von Dirk Elsner

In meinen Kolumnen bin ich bereits mehrmals am Rande auf die bis 2017 umzusetzende europäische Finanzmarktrichtlinie MiFID II eingegangen. In meiner ersten Kolumne hier für Börse Online schrieb ich, dass sich interessierte Leser diese Bezeichnung merken sollen. Dazu muss man nicht zwingend die bisher über 2.000 Seiten der eigentlichen Richtlinie sowie ergänzender Vorschriften gelesen haben. Ich werde die Leser hier in den nächsten Monaten in lockere Reihenfolge mit den Konsequenzen und Folgen dieser Finanzmarktrichtlinie quälen, denn sie nimmt großen Einfluss darauf, wie Finanzdienstleistungen künftig angeboten und abgewickelt werden. Wichtig ist daher, mit ein paar Grundlagen einzusteigen.

Seit 2007 gilt in der Europäischen Union die "Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente" (= MiFID I). In Deutschland wurde sie durch das "Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz" (FRUG) umgesetzt worden. Damit wurden zahlreicher Gesetze, insbesondere das Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) geändert.

MiFID II soll nun die europäischen Finanzmärkte nicht nur weiter "harmonisieren", sondern wird großen Einfluss darauf haben, ob überhaupt und wie künftig Anlagegeschäfte betrieben werden können. Der europäische Gesetzgeber dokumentiert damit sein großes Misstrauen in Banken und Anlageberater, denn diese erhalten detaillierte Vorgaben, wie Kundengeschäfte künftig anzubahnen, zu vergüten und zu dokumentieren sind. Die Novellierung betrifft den Wertpapiervertrieb und den Handel von Banken, Asset Managern und anderen Finanzdienstleistern, wie z.B. Handelsplätzen.

Ziel der MiFID (= Markets in Financial Instruments Directive) ist es lt. Behörden-PR, die Marktstrukturen widerstandsfähiger und effizienter zu gestalten, die Transparenz zu erhöhen, Befugnisse der Aufsichtsbehörden auszuweiten, Warenderivatemärkte stärker zu regulieren und den Anlegerschutz weiter zu verbessern. Nach Verabschiedung ist die MiFID-"Richtlinie selbst bis zum 3. Juli 2016 in nationales Recht umzusetzen. Eine ebenfalls zum Gesetzespaket gehörende Verordnung (Markets in Financial Instruments Regulation= MiFIR) ist bereits am 3.7.2014 in Kraft getreten. Ab Januar 2017 haben die Marktteilnehmer die neuen Regeln gemäß MiFID und MiFIR anzuwenden.

Weil Banken offenbar unterstellt wird, dass sie jeden Interpretationsspielraum, den Rechtsvorschriften meist bieten, für sich nutzen, wird dieser zusätzlich sehr stark eingeengt durch einen weiteren Vorschriftwall. Die erst 2011 gegründete europäische Wertpapieraufsicht "European Securities and Markets Authority" (ESMA) hat durch die Richtlinie den Auftrag erhalten, zahlreichen Vorschriften zu konkretisieren. Zum Leidwesen vieler Banker, Politiker und Praktiker, macht sie das nur in englischer Sprache. Die ESMA veröffentlicht Technische Standards (= RTS) und Implementierungsstandards (=IST) (in Fachkreisen wird das auch Level 2-Maßnahmen genannt). So hat sie im Dezember 2014 ihren Technical Advice (446 Seiten) sowie ein Konsultationspapier (645 Seiten) veröffentlicht. Na, sind Sie schon eingenickert? Nein, dann vielleicht jetzt, denn im Juni dieses Jahres kam ein weiterer Standard dazu, in dem es um Zulassungsverfahren für Wertpapierfirmen in der EU geht.

Auf Seite 2: Wie sich Banken und Finanzdienstleister den Kopf zerbrechen





Mehr Anlegerschutz und verbesserte Transparenz stehen also ganz oben auf der Zielsetzung der neuen Vorschriften. Während diese unkonkreten Vorgaben für sich allein nach Zustimmung rufen, zermartern sich die Banken und andere Finanzdienstleister mit Blick auf die Anlageberatung und den Handel den Kopf, wie die vielen Vorgaben zu verwirklichen sind. So müssen Börsenhändler für "liquide Anleihe" vor und nach einer Transaktion für Preistransparenz sorgen. Offen ist freilich die Frage, nach welchen Kriterien eine Anleihe überhaupt als liquide anzusehen ist. Auch dazu soll die ESMA bis September einen Vorschlag erarbeiten.

Aber auch die Emittenten von Finanzprodukten sind betroffen, denn sie werden sich künftig bereits vor der Konzeption verstärkt fragen müssen, für welche Zielmärkte bzw. Kunden ihre Produkte geeignet und welche Compliance-Regeln einzuhalten sind (Fachwort "Product Governance"). So müssen etwa Zielmärkte für Kunden hinsichtlich ihrer Risikoneigung und ihrer Anlageziele festgelegt werden. Das geschieht zwar oft heute schon, aber künftig sind die Risiken eines Verstoßes höher.

Ob die neuen Vorschriften, von denen ich hier die meisten nicht einmal ankratzen konnte, wirklich die Finanzmärkte stabilisieren und den Konsumentengeschutz verbessern, darf angesichts der tausenden Seiten bezweifelt. werden. Nach meiner Einschätzung machen die Vorschriften die qualifizierte Vermögensberatung für mittlere und kleine Vermögen noch unattraktiver. Finanzhäuser werden nach verschiedensten Alternativen suchen, um weiter provisionsträchtige Geschäfte abschließen zu können, gleichzeitig aber die Lasten und Risiken der Beratung loswerden wollen.

Eine Antwort auf die Monsterregulierung könnte das von einigen FinTech-Unternehmen angebotene Social Trading sein. Wenn Kunden den Empfehlungen anderer Nutzers folgen, dann ist das regulatorisch zumindest bisher keine Anlageberatung. Über Social-Trading-Plattformen können also Beratungskosten und -risiken gespart werden (siehe dazu Börse Online Social Trading als Beratungsersatz für Banken). Eine andere Entwicklung wird die algorithmische Anlageberatung sein (im Fachjargon Robo-Advisory genannt). Hier wird die Beratung so stark formalisiert und standardisiert, dass sie nicht mehr durch einen Menschen sondern durch eine Maschine erbracht werden kann. Für individuelle Sonderwünsche wird dann aber erst recht kaum Platz sein.

Dirk Elsner arbeitet als Unternehmensberater für die Innovecs GmbH.