von Dirk Müller, cashkurs.com

Niemand kann wissen, was die Zukunft an den Börsen und den internationalen Finanzmärkten bringen wird. Wie immer geht es bei Prognosen nur um mögliche Entwicklungsstränge und deren Wahrscheinlichkeiten.

Eine dieser möglichen Entwicklungen, denen ich durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit zusprechen möchte, sei hier vorgestellt. Ich nenne sie das Geysir-Szenario. Dieses Szenario besteht aus vier Phasen - der Blasenbildung, dem kurzen Kollaps, einem explosiven Ausbruch und dem anschließenden Niederschlag.

Wir beobachten seit 2009 eine wunderschöne langsame Blasenbildung nahezu sämtlicher Assetpreise, befeuert durch die Aktivitäten der Notenbanken. Niemand kann sagen, wie lange die Blasenbildung anhält. Doch deren Einbruch ist sicher.

Auslöser könnte beispielsweise das Kollabieren der chinesischen Wirtschaft sein. Die dortigen offiziellen Wirtschaftsdaten sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Das zeigt bereits die Tatsache, dass die offiziellen Quartalszahlen Deutschlands nach sechs Wochen vermeldet werden, die USA nach vier Wochen eine erste Schätzung herausgeben, die später meist deutlich revidiert wird, während China bereits nach zwei Wochen seine endgültigen Zahlen meldet, die zufälligerweise immer zur Vorgabe des Zentralkomitees passen.

Im Boom wollten wir diese Märchen gern glauben, denn alle profitierten davon. Geld für ein bis fünf Prozent in den USA, Japan oder Europa geliehen und in China mit zweistelligen Wachstumsraten investiert: Wen kümmern da schon Abweichungen? Doch die Party ist anscheinend vorbei. In 25 Jahren Boom ohne nennenswerte Korrektur haben sich in China unvorstellbare Fehlinvestitionen angehäuft. Neue Städte ohne Bewohner, Autobahnen ins Nichts und Wohnblocks ohne Mieter. Solange die Preise durch den Boom steigen, braucht man auch keinen Cashflow und keine Mieter, wenn man jedes Jahr um 15 Prozent teurer verkaufen kann.

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Ohne Abschwung kein Aufschwung



Erst in der Rezession werden unproduktive Fehlinvestitionen offensichtlich und aus dem Markt gefegt. Das ist für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung so wichtig wie die Herbststürme für einen gesunden Wald, wenn morsche Äste abgeschlagen werden. So entsteht Platz für Neues und die Bäume können ihre Kräfte für junge, gesunde Triebe einsetzen. Auch unsere Wirtschaft ist dringend auf diese Zyklen von Aufschwung und Rezession angewiesen, um sich gesund zu entwickeln. Doch seit Jahren versuchen wir verzweifelt, solche wichtigen Rezessionen als angebliches Teufelswerk nicht zuzulassen. Doch ewig Sonnenschein führt zu den wahren Verwüstungen.

Die schiere Masse der Fehlentwicklungen, die in China entstand, ist beeindruckend. Einer Studie der staatlichen chinesischen Kommission für Entwicklung und Reform zufolge betrugen die Fehlinvestitionen von 2009 bis 2015 6,9 Billionen US-Dollar. Allein 2013 sollen 47 Prozent der Bruttoinvestitionssumme Fehlinvestitionen gewesen sein. Eine eingehende Beschäftigung mit der realen Situation in China führt zu erschreckenden Erkenntnissen. Der Riese steht auf tönernen Füßen. Offenkundig bekommen internationale Investoren gerade kalte Füße und ziehen sich in großem Stil aus dem Land zurück.

In den vergangenen Monaten sollen über eine Billion US-Dollar an Investitionsgeldern abgezogen worden sein. Folgerichtig sanken die Währungsreserven seit Sommer 2014 um 500 Milliarden US-Dollar auf 3,5 Billionen. Dieses abfließende Geld kühlt die chinesische Wirtschaft weiter ab. Der Kreislauf, der einst den Boom befeuert hat, dreht sich um.

Es gibt zwei Optionen. Die erste: China gelingt es, die Abwärtsspirale mit extremem Kraftaufwand zu stoppen und wieder in eine Aufwärtsbewegung umzukehren, was mit zunehmender Abwärtsdynamik immer schwerer fallen dürfte. Die zweite: Das abziehende Kapital und die fehlenden Preissteigerungen bringen unwirtschaftliche Projekte aus 25 Jahren reihenweise zum Einsturz - mit katastrophalen Folgen zunächst für das Schattenbankensystem, dann für die gesamte chinesische (Finanz-)Wirtschaft.

