EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich in Brüssel "sehr besorgt" über die Entwicklung. Sie werde alles daran setzen, dass das EU-Recht eingehalten werde. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte: "Polen spielt mit dem Feuer." Auch die Bundesregierung äußerte Kritik an dem Urtei der polnischen Justiz, die nach Einschätzung vieler Verantwortlicher in der EU nicht mehr unabhängig von der national-konservativen Regierung in Warschau agiert.
Das Verfassungsgericht hatte am Donnerstag geurteilt, dass Teile des EU-Rechts gegen die polnische Verfassung verstoßen. "Der EU-Vertrag ist im polnischen Rechtssystem der Verfassung untergeordnet, (...) und wie jeder Teil des polnischen Rechtssystems muss er der Verfassung entsprechen", begründete das Gericht seine Entscheidung. Es unterstrich zudem, dass es nicht nur das Recht habe, die Verfassungsmäßigkeit des EU-Rechts zu prüfen, sondern auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Der Chef der regierenden PiS-Partei, Polens starker Mann Jaroslaw Kaczynski, begrüßte das Urteil und sieht sich bestätigt. Alle EU-Vorschriften müssten verfassungsgemäß sein. "Das gilt auch für die Justiz, und die Europäische Union hat hier nichts zu sagen", erklärte Kaczynski.
Kommissionschefin von der Leyen betonte dagegen: "EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich der Verfassungsbestimmungen." Auch die Entscheidungen des EuGH seien für alle EU-Länder verbindlich. "Dazu haben sich alle EU-Mitgliedstaaten als Mitglieder der Europäischen Union verpflichtet. Wir werden alle Befugnisse nutzen, die uns nach den Verträgen zustehen, um dies zu gewährleisten." EU-Bürger und Unternehmen in Polen benötigten Rechtssicherheit, dass die EU-Regeln gälten. Nach einer Analyse des Urteils werde über die nächsten Schritte entschieden. Zwischen Brüssel und Warschau gibt es bereits eine Reihe von Streitpunkten. Am schwersten wiegt der Konflikt über die polnische Justizreform. Brüssel wirft der PiS-Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu unterwandern.
"GEMEINSAME WERTE VERFOLGEN"
Bundesaußenminister Heiko Maas forderte Polen auf, EU-Recht einzuhalten. "Wenn ein Land sich politisch dafür entscheidet, Teil der EU zu sein, muss es auch dafür Sorge tragen, die vereinbarten Regeln voll und ganz umzusetzen", sagte der SPD-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Mitglied in der Europäischen Union zu sein, bedeutet, dass wir gemeinsame Werte verfolgen, von einem starken gemeinsamen Binnenmarkt profitieren und mit einer Stimme sprechen." Die Bundesregierung unterstütze die EU-Kommission, "dem europäischen Recht überall in der EU Geltung zu verschaffen". Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die EU-Kommission müsse das Urteil nun prüfen. Dabei habe sie "volles Vertrauen" der Bundesregierung.
Luxemburgs Außenminister Asselborn bezeichnete das Urteil als sehr besorgniserregend. "Der Vorrang des europäischen Rechts ist wesentlich für die Integration Europas und das Zusammenleben in Europa. Wenn dieses Prinzip gebrochen wird, wird das Europa, wie wir es kennen und wie es mit den Römischen Verträgen aufgebaut wurde, aufhören zu existieren", warnte Asselborn. Frankreichs Europaminister Clement Beaune sagte dem Sender BFM TV: "Es besteht de facto die Gefahr eines Austritts aus der Europäischen Union" - auch wenn er sich nicht wünsche, dass Polen die EU verlasse. Wirtschaftssanktionen seien allerdings eine Option, um zu reagieren.
Unions-Fraktionsvize Katja Leikert sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Urteil sei "sehr besorgniserregend". Es befeuere Forderungen nach einem Austritt Polens aus der Europäischen Union. Notwendig sei jetzt aber, die Konflikte in einem Dialog zu klären. "Dagegen werden einfache Forderungen nach einem sofortigen Aussetzen von EU-Zahlungen oder dem Rauswurf Polens aus der EU nur die antieuropäischen Kräfte in Warschau bekräftigen und die Eskalationsspirale beschleunigen", sagte Leikert.
rtr