierfür auch schon: Griechenland. Lieber IWF, hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben. Aber ich glaube, das war gar nicht Deine Absicht, oder?

Auf Seite 7: Ist der Makro-Kosmos der Finanzwelt pfui, muss der Mikrokosmos der Anleger hui sein

Ist der Makro-Kosmos der Finanzwelt pfui, muss der Mikrokosmos der Anleger hui sein

All diese Argumente gegen Staatsanleihen scheinen bei deutschen Anlegern kein Gehör zu finden. Im Gegenteil, der Deutschen liebstes Kind ist nicht etwa das Auto oder Fußball, sondern das Zinsvermögen, also auch Staatspapiere. Darin legen wir unser Geldvermögen zu etwa 80 Prozent an. Soll doch niemand behaupten, wir hätten keinen Humor.

Ich spreche nicht davon, aus dem Klumpenrisiko Zinsvermögen ein Klumpenrisiko Sachvermögen, z.B. in Form von Aktien, zu machen. Aber gegen eine Verteilung Richtung 50:50 ist nichts einzuwenden.

Über restriktive Geldpolitik oder Enteignung wird die Renten-Blase nicht heute, morgen oder übermorgen platzen. Wie im Möbelhaus dudelt die beruhigende Musik der Geldpolitik auch am Rentenmarkt von morgens bis abends durchgehend. Aber wer kann schon in die Zukunft schauen? Denken Sie sich in das Jahr 2008 zurück: Hätten Sie damals erwartet, dass wir dort stehen, wo wir heute stehen? Wie auch immer, sollte diese entspannende Musik irgendwann verstummen, sollte man - ähnlich wie beim Spiel "Reise nach Jerusalem" - schnell einen sicheren Platz ergattern.

Aber warum sich nicht schon heute nach einer passenden Sitzgelegenheit umschauen? Substanzaktien haben alle Finanzkrisen gut überlebt. Es spricht nichts dafür, dass es bei einer theoretisch neuen anders laufen wird. Anlegern, denen Aktien zu teuer oder ungeheuer sind, ist mit regelmäßigen Ansparplänen prima geholfen.

Staatspapiere haben wir in diversen Formen - Versicherungen, Betriebsrenten, staatliche Renten - alle schon genug, nämlich bis Oberkante Unterlippe.

Anleger-Auge sei wachsam! Behalten Sie ihre Rentenblase, sozusagen Ihre Blasenprobleme im Blick!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.