Aufgrund der engen internationalen Vernetzung würde sich das als Dominoeffekt rasend schnell um den Globus ausbreiten. Die direkte Folge wäre ein Lehman-XXL-Szenario. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals auf den letzten Beitrag hinweisen: "Geldnot in den arabischen Staaten" (siehe Heft 37/2015). Diese würde das Problem erheblich beschleunigen. Platzende Kredite sorgen für Misstrauen und führen somit zu einer Kreditklemme. Und gerade das Schattenbankensystem hat keinen Zugang zu frischen und schnellen Notenbankgeldern.

Wer Geld braucht, um seine Verpflichtungen zu erfüllen, aber keines geliehen bekommt, der muss Tafelsilber verkaufen, um Liquidität zu erlangen - gleichgültig ob gute Aktien, Anleihen oder Rohstoffe. Das war der Effekt 2008/2009. Dies entspricht der Geysir-Phase des plötzlichen Kollaps der Blase, der nur eine relativ kurze Zeit anhält. Denn in dieser vermeintlich plötzlichen Notsituation (von der Lehman-Krise wurden ebenfalls trotz aller Warnzeichen angeblich alle überrascht) werden die Notenbanken das tun, was sie bisher schon getan haben: Geld drucken. Sie werden in bisher beispielloser Menge frisches Notenbankgeld erzeugen und Staatsanleihen und möglicherweise andere Anleiheformen zu Höchstpreisen aufkaufen.

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Ein Fest für Banken und Anlageprofis



Dieses frische Notenbankgeld wird aber im Wesentlichen bei den großen Spielern mit direktem Zugang ankommen, die nun ihre riesigen Anleihepakete an die Notenbanken gegen frisches Geld verkaufen könnten. Sie werden dieses frische Geld aber keineswegs zur Kreditvergabe an Wackelkandidaten verwenden, sondern alles an nun sehr billigen realen Werten aufkaufen, was ihnen angeboten wird.

Der Markt der weltweiten Anleihen ist über 100 Billionen US-Dollar groß. Die Marktkapitalisierung des gesamten Dow Jones beispielsweise beträgt keine drei Billionen US-Dollar, und nur ein Teil der Aktien ist frei verfügbar. Wenn nun die marktbeherrschenden Finanzfirmen in großem Stil Anleihen in frisches Notenbankgeld tauschen und sich damit um die vergleichsweise wenigen, aber billigen Aktien streiten, kommt es zu jener Kursexplosion, die dem Ausbruch des Geysirs entspricht. Das Inflationspotenzial, das seit Jahren in den Anleihemärkten aufgebaut wird, würde binnen weniger Monate seine Wirkung entfalten. Zumindest eine galoppierende Inflation wäre die Folge. Dass es nach diesen Entwicklungen zu Diskussionen über Währungsreformen kommen wird, kann als gesichert angenommen werden.

Es sei noch einmal wiederholt, dass dieses Geysir-Szenario nur einer von vielen möglichen Entwicklungssträngen der Zukunft ist. Alle Zutaten dafür sind jedoch bereits vorhanden und angemischt. Dennoch bleiben den Akteuren viele Möglichkeiten, den Ablauf zu verändern. Daher sollte man es nicht als Zukunftsprognose, sondern als eine mögliche - wenngleich nicht unrealistische - Option mit im Blick haben.

Die Strategie, um sich als Anleger auf ein solches Szenario einzustellen, bleibt simpel: Jetzt schon jene reale Werte horten, um die man sich später prügeln wird, aber gleichzeitig Depotabsicherungen vornehmen. Damit verfügt man bei einem möglichen Platzen der Blase über hinreichende Liquidität zum Nachkauf und muss auch in dieser Phase keine zu großen Verluste im Depot ertragen.

Der große Unterschied dieser Strategie zum beliebten "Dann-bleibe-ich-auf-meinem-Geld-sitzen-bis-es-billig-ist!"-Ansatz besteht darin, dass man auch dann erfolgreich ist, wenn das Geysir-Szenario nicht zur Realität wird und die Blase sich durch neue Notenbankmaßnahmen noch viele Jahre weiter bläht.

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