von Robert Halver

China-Aktien haben das Schlimmste hinter sich



Chinas Wirtschaft konsolidiert. So bröckelt der Immobilienmarkt weiter. Und die Industrie wird durch eine sogar oberhalb der Wirtschaftsleistung Chinas liegende Verschuldung belastet. Leider zeigt sich der Konsum, der bei der Nachhaltigkeit des chinesischen Wirtschaftswachstums die Hauptrolle spielen sollte, auch noch schwach. Durch die Propaganda der KP in Peking haben Chinesen Aktien auf Kredit gekauft. Da sie nach dem letzten Aktienkursverfall insofern unter einem zweifach negativen Vermögenseffekt leiden, ist ihre Konsumeuphorie naturgemäß gebremst. Eine gemäß Einkaufsmanagerindex trübe Industriestimmung unterhalb der Expansion anzeigenden Schwelle zieht schrumpfende Gewinne nach sich. Die KP ist zu unkonventionellen Maßnahmen gezwungen: Die Notenbank wird umfangreiche staatliche Konjunkturprogramme gegenfinanzieren müssen. Immerhin scheint die Unterstützungszone von 3.000 Punkten im Shanghai Composite Index zu halten.

Die Geldpolitik verfolgt Japan wie ein Schatten



Japan kommt aus der Rezession nicht heraus. Die als "Abenomics" bekannten Konjunkturmaßnahmen haben angesichts der demographischen Überalterung und dem nachlassenden Importsog Chinas keinen überkompensierenden Erfolg zeigen können. Das angekündigte Wachstumsziel von 20 Prozent - zu dem es verwirrenderweise ohnehin keinen Zeitbezug gibt - bleibt reine Utopie. Zukünftig wird der Bank of Japan notgedrungen eine noch größere Bedeutung zukommen. Bereits aktuell kauft sie netto die komplette Neuverschuldung Japans auf, da die Aufnahmefähigkeit bei inländischen Investoren erschöpft ist. Weitere, noch massivere Konjunkturpakete werden ebenfalls von der Geldpolitik gedeckt werden müssen. Zur Bekämpfung der wieder erscheinenden hässlichen Fratze der Deflation ist ein Eingreifen der Notenbank ohnehin alternativlos. Die japanische Liquiditätsschwemme ist damit so etwas wie der geldpolitische Blankoscheck, der den Nikkei 225 bis Jahresende zu Indexständen von 19.000 Punkten treiben wird.

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Die VW-Krise unterzieht die deutsche Industrieleitkultur einem "TÜV-Anlagetest"



Schon länger leiden Banken unter der Regulierung, Versicherungen unter geringen Zinserträgen und Versorger unter einem wahlpopulistischen Atomwende-Manöver. Nach der dicken Luft bei VW hinterfragt jetzt auch noch das große angelsächsische Kapital das Geschäftsmodell "Made in Germany" und sinniert, ob die zyklische deutsche Aktienkultur nicht ohnehin nur der "old economy" zuzuordnen ist und damit an Sexappeal verliert. Ja, tatsächlich könnte man ins Grübeln kommen, wenn man bedenkt, dass die zwei amerikanischen Zukunftsfirmen Apple und Google mehr wert sind als der gesamte DAX zusammen. Wo sind denn unsere deutschen digitalen Zukunftsunternehmen, unsere aufstrebenden Biotech-Firmen? Die finden sich schwerpunktmäßig auch eher in Amerika und Asien. Droht den deutschen Schicksalsbranchen im Vergleich zu anderen Indices also ein Bewertungsabschlag? Auch zur Neuen Markt-Zeit war "old economy" wenig gefragt. Doch sie wurde gewaltig rehabilitiert. Solange die Weltwirtschaft wächst - und dafür wird mit Konjunkturprogrammen global gesorgt - kommt man an "good old german economy" nicht vorbei. Unsere Qualität ist grundsätzlich gut und das Wolfsburger Problem wird zur Not "Auto-deutsch" gelöst. Der Oktober mag für den DAX noch volatil sein.

Der MDAX ist der wahre Held der deutschen Aktienkultur



Warum schaut man immer nur auf den DAX? Der MDAX läuft dem Leitindex schon seit Jahren den Rang ab. Ja, ausgerechnet der MDAX als Sammelbecken besonders konjunkturzyklischer Aktien, also "old economy". Das zeigt sehr deutlich, dass die deutsche industrielle Leitkultur für ausländische Investoren sehr lebendig ist. Zahlreiche mittelständige Werte besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur die Position als Weltmarktführer auch in Nischenmärkten. Insofern haben wir es derzeit klar mit einer Übertreibung in puncto deutsche Aktienkursverluste zu tun. Hinzu kommt das anlagetechnische Argument, wonach der Kapitalabzug internationaler Investoren vor allem Standardtitel aus dem DAX betrifft.

Sollten sich die ifo Geschäftserwartungen weiter stabilisieren, bleibt die relative Stärke des MDAX erhalten. Ende des Jahres ist dem MDAX ein Indexstand von 20.500 Punkten zuzutrauen.

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Die Volatilität nicht als Feind, sondern als Freund des Anlegers betrachten



Die Risikoaversion an den Aktienmärkten hat sich markant erhöht. Die steigende Schwankungsbreite macht finanztechnisch betrachtet Discount- und Bonusprodukte sowie Aktienanleihen laufend attraktiv. Mit ihnen lassen sich Teilabsicherungen gegen zwischenzeitliche Börsenverluste günstig darstellen.

