Er bemühte sich, die Verbündeten der USA zu einer gemeinsamen Front zusammenzuschweißen. Er belieferte die Ukraine mit mehr Waffen als jeder amerikanische Präsident vor ihm. Und er verstärkte die US-Streitkräfte an der Ostflanke der Nato, um sein Engagement zu unterstreichen. Aber trotz allem ordnete Putin nun "spezielle Militäroperation" in der ostukrainischen Donbass-Region an und markierte damit einen neuen Höhepunkt der Spannungen nach dem Kalten Krieg. Das löst innenpolitisch Fragen nach Bidens Autorität aus.
Wie der US-Präsident mit der Krise umgeht, wird voraussichtlich tiefgreifende Auswirkungen auf sein politisches Schicksal und die Beziehungen der USA mit der Welt haben. Biden versicherte in einer ersten Reaktion, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten würden entschlossen auf Russlands "unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff" reagieren. Doch sein Umgang mit der größten internationalen Krise seiner Präsidentschaft wurde bisher als eher durchwachsen eingestuft.
So hatte Biden zwar deutlich gemacht, dass die USA der Ukraine helfen würden. Aber er und zuletzt US-Vizepräsidentin Kamala Harris hatten betont, dass die USA keine Truppen in der Ukraine stationieren würden. Das galt bei einigen EU-Diplomaten als nicht besonders glücklich. Bidens Vorliebe für Diplomatie und Sanktionen spiegelt dabei zwar nur das geringe Verlangen der US-Bevölkerung nach einem militärisches Eingreifen nach den Erfahrungen mit Afghanistan und Irak wider. Aber Putin konnte deshalb wissen, dass Biden nicht gegen eine andere Atommacht in den Krieg ziehen würde, um ein Land zu schützen, das eine lange Grenze mit Russland teilt, mit dem Washington kein Verteidigungsabkommen hat - und das kein Nato-Mitglied ist.
FOKUS AUF DIE OSTFLANKE DER NATO
Biden konzentrierte sich stattdessen auf die Koordinierung mit den Nato-Verbündeten vor allem in Osteuropa, um ihnen die Angst wegen des Zusammenziehens von etwa 150.000 Soldaten an den Grenzen der Ukraine zu nehmen. Bisher hatte Bidens Strategie daneben darin bestanden, düstere Vorhersagen über eine bevorstehende Invasion zu machen, um zu zeigen, dass er wisse, was Putin vorhabe - auch wenn er ihn nicht aufhalten konnte. Das war umstritten, auch wenn Andrew Weiss, Russland-Experte bei der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace in Washington, die Strategie lobt, weil Putin dadurch "auf dem heißen Stuhl" gehalten worden sei. Doch die US-Regierung wurde für die Weigerung kritisiert, konkrete Beweise vorzulegen. Einige Kommentatoren erinnerten an nachrichtendienstliche Behauptungen, die zur Rechtfertigung der Invasion des Irak im Jahr 2003 herangezogen wurden, wonach es ein neues Atomprogramm gebe, das sich jedoch als nicht existent erwies.
Dennoch war ein wesentliches Ergebnis des Vorgehens Bidens die Wiederbelebung eines westlichen Militärbündnisses, das unter Bidens Vorgänger Donald Trump in die Brüche zu gehen drohte. Trump hatte den Wert der Nato offen infrage gestellt. Nun bezeichnet ein hochrangiger europäischer Diplomat Bidens Konsultationen mit den Verbündeten als "vorbildlich". Auch in der Bundesregierung schwärmt man von dem multilateralen Ansatz Bidens. Das steht im Gegensatz zur Verärgerung, die Biden bei vielen Partnern mit dem chaotischen US-Abzug aus Afghanistan im vergangenen Jahr ausgelöst hatte.
Einige Analysten bezweifelten jedoch, dass die Entsendung einiger tausend zusätzlicher US-Truppen nach Deutschland, Polen und Rumänien ausreichend als Abschreckung war. "Einer der Mängel ist, dass das Abschreckungspaket, das wir entwickelt haben, insofern asymmetrisch ist, als es hauptsächlich wirtschaftlich ist und wir einer militärischen Bedrohung gegenüberstehen", sagte Ian Kelly, ein ehemaliger US-Botschafter bei der OSZE.
LOB FÜR DEN AUFBAU DER ALLIANZ
Auf der anderen Seite bescheinigen ihm Analysten, mit den Verbündeten eng am Sanktionspaket zusammengearbeitet zu haben, um die russische Wirtschaft zu lähmen und Putins inneren Kreis zu treffen. Er habe etwa die Bundesregierung überzeugt, die Genehmigungen für die Nord Stream 2-Gaspipeline einzufrieren. Einige US-Gesetzgeber behaupteten allerdings, dass es effektiver gewesen wäre, die Sanktionen gegen Russland schon früher zu verhängen. US-Beamte haben eingeräumt, dass die Sanktionen die Ölpreise in die Höhe treiben könnten, was die Herausforderung für Biden, die Inflation zu bekämpfen, noch verschärft. Am Mittwoch signalisierte die US-Regierung Moskau, dass man auch künftig keine Sanktionen im Öl- und Gassektor verhängen wolle.
Putins Angriff könnte nun den Republikanern einen Knüppel in die Hand geben, den sie im November bei den Kongresswahlen, die über die Machtverhältnisse in Washington entscheiden werden, gegen Biden und seine demokratischen Kollegen einsetzen können. Dann wird Bidens Strategie im Vorfeld des russischen Angriffs genauer unter die Lupe genommen werden.
rtr