DOCH NOCH EINIGUNG
In CDU und CSU wurde am Montagvormittag mehr oder wenig hektisch versucht, doch noch Wege für einen Kompromiss zu finden. Denn laut Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble steht die Union "am Abgrund". Viele CDU- und CSU-Politiker zeigen sich erschrocken über die Entwicklung und Seehofers Rücktrittsdrohung. Mehrere CDU-Politiker sprechen davon, der CSU noch einmal "Brücken" bauen zu wollen - über die bayerische Regionalpartei dann aber auch gehen müsse. Derzeit zirkulieren folgende Überlegungen: Die CSU könnte Kanzlerin Angela Merkel mehr Zeit einräumen, um etwa weitere EU-Rücknahmeabkommen zu erreichen und diese umzusetzen. Verantwortlich ist dafür ohnehin das CSU-geführte Innenministerium.
Zudem könnte die CDU versuchen, Seehofer mit einer "nationalen Maßnahme" entgegenzukommen, damit dieser die von der CSU gewünschte "Symbolhandlung" bekommt. Denkbar wäre etwa, dass eine weitere Gruppe von Flüchtlingen an der Grenze abgewiesen werden könnte, über die hinaus, die Merkel bereist akzeptiert hat. Gelingt dies im Spitzengespräch am Montagabend, könnte auch Seehofer von seinem angebotenen Rücktritt zurücktreten. Zwar betonen sowohl CDU- als auch CSU-Politiker, dass das gegenseitige Misstrauen selbst bei einer Einigung bleiben werde. Aber der Bruch der Regierung und der Fraktionsgemeinschaft wäre abgewendet - erst einmal.
SEEHOFER TRITT ZURÜCK - CSU MACHT WEITER
Zweite Variante wäre, dass Seehofer zurücktritt - entweder weil eine Einigung zwischen den beiden Parteien misslingt oder weil ihm der Kompromiss anders als anderen in der CSU nicht ausreicht. Seehofer hat mehrfach betont, dass es ihm um seine persönliche "Glaubwürdigkeit" gehe - und er ficht seit 2015 einen auch persönlichen Kampf mit Merkel in der Flüchtlingspolitik aus. Denkbar wäre, dass die CSU einen anderen Innenminister - etwa Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann oder Staatsekretär Stephan Mayer - nominiert, der dann den "Masterplan Migration" umsetzen könnte.
Der Rückzug Seehofers könnte es auch der SPD erleichtern, weiter die große Koalition mitzutragen und Kröten aus dem sogenannten "Masterplan" zu schlucken. Den Sozialdemokraten wird in der Union unterstellt, sie habe keine Alternative zur weiteren Regierungsbeteiligung. Wer immer dann neuer CSU-Chef würde, müsste allerdings eine harte Linie gegenüber CDU-Chefin Merkel fahren, um das auch durch schlechte Umfragen angeknackste Selbstbewusstsein der stolzen bayerischen Regionalpartei zu pflegen.
SEEHOFER TRITT ZURÜCK - CSU VERLÄSST REGIERUNG
Dritte Variante wäre, dass die CSU nach einem Rücktritt oder Rausschmiss Seehofers durch die Kanzlerin die Regierung verlässt. Dies könnte eintreten, wenn sich die Unions-Spitzen nicht einigen - oder wenn der Innenminister doch die nationalen Zurückweisungen gegen den erklärten Willen der Koalitionspartner CDU und SPD anordnen sollte. Aus Sicht der CSU wäre dies reizvoller als ein bloßer Rücktritt Seehofers, weil der Kanzlerin dann eher die Verantwortung für den Bruch der Schwesterparteien angehängt werden könnte.
Nach dem Rückzug der CSU aus der Regierung gäbe es verschiedene Varianten, wie es weitergehen könnte - eine Minderheitsregierung, eine Abwahl der Kanzlerin, die Bildung einer neuen Koalition oder Neuwahlen. Welchen Weg man gehen würde, hänge sehr stark von den Umständen ab, heißt es in der CDU. Wenn die Verantwortung für den Bruch der Union klar bei der CSU festgemacht werden könne, festige dies eher Merkels Position, so die Vermutung - dies könnte eine Minderheitsregierung oder eine neue Koalition etwa mit der Hereinnahme der Grünen oder der FDP denkbar machen. Wichtig ist auch der Blick auf die EU: Denn schon auf dem EU-Gipfel wurde allgemeine Besorgnis geäußert, dass ein gelähmtes Deutschland die Europäische Union ins Chaos stürzen könnte.
Entscheiden müsste die CDU in diesem Fall, ob sie noch bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober antreten will. Sie müsste sich bis zum 2. August entsprechend erklären. Spätestens nach der Landtagswahl könnte dann auch eine Ausweitung der CSU auf das Bundesgebiet folgen - was allerdings organisatorisch sehr viel aufwendiger wäre als der Aufbau eines CDU-Landesverbands in Bayern. Sollte sich im CDU-Teil der Bundestagsfraktion aber der Eindruck festsetzen, Merkel habe nicht alles unternommen, um die CSU an Bord zu halten, könnte die Position der CDU-Chefin und Kanzlerin in den eigenen Reihen nachhaltig geschädigt werden.
rtr