von Christian Gerlach, Fondsmanager bei Swiss & Global

Der Verfall der Rohstoffpreise ist ein klares Warnsignal - die Weltwirtschaft steht am Rande einer deflationären Krise: Allein während der zweiten Jahreshälfte 2014 erlitten die Rohstoffpreise ihren zweithöchsten Halbjahresverlust seit 1970. Der Rohstoffindex S & P GSCI Spot Index gab um 37 Prozent nach. Lediglich im Jahr 2008 verloren Rohstoffe noch dramatischer an Wert - wenige Monate vor dem Ausbruch der großen Rezession. Eine in dieser Situation heilsame Inflation ist nicht in Sicht. Nur extreme Währungsanpassungen könnten zu mehr Inflation führen - diese sind jedoch mit hohen Risiken verbunden.

Um zu verstehen, was derzeit an den Märkten passiert, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Am 15. August 1971 hob US-Präsident Richard Nixon überraschend die Koppelung des US-Dollar an den Goldpreis auf und schaffte damit den Goldstandard endgültig ab. Das veränderte die Marktdynamik von Grund auf. Die Rohstoffpreise waren nicht mehr indirekt über den US-Dollar an den Goldpreis gebunden. Seit diesem "Nixon-Schock" vor 44 Jahren steigen die Rohstoffpreise für gewöhnlich, wenn der Dollar nachgibt, und fallen bei einem erstarkenden Greenback.



Zurück in die Gegenwart: Seit Frühjahr 2011 wertet der Dollar stetig auf. Die Folge: 2014 erfuhr der Trade Weighted US Dollar Index, der den Wert des US-Dollars mit 26 anderen Währungen vergleicht, seine höchste Aufwertung seit 1982. Noch im Mai 2011, als der Dollar seinen Boden ausgebildet hatte, kletterten Rohstoffe auf ihren Höchststand. Die Inflation in den USA erreichte wenige Monate später ebenso ihr Maximum. Doch seitdem sinkt sie und driftet nun langsam in eine Deflation ab. Diese Richtung würde sich nur ändern, wenn die Rohstoffpreise nicht mehr fallen. Doch bevor das geschieht, muss der US-Dollar aufhören aufzuwerten.

Preisschocks bei Rohstoffen zeigen, dass etwas schiefläuft. Mit schuld daran sind China und Deutschland. Die enorme Unterbewertung der Währungen dieser größten Nettogläubiger der Welt gegenüber dem US-Dollar - laut aktuellen Kaufkraftparitätsindizes sind es im Schnitt minus 40 Prozent - führt zu einer Liquiditätsfalle für alle anderen Länder. Die aktuelle Fehlfunktion der globalen Geldpolitik garantiert, dass die schwelende Deflation nicht von alleine verschwinden wird. Dabei war das Hauptziel der Geldlockerungspolitik, einer deflationären Schuldenfalle vorzubeugen und Szenarios wie in den 30er-Jahren zu verhindern, als die Deflation das globale Finanzsystem schädigte und in "Schuldendeflation" und Bankenpanik mündete.



Wieso befinden wir uns sieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise und Milliarden von Dollar zum Ankurbeln der Wirtschaft nun in der Nähe eines deflationären Umfelds? Der Grund dafür ist das Aufeinanderprallen zweier Weltanschauungen: des wirtschaftlichen Puritanismus und des wirtschaftlichen Pragmatismus. Ersterer beschreibt strenge moralische und wirtschaftliche Prinzipien, die durch die Sanierungseffekte von Deflation und fiskalischer Strenge verkörpert werden. So heißen die vier Reiter der wirtschaftlichen Apokalypse "Spekulation", "Defizit", "Inflation" und "Schulden". Die Sparer müssen unter allen Umständen geschützt werden - die Bürde der Deflation sollen die "sündigen" Schuldner tragen. Verfechter des wirtschaftlichen Pragmatismus hingegen wollen lang gehegte Grundsätze fallen lassen, wenn die Situation dies erfordert. Ihr Motto: Das Ergebnis ist wichtiger als abstrakte Dogmen. Wenn Deflation und Sparen die Hauptaufgabe eines politischen Systems unterminieren, müssen sie nach dieser Auffassung rückgängig gemacht werden. In der Vergangenheit wurde die Rückkehr zu einer strukturellen Deflation vor allem von Wirtschaftspuristen, in der Regel von den Gläubigerländern, verursacht. Das endete nie gut. Auch heute drosseln die Puristen die Inflation, indem sie an den Währungen drehen, um so künstlich ein exportgetriebenes Wachstum zu erzielen. Die Rohstoffpreise zeigen nun deutlich, dass das nicht so weitergehen darf.

Christian Gerlach

Gerlach ist seit 2010 als Portfoliomanager für Rohstoffe bei der Fondsgesellschaft Swiss & Global Asset Management in Zürich tätig. Zuvor leitete er das Commodity Research bei Dow Jones & Company und war in dieser Funktion Berater von europäischen Industriefirmen zum Thema Rohstoffrisikomanagement. Swiss & Global ist ein unabhängiger Asset- Manager und der exklusive Anbieter von Julius-Bär-Fonds.