Vor allem jedoch schreit das verstärkte Auf und Ab an den Aktienmärkten förmlich nach Aktienansparplänen. Und das am besten auf Aktienindices, um das Einzelwertrisiko zu mildern und am besten regelmäßig, um das Risiko größerer einmaliger Anlagen zu umgehen. Denn des Anlegers bester Freund ist der Durchschnittskosteneffekt. Bei monatlichem Ansparen erhält man als Anleger bei steigenden Kursen zwar weniger Aktienanteile, dafür nimmt man jedoch die Kurssteigerungen mit. Und wenn die Kurse zwischenzeitlich fallen, erhält man bei gleichbleibendem Ansparplan mehr Aktienanteile. Bei wieder steigenden Kursen macht sich das kaufmännische Motto "Im Einkauf liegt der Gewinn" positiv bemerkbar.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung: Wer Deflation hat, hat auch Liquidität



Das III. Quartal hat wie ein reinigendes Gewitter gewirkt. Es ist besser, dass alles Negative - also China, VW, US-Zinswende - auf einmal auf den Tisch gekommen ist, als wenn die Probleme schleppend abgearbeitet werden müssen. Immerhin kann jetzt niemand mehr von einer technischen Überkauft-Situation sprechen.

VW wird sich einer scharfen Zäsur unterziehen müssen. Dividendenstreichungen, eine Kapitalerhöhung, die Abgabe auch heiß geliebter Unternehmensteile sind möglich. Aber egal, was in Wolfsburg oder in der deutschen Autoindustrie passiert, das politische und unternehmerische Deutschland wird gemeinsam die deutsche Autokultur aufrechterhalten. Das sollte im Übrigen niemand für verwerflich halten, das passiert in anderen Ländern regelmäßig, ohne dass dort die Nase gerümpft wird. Schauen Sie nach Frankreich, Großbritannien oder in die USA.

Im November und Dezember werden sich die Wogen wieder geglättet haben und der DAX wird wieder steigen. Die Jahresend-Rallye ist also nicht abgesagt, auch wenn sie weniger schwungvoll verlaufen wird als bislang erwartet. Für Häme seitens angelsächsischer Anleger in puncto deutsche Aktien besteht kein Anlass: Vor dem Morgen ist die Nacht am schwärzesten.

Darüber hinaus sorgt eine erneut negative Inflationsrate von -0,1 Prozent in der Eurozone dafür, dass die Geldpolitik der EZB auf die wieder zunehmenden Deflationsgefahren reagieren muss. Auch prospektiv - unter Berücksichtigung der Inflationserwartungen - ist der Preisdruck in der Eurozone noch weit von normalen Verhältnissen entfernt. Selbst die Deutsche Bundesbank müsste anerkennen, dass das Inflationsniveau zu gering ist. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweitung des Anleiheaufkaufprogramms ab 2016 zu erwarten. Damit ist zwar keine automatische konjunkturelle Besserung verbunden. Doch dient mehr Liquidität zumindest als Teilkaskoversicherung für die Aktienmärkte in Europa und Deutschland.

Die Fed steht nicht im Zugzwang, die Leitzinsen in diesem Jahr erhöhen zu müssen. Sollte sie dies dennoch tun, wird Frau Yellen der Finanzwelt aber deutlich machen müssen, dass darüber hinaus zinspolitische Behutsamkeit die Mutter der Porzellankiste ist.

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Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50: Die Lage bleibt angespannt



Aus charttechnischer Sicht gilt es im DAX, die Zone um das Jahrestief bei 9.338 Punkten zu verteidigen. Misslingt dies, dürften die nächsten nennenswerten Unterstützungen bei rund 8.900 und 8.500 Punkten angesteuert werden, bevor der Index auf den seit 2009 bestehenden langfristigen Aufwärtstrend bei derzeit 8.360 Punkten trifft. Damit sich die kritische Lage entspannt, sollte der DAX über der ersten Hürde bei 9.712 Punkten schließen. In diesem Fall wartet die nächste Herausforderung bei 9.787 Punkten. Darüber verläuft eine Widerstandszone zwischen 9.935 und 10.079 Punkten. Weitere Barrieren liegen bei 10.437 und 10.652 Punkten.

Im Euro Stoxx 50 zeigt der kurzfristige Trend weiter abwärts. Neues Ungemach droht, wenn der Index den Auffangbereich zwischen 3.000 und 2.970 Punkten signifikant durchbricht. Dann müssen weitere Abgaben bis zur starken Unterstützung bei 2.850 Punkten einkalkuliert werden. Darunter verlaufen mögliche Haltelinien am Vorjahrestief bei 2.790 und bei 2.550 Punkten. Chancen auf eine nennenswerte Aufwärtsbewegung ergeben sich dagegen erst, wenn der Widerstand bei 3.160 Punkten deutlich überwunden wird. Die nächsten Barrieren warten dann zwischen 3.290 und 3.325 Zählern.

Und was passiert in KW 40?



Auf Unternehmensebene eröffnet Alcoa die US-Berichtsaison für das zurückliegende III. Quartal. Vor dem Hintergrund der angespannten weltkonjunkturellen Lage ist mit einem stagnierenden Ergebnis zu rechnen. Im Mittelpunkt dürften Informationen zur geplanten Unternehmensaufspaltung stehen.

Auf Makroebene klopfen die Anleger in den USA nach dem verbalen Zick-Zack-Kurs von Fed-Chefin Yellen das Protokoll der vergangenen Zinssitzung auf Hinweise zum genauen Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung ab.

In der Eurozone stehen die Parlamentswahlen in Portugal im Fokus. Auch wenn die neue Regierung der bisherigen Sparpolitik ein Ende setzen dürfte, sorgt das Wahlergebnis für wenig Verunsicherung an den Märkten: Jegliche Finanzkrise, die die bereits angeschlagene EU erschüttern könnte, wird notgedrungen unterdrückt.

Das Sentix Investorenvertrauen in der Eurozone dürfte weiter nachgeben.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.