Nachts schon für die besten Plätze der Veranstaltung in der Kälte anstehen. Rennen, um ein Selfie mit Warren Buffett zu erhaschen. Auf den ersten Blick wirkt alles wie immer auf der Hauptversammlung von Berkshire Hathaway.

Doch ein Hauch von Nostalgie weht durch die Halle, als Berkshire-Chef Warren Buffett und sein Vize Charlie Munger dieses Jahr in Omaha auf der Bühne sitzen. Buffett ist 88, Munger 95. Viele der Fragen drehen sich daher um die Nachfolge der beiden. Die Verehrung der Aktionäre für die betagten Herren ist dennoch ungebrochen - und das ist nicht selbstverständlich. Denn im Schlussquartal 2018 gab es einen Verlust bei Berkshire, und was für einen: 25,4 Milliarden Dollar Miese standen unter dem Strich.

Neue Bilanzierungsvorschriften sorgen dafür, dass die gigantischen Wertpapierbestände der Holding immer zu aktuellen Kursen bewertet und Veränderungen direkt ergebnisrelevant werden. Im ersten Quartal 2019 waren es deshalb nach dem Rekordverlust wieder 21,7 Milliarden Dollar Plus. Die Gewinnschwankungen machen es Aktionären nicht leichter, Berkshire zu bewerten. Das ist in den vergangenen Jahren ohnehin immer schwieriger geworden.

Schon allein, weil die Zahl der Töchter ständig steigt. Erschwerend kommt aktuell hinzu, dass es offensichtlich Probleme in der Buchhaltung der wichtigen Beteiligung Kraft Heinz gibt. Zumindest war der Ergebnisbeitrag des 25-Prozent-Anteils im aktuellen Quartalsergebnis von Berkshire nicht berücksichtigt, denn Kraft Heinz konnte seine Zahlen überraschend nicht rechtzeitig bei der US-Börsenaufsicht SEC einreichen.

Mehr denn je gilt somit: Wer in Berkshire investiert, muss eine große Portion Vertrauen aufbringen. Das war bislang einfach, denn Warren Buffett hat über viele Jahrzehnte bewiesen, dass er nicht nur geniale Investmententscheidungen trifft, sondern auch grundehrlich über die Lage des Konglomerats berichtet.

Doch was bleibt, wenn er einmal nicht mehr da ist? Eine Ansammlung grundsolider Firmen, die für ein stetig steigendes operatives Ergebnis sorgen. Auch zwischen Januar und März legte dieses mit gut 5,5 Milliarden Dollar um rund fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zu. Obendrauf gibt es eine Sammlung gigantischer Aktienpakete großer US-Unternehmen, die jährlich nicht nur Milliarden an Dividenden in die Kasse spülen, sondern durch thesaurierte Gewinne und Aktienrückkäufe ständig wertvoller werden.

Große Ehre für seine Mitarbeiter


Und eine Reihe jüngerer Manager, die darauf vorbereitet sind, die Geschicke bei Berkshire zu lenken. Auf der Investmentseite sind das Ted Weschler und Todd Combs. Für Berkshires jüngere Techinvestments wie Apple oder neuerdings Amazon waren sie zumindest mitverantwortlich. Für die nicht börsennotierten Beteiligungen und Tochterfirmen steht Greg Abel bereit, fürs Versicherungsgeschäft Ajit Jain. An beide gab Buffett im Lauf der Versammlung Fragen weiter, ein starker Vertrauensbeweis.

Zwar verschenkt Buffett seit Jahren systematisch Milliardenpakete an Berkshire-Aktien für wohltätige Zwecke. Mit dem immens hohen Cashbestand der Firma will er nun aber im großen Stil Aktien zurückkaufen. Dabei nannte er eine Summe von 100 Milliarden Dollar. Das wird nicht nur dem Kurs helfen, sondern auch die Eigentümerstruktur stabil halten. Noch für lange Zeit.

Auf Seite 2: Interview mit Hendrik Leber, Fondsmanager

Interview mit Hendrik Leber, Fondsmanager


Börse Online: Herr Leber, seit rund 25 Jahren pilgern Sie nach Omaha, um einen ganzen Tag lang Antworten von Buffett und Munger mitzuschreiben. Was bringt Ihnen das?

Hendrik Leber: Es ist eine Art geistige Frischzellenkur, man kommt voll aufgetankt zurück. Ich habe hier viel von Buffetts Lebensweisheit aufgenommen.

In Sachen Investieren setzen Sie sich aber immer mehr von Buffett ab.

Sein Suchraster ist nicht mehr dasselbe wie meines. Hier in Omaha geht es um Konsensbildung, ein wohliges Gefühl. Value-Investing bedeutet aber auch, da zu investieren, wo keiner hinguckt und wo es schmuddelig ist. Ich bin gezwungen, mich von Buffett zu lösen, und versuche, meinen eigenen Weg zu gehen.

Anders als Buffett finden Sie daher im Moment auch Anlagemöglichkeiten.

Da mache ich ihm einen Vorwurf. Seine wenigen Investments im Bereich Technologie flossen in extrem reife Firmen wie IBM oder Apple. Google - heute Alphabet - hat er regelrecht verschlafen. Schade, dass er sich hier nicht mehr getraut hat.

Und Amazon?

Buffett kennt die unglaubliche Marktmacht von Amazon - er sagte mal zu Gründer Jeff Bezos: "Bitte verschone Berkshire bis zum Schluss." Die Entscheidung für Amazon wurde aber nicht von ihm, sondern von seinen Mitarbeitern Ted und Todd getroffen. Was wird aus Berkshire, wenn Buffett eines Tages aufhört?

Ich weiß nicht, wer die Herkulesaufgabe übernehmen soll, die Klammer über das riesige Konglomerat zu halten. Der optimale Weg wäre, die Firma schnell in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ich habe viele Konglomerate studiert - sie halten selten lange. Besonders Berkshires Struktur beruht auf Vertrauen. Und wenn das in Zukunft nur einmal erschüttert wird, bricht es schnell auseinander. Ist die Aktie trotzdem noch kaufenswert?

Wenn ich nur eine Aktie auf der Welt halten dürfte, wäre es immer Berkshire. Sie notiert durchgehend leicht unter ihrem inneren Wert, weil das Konglomerat zwar extrem solide, aber etwas undurchschaubar ist. Wenn sich Berkshire aufspaltet, wird der Kursabschlag aufgelöst. Dazu kommt jetzt der angekündigte Aktienrückkauf. Man hat also fas t kein Risiko, auch wenn das Ausscheiden von Warren Buffett vielleicht einen vorübergehenden Kursrutsch auslösen wird.