Eine höhere Teuerungsrate gab es zuletzt im Dezember 1993 mit 4,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch eine frühere Schätzung bestätigte. Im Juni lag sie noch bei 2,3 Prozent. In den kommenden Monaten dürfte die Inflationsrate Richtung fünf Prozent marschieren und erst 2022 wieder merklich nachgeben, sagten Ökonomen voraus. Gewerkschaften fordern wegen drohender Kaufkraftverluste kräftige Lohnerhöhungen.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hält den sprunghaften Anstieg für ein vorübergehendes Phänomen, das vor allem Sonderfaktoren geschuldet sei. "Im Juli 2020 wurde die Mehrwertsteuer vorübergehend gesenkt und im Januar 2021 wieder erhöht", sagte der Wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. "Da die Inflationsrate immer im Jahresvergleich gemessen wird, erklärt alleine dieses Phänomen einen relevanten Teil der Inflation." Bis Jahresende dürfte die Teuerungsrate hoch bleiben und dabei über die Marke von vier Prozent steigen, doch werde sie ab Januar 2022 wieder deutlich nachgeben. Mittelfristig werde sie sich um zwei Prozent oder darunter einpendeln, also beim Inflationsziel der Europäischen Zentralbank. "Es gibt keinen Grund für Inflationspanik", sagte Dullien.
AUCH NAHRUNGSMITTEL KOSTEN DEUTLICH MEHR
Energie kostete 11,6 Prozent mehr als im Juli 2020, als die Preise wegen der weltweiten Corona-Rezession im Keller waren. Hier wirkte sich auch die zu Jahresbeginn eingeführten CO2-Abgabe preistreibend aus. Teurer wurden vor allem Heizöl (+53,6 Prozent) und Kraftstoffe (+24,7). Auch Erdgas (+4,7 Prozent) und Strom (+1,6) kosteten mehr. Die Preise für Nahrungsmittel zogen um 4,3 Prozent. Merklich teurer wurden zum Beispiel Gemüse (+7,2 Prozent), was Experten auch auf die teils heftigen Regenfälle und dadurch bedingt Ernteausfälle zurückführen. Darüber hinaus verteuerten sich auch Bekleidungsartikel (+6,2 Prozent) und Fahrzeuge (+5,2) sowie Möbel und Leuchten (+4,0) deutlich. "Hinzu kommen Preiserhöhungen durch Lieferengpässe, weil die Wirtschaft weltweit nach der Corona-Krise nun schnell wieder hochfährt", sagte Ökonom Dullien. Etwa zwei Drittel der Industriebetriebe klagen der Ifo-Institut zufolge über Lieferengpässe, etwa bei Mikrochips.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert angesichts der stark steigenden Inflation spürbare Lohnerhöhungen. "Wir brauchen gerade auch wegen der anziehenden Preise kräftige Lohnsteigerungen für die Beschäftigten", sagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis kürzlich der Nachrichtenagentur Reuters. "Verdi wird deshalb ihre offensive Lohnpolitik in den Branchen fortsetzen."
rtr