Stockpicking - also die Selektion von Aktien - ist schon immer ein Werkzeug gewesen, um die Performance des Depots zu steigern. In 2016 wird es vermutlich sogar entscheidend für den Anlageerfolg sein. Denn auf den steigenden Gesamtmarkt zu setzen dürfte sich angesichts des beschränkten Aufwärtspotenzials für den DAX kaum auszahlen. Einzelne Titel haben dagegen immer wieder Kursphantasie. Daher gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sinnvoll ist es, positive Trends - also eine anhaltende Nachfrage - zu identifizieren und auf die entsprechenden Aktien zu setzen.

In einer dreiteiligen Serie analysieren wir in der ersten Woche des neuen Jahres die 30 Blue Chips im Leitindex und machen auf die aussichtsreichsten Titel aufmerksam. Auf den kommenden Seiten stellen wir im dritten und letzten Teil die Papiere von Linde bis Vonovia vor. Jede Aktie wird mit einem Tages- und einem Wochenchart dargestellt, unter welchem jeweils der Abstand zum Durchschnittskurs des vergangenen Monats (blau) und der vergangenen 200 Tage (violett) als kurz- und mittelfristiger Indikator für einen überkauften oder überverkauften Zustand dargestellt wird. Auch diesmal ist von guten Investment-Chancen bis zu Kapital-Vernichtungsmaschinen wieder alles vertreten.



Linde



Die Aktie musste im Dezember des vergangenen Jahres einen schweren Rückschlag verkraften: Der Bereich um 137/140 Euro, an dem seit drei Jahren eine wiederholt hohe Nachfrage zuverlässig für eine Kursstabilisierung sorgte, versagte diesmal. Obwohl die Aktie vorher schon stark gefallen und eigentlich reif für eine Bodenbildung war, sorgten daraufhin Anschlussverkäufe für einen weiteren Rücksetzer. Die Aktie fiel teilweise um mehr als 15 Prozent unter ihren Monatsdurchschnittskurs - ein Rekordstand, der zuletzt 2008 gesehen wurde. Auch langfristig ist die Aktie mit Kursen um 20 Prozent unter dem 200-Tage-Mittelwert bereits überverkauft - wobei zwei massive Einbrüche von bis zu 40 Prozent unter die 200-Tage-Linie in 2003 und 2008 zeigen, dass immer noch Luft nach unten ist.

Investoren sollten das Papier meiden, nur für Spielernaturen ist eventuell eine Spekulation auf eine Zwischenerholung als Reaktion auf die starken Verluste eine Option. Doch schon bei 135 bis 140 Euro stoppten erste Erholungsversuche, die nächsten Widerstände bei 155 und vor allem 165 Euro (200-Tage-Linie, Abwärtstrendgerade) versprechen zwar viel Potenzial, sind aber nur in der Theorie erreichbar.





Lufthansa



Die Aktie zeigt im Tageschart einen schonen Ausbruch über den in 2015 etablierten, zähen Widerstand um 14 Euro. Inzwischen scheint diese einstige Verkaufszone sogar einen Rollentausch vollzogen zu haben, sie diente Zeitweise als Unterstützung. Doch das Vorjahreshoch um 15,50 Euro bremst den Kurs nun etwas aus, es liegt am unteren Ende einer langfristigen Widerstandszone zwischen rund 16 und 17,40 Euro. Ein Test dieser Grenzen ist nicht unwahrscheinlich, denn die Aktie ist bereits leicht überkauft, aber noch nicht überhitzt. Mit einem Abstand von mehr als acht Prozent zum Monatsdurchschnitt wird eine Konsolidierung aber nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen, wie die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt (blauer Indikator unter dem Tageschart).

Spätestens nach einer kleinen Korrektur kann es dann aber weiter aufwärts gehen, solange dabei nicht der prägnante Unterstützungsbereich um 12,75 / 12,90 Euro unterschritten wird. Dort verlaufen die 200-Tage-Linie sowie mehrere Wendepunkte. Falls hier Käufer ausbleiben würden, wäre dies ein Schwächezeichen. Anleger können kleine Rückschläge zum Positionsaufbau nutzen, und Stoppkurse zur Verlustbegrenzung knapp unter der 200-Tage-Durchschnitttslnie setzen.





