Das neue Jahr wird mit bekannten Themen starten: Anhaltende Lieferengpässe - etwa bei den in fast allen Branchen benötigten Computer-Chips - wirken nach wie vor als Bremsklotz für das globale Wirtschaftswachstum. Die neue Corona-Variante Omikron birgt das Risiko, dass durch neuerliche Verschärfungen der Corona-Maßnahmen etwa in Asien abermals Produktions- und Lieferabläufe verzögert werden könnten.
Vorbehaltlich dieses "Omikron-Risikos" dürften sich die Lieferengpässe spätestens nach dem chinesischen Neujahrsfest im Februar sichtbar entspannen und im Verlauf des Jahres 2022 normalisieren. Damit steigt die Chance, dass die Unternehmen mehr Aufträge aus ihren prall gefüllten Orderbüchern abarbeiten können.
Diese schrittweise Normalisierung hält die großen Volkswirtschaften auf Wachstumskurs - nicht zuletzt im stark industriell geprägten Deutschland. Die Produktion könnte damit im Lauf des kommenden Jahres wieder zu einem Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft werden.
Wirtschaft ist besser auf neue Maßnahmen vorbereitet
Aktuell jedoch befinden wir uns mitten in der vierten Corona-Welle. Die Wintermonate werden unbestritten noch einmal hart. Aber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind besser auf neuerliche Eindämmungsmaßnahmen vorbereitet. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind durch zwei Impfungen effektiv gegen die Delta-Variante geschützt und können sich mehr oder weniger frei bewegen. Sofern es nicht zu einem Lockdown für Geimpfte und Ungeimpfte kommt, dürfte ein erneuter Einbruch der Konjunktur ausbleiben.
Völlig unbeeinflusst vom Infektionsgeschehen ist die Konjunktur gleichwohl nicht, deshalb dürfte sich das Wachstumstempo in den nächsten Monaten erst einmal verlangsamen.
Ab dem Frühjahr sollte sich die Corona-Situation deutlich entspannen. Fortschreitende Impfkampagnen und wirksame Medikamente dürften im Jahresverlauf zu einem Übergang von der pandemischen in die endemische Phase führen. Entsprechend dürfte das Wachstum anhalten und die steigende Nachfrage nach Dienstleistungen den Konjunkturmotor in der zweiten Jahreshälfte nochmal beschleunigen.
Ein weiteres Thema, das Wirtschaft und Kapitalmarkt umtreibt, ist die Inflation. In Deutschland kletterte die Teuerungsrate im November auf den höchsten Wert seit rund 30 Jahren. Bei 6,8 Prozent lag die Inflation in den USA im November 2021.
Chancen auf gutes Börsenjahr 2022 bestehen weiter
Die jüngsten Ankündigungen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) zur Drosselung der Anleihekäufe (Tapering) lassen darauf schließen, dass der Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik in den USA schneller vonstattengehen könnte als bislang erwartet. Auch das Ende des Notfallankaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint für März absehbar. Insgesamt wird der Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik aber voraussichtlich marktschonend erfolgen. Während die Fed langsam auf die Bremse tritt, nimmt die EZB lediglich den Fuß vom Gas.
In diesem Umfeld bewegen sich die Kapitalmärkte, wenn sie die Normalität nach der Corona-Krise suchen. Perspektivisch dürfte die Pandemie an Kapitalmarktwirkung verlieren, die Teuerungsraten sollten sich nächstes Jahr schrittweise normalisieren und die Lieferengpässe dürften sich im Laufe des Jahres 2022 entspannen. Auf dem Weg dorthin ist angesichts der Ungewissheit um die neue Corona-Variante Omikron mit erhöhter Volatilität zu rechnen. Doch dürften für den Fall einer deutlichen Verschlechterung der Lage die Notenbanken stützend eingreifen können oder würden ihre Unterstützung erst gar nicht beenden.
Aufgrund des grundsätzlich positiven Wachstumsausblicks und der bislang robusten Nachfrage stehen die Chancen auf ein erfreuliches Börsenjahr gut. Aktien dürften auch 2022 die attraktivste Anlageklasse bleiben, der Aufschwung am Rohstoffmarkt sollte sich fortsetzen. Vor allem die Dekarbonisierung wird dort die Preise weiter treiben.
An den Rentenmärkten sollten die Inflationsentwicklung sowie die erste Normalisierung der Geldpolitik zu einem moderaten Renditeanstieg bei den "sicheren Häfen" wie deutschen oder US-amerikanischen Staatsanleihen führen. Unternehmensanleihen verlieren etwas an Attraktivität, aber es gibt immer noch Chancen - zum Beispiel im Hochzinssegment.
Jörg Zeuner
Chefvolkswirt bei Union Investment
Zeuner ist seit Juni 2019 Chefvolkswirt und leitet den Bereich Research & Investment Strategy des Portfoliomanagements von Union Investment. Zuvor war er unter anderem Chefvolkswirt der KfW.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit rund 430 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.