von Philipp Vorndran

Seit Monaten ziehen Investoren ihr Geld aus den Emerging Markets ab - mehr als 100 Milliarden US-Dollar (Aktien und Anleihen) sind es seit Anfang 2013. Ein Drittel des Kapitals, das in den vergangenen zehn Jahren in diese Regionen transferiert wurde, ist damit zurückgeflossen in die Industriestaaten. Die Währungen der betroffenen Volkswirtschaften haben in der Folge kräftig gegenüber Euro und Dollar abgewertet.

Viele Investoren fürchten, die Situation in den Schwellenländern könnte sich weiter zuspitzen und die Weltwirtschaft schwer belasten. Wir gehen dagegen nicht davon aus, dass die Situation eskaliert. Im Fokus der Investoren stehen insbesondere Staaten mit hohem Leistungsbilanzdefizit, die auf ausländische Investitionen angewiesen sind - Indonesien etwa, die Türkei oder Südafrika. Deren Einfluss auf die Weltkonjunktur aber ist begrenzt. Hausgemachte politische Probleme, die Korruptionsaffäre in der Türkei oder die Unruhen in Thailand, führen dazu, dass die Stimmung gegenüber den Schwellenländern zusätzlich belastet wird.

Auf Seite 2: Blick nach China

Für uns Investoren ist es stattdessen wichtig, zu schauen, was in China vor sich geht. Der aufgeblähte Schattenbanksektor und die immer weiter wachsenden Schulden chinesischer Unternehmen wirken auf den ersten Blick bedrohlich. Allerdings verfügt das Land über Devisenreserven von rund vier Billionen US-Dollar. Im Zweifel wird die Regierung auf diese Reserven zurückgreifen, um Finanz- und Privatsektor aus der Klemme zu helfen. Oder sie wirft - wie die Industrienationen auch - die Druckerpresse an. Auch wenn sich die Konjunktur in China zuletzt abgeschwächt hat, reicht das absolute Wachstum des Landes immer noch aus, um die Weltwirtschaft zu stützen.

Wir haben uns bereits 2010 aus den Schwellenländern zurückgezogen. Die Euphorie, mit der viele Investoren und Kommentatoren seinerzeit über die Emerging Markets philosophierten, war uns schlicht zu groß, die Bewertungen der meisten Unternehmen aus diesen Regionen viel zu hoch. Der Rückzug hat uns damals ordentlich Kritik eingebracht.

Auf Seite 3: Aktien mit attraktiven Bewertungen

Nun, da alles flüchtet, überlegen wir uns, wieder punktuell in ausgesuchte Unternehmen aus den Emerging Markets zu investieren. Nach dem willkürlichen Ausverkauf der vergangenen Wochen weisen wieder attraktivere Bewertungsniveaus auf, die Investments in diesen Regionen deutlich attraktiver erscheinen lassen als noch vor einigen Jahren. Ohne die detaillierte Analyse eines Landes - der Geschäftsmodelle, Bilanzen und des Managements seiner Unternehmen - sind erfolgreiche Engagements in den Schwellenländern allerdings zufällig. Die Qualität der Investments ist entscheidend.

Ein Kollege unseres Emerging-Markets-Teams war deshalb kürzlich in Brasilien, um sich vor Ort ein Bild zu machen von den hiesigen Unternehmen. Wie viele andere Schwellenmärkte leiden auch die Südamerikaner unter der Kapitalflucht der Investoren. Auch wenn sich die Konjunktur dort zuletzt schwächer entwickelt hat als erwartet, ist die Stimmung im Land vergleichsweise gut. Ein kräftiger Einbruch der brasilianischen Wirtschaft, wie ihn mancher Kapitalflüchtige derzeit befürchtet, ist aus unserer Sicht wenig wahrscheinlich.

Deutlich komplizierter ist dagegen die derzeitige Situation in der Ukraine. Grundsätzlich sind drei verschiedene Szenarien denkbar. Erstens: Der Krim wird als autonomer Teilregion der Ukraine deutlich mehr Selbstständigkeit zugestanden, als das bislang der Fall ist. Zweitens: Es gibt eine international überwachte Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zur Ukraine oder Russland. Und drittens: Die Situation eskaliert, es kommt zum Bürgerkrieg mit Beteiligung Russlands. Letzteres würde die internationalen Aktienmärkte, aber auch die Realwirtschaft schwer belasten, insbesondere wegen der möglichen Boykottaktionen des Westens gegenüber Russland und dessen Reaktion darauf; die Gas- und Nahrungsmittellieferungen nach Europa könnten beispielsweise eingeschränkt werden. So oder so: Die Situation in Ukraine dürfte die Märkte noch eine Weile verunsichern.