Merck



Der langfristige Aufwärtstrend ist zwar noch intakt, aber in Gefahr. Um 80 Euro verläuft die entsprechende Trendlinie, die sich durch Verbindung der Tiefpunkte der vergangenen Jahre konstruieren lässt und die damit das durchschnittliche Anstiegstempo und die Marschrichtung in diesem Zeitraum widerspiegelt. Wird sie unterschritten, drohen weitere Verluste bis in den Bereich 75 oder sogar 65 Euro. Ein erstes Warnsignal wäre ein Einbruch unter den Bereich um 85/86, der sich in den vergangenen Wochen als Kaufzone etabliert hat.

Stabilisiert sich das angeschlagene Papier, ist dagegen eine Erholung zurück in den Bereich 98/102 Euro möglich. Doch angesichts der angespannten Lage ist die Aktie nicht unsere erste Wahl im DAX - erst wenn sich das Chartbild bessert, würden wir eine Neueinschätzung vornehmen.





Münchener Rück



Die Aktie ist momentan stark unter Druck, nur der bereits bewährte Kaufbereich um 175/176 sorgt noch für eine Stabilisierung. Dort verläuft eine Zone mit vielen Wendepunkten, die aktuell mit dem 200-Tage-Durchschnittskurs zusammen fällt. Dies lockt noch Käufer an, die einen weiteren Rückschlag an die nächsten potenziellen Unterstützungen um 168 und 158 Euro bislang verhinderten.

Langfristig orientieren sich Marktteilnehmer mit Verkäufen an 15 Jahre alten Wendepunkten im Chart, die eigentlich heute keine Bedeutung mehr haben, aber mangels Alternativen als Orientierungskursziele verwendet werden. Die nächstgelegene dieser Marken liegt bei rund 205/207 Euro und bremste den Kurs 2015 aus. Trotz des theoretischen Potenzials für einen erneuten Test dieses Ziels sind wir nicht ganz überzeugt - ein schöner Aufwärtstrend sieht anders aus. Wer dringend nach Anlagealternativen im DAX sucht, kann das Papier dennoch in kleinen Mengen als Depotergänzung in Erwägung ziehen.





RWE



Die RWE-Aktie war im Vorjahr eine Geldverbrennungsmaschine. Erst im September startete eine Erholung, die vom Tief ausgehend zwar mit Gewinnen von mehr als 50 Prozent sehr beeindruckend war, im Verhältnis zu den vorangegangenen Verlusten aber nur einen Tropfen auf den sprichwörtlichen heißen Stein darstellt. Jenseits von 14 Euro beginnen auch konsequent Verkäufe, die den Kurs zuverlässig wieder nach unten abdrehen lassen. Aktuell ist auch wieder ein Abwärtstrend Ton angebend, der noch durch die Nachfrage um 10,50 abgebremst wird. Mittelfristig dürfte das Vorjahrestief knapp über der 9er-Marke wieder getestet werden. Damals ist die Aktie knapp 54 Prozent unter ihren 200-Tage-Durchschnittskurs gefallen (violetter Indikator unter dem Wochenchart) - wird dieser Wert noch einmal erreicht, ließe sich daraus ein Kursziel um 7,80 Euro ableiten.





SAP



Dieses Papier gehört mit einem schönen mehrjährigen Aufwärtstrend zu den Hoffnungsträgern im DAX. Zwar geht die allgemeine Marktkonsolidierung auch an SAP nicht spurlos vorbei, aber noch stabilisiert die Nachfrage um 67 bis 70,50 Euro den Kurs. Hier greifen Schnäppchenjäger zu, die sich an ehemaligen Hochpunkten aus dem Sommer 2015 orientieren, und Rückschläge dorthin als zweite Einstiegschance in den Aufwärtstrend nutzen. Auch der auf gleicher Höhe verlaufende 200-Tage-Durchschnitt wird von vielen Langfrist-Investoren als guter Kaufpreis angesehen. Erst unter 66 Euro schwenkt die Prognose daher wieder von derzeit aufwärts zu seitwärts. Rallys laufen in der Regel 18 bis 20 Prozent über den 200-Tage-Mittelwert (violetter Indikator unter dem Wochenchart), was Potenzial in die Zone 78/80 Euro ermöglicht - und langfristig auch darüber hinaus, da der Durchschnittspreis zusammen mit dem Trend steigt.





