Bundesfinanzminister Christian Lindner teilte am Montag mit, Bundeskanzler Olaf Scholz und er schlügen den 55-jährigen Ökonomen für den Posten vor: "Ich bin sicher, dass er für die geldpolitische Kontinuität der Bundesbank weiter stehen wird." Die Personalie wird am Mittwoch im Kabinett beraten. Die privaten Banken begrüßten die Ernennung. Sie passe "zur Rolle Deutschlands als Stabilitätsanker in Europa", erklärte Bankenpräsident Christian Sewing. Weidmann nimmt Ende des Jahres aus persönlichen Gründen seinen Hut.
Zwischenzeitlich war auch die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel als mögliche Nachfolgerin gehandelt worden. Diese erklärte, sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen deutschen Kollegen im EZB-Rat: "Es liegen viel wichtige Aufgaben vor uns."
Nagel ist derzeit in Basel als Spitzenmanager bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) tätig - eine Art Zentralbank der Zentralbanken. Das Bundesbank-Eigengewächs kehrt nun quasi zu seinen Wurzeln zurück. Der gebürtige Karlsruher durchlief bei der deutschen Zentralbank 17 Jahre lang verschiedene Stufen seiner Karriere und saß insgesamt sechs Jahre im Vorstand. Deshalb dürfte der Rückkehrer in Frankfurt mit offenen Armen empfangen werden: "Joachim Nagel ist jemand, der in der Bundesbank hoch geschätzt ist für seine Kompetenz, aber auch für seine menschliche Art", verlautete aus Kreisen der deutschen Zentralbank.
Nagels Wahl dürfte an der Bundesbank-Spitze einen reibungslosen Übergang ermöglichen, wenn Weidmann nach mehr als zehn Jahren am Steuer die Kommandobrücke verlässt. "Nagel ist zuzutrauen, dass er weiterhin die deutsche Bundesbanktradition in die Debatten im EZB-Rat tragen wird, ohne dabei ideologisch fixiert zu sein", sagte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann. Weidmann war wiederholt auf Konfrontationskurs zur Mehrheitsmeinung in der Europäischen Zentralbank (EZB) gegangen. So auch zuletzt, als er mit zwei weiteren Kollegen im Rat Teile der jüngsten Beschlüsse nicht mittrug. Stein des Anstoßes war das Pandemie-Notprogramm PEPP: Fällige Tilgungsbeträge sollen noch bis mindestens Ende 2024 reinvestiert werden - aus Sicht der Kritiker eine zu lange Festlegung auf eine lockere Linie. Zudem warnte Weidmann bei anderer Gelegenheit offen, die EZB solle die Inflationsrisiken "nicht ignorieren und wachsam bleiben."
Im November stieg die Teuerung in der Euro-Zone auf ein Rekordniveau von 4,9 Prozent. Damit ist sie weit über das Ziel der EZB von 2,0 Prozent hinausgeschossen und wird laut den Prognosen der Notenbank auch nächstes Jahr deutlich darüber liegen.
"MASSIVE INFLATIONSRISIKEN"
Auch mit Blick auf diese Sorgen sieht Finanzminister Lindner Nagel als geeignete Wahl: Weil alle Augen derzeit auf die Inflation schauten, sei geldpolitische Stabilität in der Tradition der Bundesbank wichtig. "Im Euro-Raum bestehen massive Inflationsrisiken. Insofern kommt es mehr denn ja auf eine stabilitätspolitische Orientierung an", meint auch Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Aber Nagel werde wie Weidmann auf einen EZB-Rat treffen, dessen Mehrheit einer lockeren Geldpolitik zuneige.
Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) plädierte dafür, dass sich die Notenbank auch unter Nagels Führung für eine konsequente Sicherung von Preisstabilität im Euro-Raum engagieren müsse. BVR-Präsidentin Marija Kolak forderte, die Bank müsse sich im EZB-Rat "im Sinne der Sparerinnen und Sparer für ein baldiges Ende der Minuszinsen" einsetzen. EZB-Chefin Christine Lagarde hatte allerdings jüngst deutlich gemacht, dass eine Zinserhöhung im kommenden Jahr "sehr unwahrscheinlich" sein dürfte.
Nagel war bei der Bundesbank früher unter anderem für das wichtige Ressort Märkte zuständig, das die konkrete Umsetzung der Geldpolitik steuert. 2017 wechselte Nagel zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und dann im Jahr 2020 zur BIZ. "Seine Kenntnis der Kapitalmärkte und die internationale Erfahrung, die er bei der BIZ vertiefen konnte, sind gute Voraussetzungen, um die Geldpolitik der EZB in den kommenden Jahren konstruktiv-kritisch mit zu prägen", meint Ökonom Jan Holthusen von der DZ Bank. In einem Umfeld, in dem sich die EZB immer neuen Aufgaben verschreibe, seien Notenbanker mit einem klaren geldpolitischen Kompass wichtiger denn je: "Deshalb dürfte sich auch Deutschlands neuer Finanzminister Christian Lindner über die künftige Rolle des SPD-Mitglieds freuen."
rtr