Siemens



Siemens kann bereits im Tageschart nicht überzeugen: Eine Serie fallender Zwischenhochs zeigt einen - wenn auch nur flachen - Abwärtstrend. Ebenso sinken die kurz- und langfristigen Durchschnittspreise (blaue und violette Kurven im Chart) der vergangenen 21- und 200 Börsentage. Die nächste Unterstützung bei rund 83 Euro ist nur schwach ausgebildet und dürfte diesen Trend kaum stoppen. Eventuell gelingt dies an der Zone um 77,75 Euro - dann wäre die Aktie auch weit genug von ihrem Monatsdurchschnittspreis nach unten abgewichen, um statistisch gesehen eine Bodenbildung wieder wahrscheinlicher zu machen.

Auch aus einer langfristigen Perspektive wird es nicht besser: Hier wird die zuvor genannte Unterstützung zumindest durch eine von 75,60 bis 80 Euro verlaufende Kaufzone bestätigt, die bereits seit Ende 2012 existiert. Frühestens hier lässt sich wieder auf eine Bodenbildung setzen, davor ist die Aktie allenfalls für eine Spekulation auf weiter fallende Notierungen gut.





ThyssenKrupp



Die Aktie zeigt einen sehr unruhigen, per Saldo jedoch eher abwärts gerichteten Kursverlauf. Durch einen scharfen Kurswechsel im zweiten Halbjahr 2015 wurde der langfristige Aufwärtstrend nach unten verlassen. Seit diesem Zeitpunkt ist mit dem Papier nicht mehr viel anzufangen. Bestenfalls ist ein erneuter Test der ehemaligen Aufwärtstrendlinie bei aktuell rund 20,70 Euro denkbar. Doch wahrscheinlicher ist nach dem Trendwechsel ein erneuter Test der Zone um 15,50 / 16,50 Euro, langfristig ist auch ein Rücksetzer bis 11,50 / 12,50 nicht ausgeschlossen, den die Aktie kann um bis zu 40 Prozent unter ihre 200-Tage-Durchschnittslinie fallen, womit diese Ziele bereits jetzt in Reichweite sind.





Volkswagen



Schon vor dem Abgas-Skandal zeigte die VW-Aktie im Vorjahr einen Abwärtstrend mit diversen Verkaufssignalen. Hier zeigt sich ein weiteres Mal der Vorteil einer charttechnischen Analyse: Wer sich danach richtet, wäre allerspätestens im Juli 2015 ausgestiegen, als die Notierungen unter ihren 200-Tage-Mittelwert und den dort verlaufenden horizontalen Unterstützungsbereich gefallen sind. Wer jetzt noch (oder wieder) in Volkswagen investiert ist, sollte Zwischenerholungen in den Bereich 140/150 Euro zum Ausstieg nutzen. Hier bremst eine seit fast einem Jahrzehnt bestehende Zone mit vielen Wendepunkten den Kurs ab, da sie von mehreren Marktteilnehmern als Orientierung für Verkäufe heran gezogen wird. Ein ähnlicher Bereich stabilisiert auf der Unterseite bei 80 bis 85 Euro den Kurs, und stoppte auch den Crash nach "Dieselgate". Hier können sich mutige Schnäppchenjäger wieder an die Aktie wagen, seriöse Investoren halten sich aber weiter fern.





Vonovia



Der langfristige Aufwärtstrend von Vonovia ist in großer Gefahr: Der aktuelle Kurs ist nicht mehr weit von der entsprechenden Trendgeraden bei aktuell rund 26,40 / 26,60 Euro entfernt. In den vergangenen Monaten kippte die Stimmung bereits nachhaltig ins Negative, was sich an den Umschwüngen der 21- und 200-Tage-Durchschnittskurse nach unten zeigt (blaue und violette Kurven im Tageschart). Solange die Trendlinie nicht nach unten durchbrochen ist, besteht zwar noch Hoffnung, doch diese Emotion ist an der Börse stets ein schlechter Ratgeber. Besser wäre ein Ausbruch über die starke Verkaufszone um 30,30 /31,20 Euro - das wäre ein Kaufsignal, welches auf einen Umschwung zurück nach oben hin deuten würde. Davor ist Vonovia ein großes Risiko für jedes Depot.



Andreas Büchler ist Herausgeber des Magazins und Vorstand der Qarat AG, einer auf Quantitative Analyse und Algorithmic Trading spezialisierten Forschungsgesellschaft für Börsenhandelssysteme.

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