Ola gibt Gas. Wenige Tage vor der am Mittwoch stattfindenden Hauptversammlung von Daimler in Berlin machte der designierte Chef Ola Källenius klar, wohin die Reise unter seiner Führung gehen wird: Bis 2030 sollen Autos mit Elektro- und Hybridantrieben mehr als die Hälfte des Umsatzes der Pkw-Sparte Mercedes-Benz einfahren, sagte Källenius vor Journalisten in Sindelfingen. Nach weiteren neun Jahren soll Daimlers Autoflotte dann CO2-neutral unterwegs sein. Zugleich macht der Schwede keinen Hehl daraus, dass sich diese Strategie für mehr Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich rechnen muss: "Die Transformation ist kostenintensiv. Wir müssen bei der Effizienz sehr viel tun, um den nötigen Cashflow zu generieren." Um die Umsetzung zu beschleunigen, sollen Teile der Vorstandsvergütung an das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele gebunden sein.

Wenige Tage zuvor hatte der amtierende Konzernchef Dieter Zetsche in Norwegens Hauptstadt Oslo Daimlers Elektro-SUV EQC vorgestellt. Norwegen ist in Europa das Land mit der höchsten Dichte an Autos des US-Elektropioniers Tesla. Die Frage, ob Daimler zu spät auf den Trend zur Elektromobilität aufgesprungen sei, nutzte der Manager für eine Spitze gegen Tesla. "Ich habe seit 40 Jahren gehört, dass die deutschen Hersteller alles verschlafen haben. Offensichtlich lieben die Kunden verschlafene Produzenten." Zetsche, der seit 43 Jahren bei Daimler ist und den Konzern seit 13 Jahren führt, hat die Schwaben im Premiumsegment wieder an BMW vorbei und an die globale Spitze geführt. Die Kapitalmärkte würden darauf wetten, dass die Hersteller von Autos mit Verbrennungsmotor nicht gut auf den Wandel vorbereitet seien, sagte Zetsche während seiner Probefahrt mit dem EQC in Norwegen und fügte hinzu: "Wir müssen das Gegenteil beweisen."

Mächtig unter Druck


Einlösen muss Zetsches Versprechen sein Nachfolger Källenius. Er steht von Beginn an unter großem Erwartungsdruck. Seit Herbst schwächeln die Automärkte. Auch Daimler ist schwach ins Jahr gestartet. Bei einigen Dieselmotoren stehen die Schwaben weiter im Verdacht, Abgaswerte beeinflusst zu haben. Um den technologischen Wandel in der Branche zu meistern, muss Daimler seine hohen Investitionen in Elek­tromobilität und autonomes Fahren aufrechterhalten. Dennoch könnte der Anteil von Autos mit alternativen Antrieben im Modellportfolio bis 2022 noch zu gering sein, um die ab dann geltenden europäischen Grenzwerte für CO2-Emissionen zu erfüllen. Dann wären hohe Strafzahlungen fällig. Und ohne eine weltweit konkurrenzfähige Technologie für fahrerloses Fahren könnte der Konzern Kunden an die neuen Mobilitätsdienstleister verlieren.

Die hohen Investitionen belasten die Profitabilität. Die operative Marge (Ebit) droht deshalb in diesem Jahr weiter ­abzurutschen. Daimler setzt auf eine Markterholung in China in der zweiten Jahreshälfte. Für 2019 wird ein Anstieg bei Umsatz und operativem Gewinn angepeilt - noch. Diese Prognose sei "sehr ambitioniert", zweifelt Michael Punzet, Analyst der DZ-Bank. Der Experte rechnet mit einer Gewinnwarnung des Unternehmens im Jahresverlauf.

Stuttgart ist ohnehin in Alarmstimmung. "Wenn wir weiterhin nur tun, was wir so gut gemacht haben, sind wir erledigt", hatte Zetsche im März gewarnt, es sei kein Naturgesetz, dass Daimler ewig bestehe. Dass US-Präsident Donald Trump soeben die angedrohte Erhöhung der Zölle auf EU-Exporte in die USA um sechs Monate verschoben hat, bringt zwar vorübergehend Entlastung. Trump aber bleibt unberechenbar. Die vom Präsidenten verschärfte Zollfehde der USA mit China belastet Hersteller wie Daimler oder BMW, die jeweils einen signifikanten Anteil ihrer US-Produktion nach China exportieren, erheblich.

Analysten erwarten deshalb, dass die angekündigten Restrukturierungen auf der Hauptversammlung am heutigen Mittwoch konkretisiert werden. Angeblich soll Mercedes-Benz bis 2021 sechs Milliarden Euro zusätzlich einsparen, bei Daimler Trucks sollen es zwei Milliarden Euro sein. Betriebsratschef Michael Brecht hofft, dass der Konzern während des Umbruchs Umsatzrenditen von sechs Prozent schafft. Die Aktionäre dürften das ähnlich sehen. Auf der Versammlung werden sie über die neue Struktur abstimmen. Der Konzern soll aus den drei Sparten Mercedes Benz Cars, Daimler Trucks und Daimler Mobility bestehen.

Chef Källenius will "für Kooperationen offen sein und begrenztes Kapital effizient einsetzen". Dazu passt der für die Truck-Sparte anvisierte Börsengang (IPO). Daimler Trucks ist weltweit die Nummer 1 und hätte mit einer Börsennotierung selbst Zugang zu Kapital. Mit Blick auf das mittelfristig angestrebte Listing wollen die Schwaben ihrem ­chinesischen Truckpartner Foton eine Beteiligung anbieten. Anschließend würde Daimler seinen Anteil am China-­Joint-Venture mit Foton auf mehr als 50 Prozent erhöhen. Das Reich der Mitte ist der weltgrößte und mittelfristig wohl auch wichtigste Lkw-Markt.

Die Pkw-Tochter Mercedes-Benz muss hart kämpfen, um ihre Marktführerschaft im globalen Premiumsegment zu verteidigen. Aktuell sitzt BMW den Schwaben im Nacken. Mit Blick auf den Umbruch in der Branche sind in zehn Jahren weltweit aber auch ganz andere Konstellationen vorstellbar.

China hat die USA als größter Automarkt inzwischen überholt und ist bereits weltweiter Leitmarkt für Elektromobilität. Peking fördert und nutzt die Attraktivität des Marktes für ausländische Hersteller, um einheimische Konzerne in Position zu bringen. So soll etwa der Autobauer BAIC, Joint-Venture-Partner von Mercedes-Benz in China, Peking um Unterstützung des Plans gebeten haben, bis zu fünf Prozent an Daimler zu erwerben.

Bereits bei den Schwaben an Bord ist mit knapp zehn Prozent Milliardär Li Shufu, Chef des chinesischen Autobauers Geely, zu dessen Portfolio auch die Premiummarke Volvo gehört. Vor wenigen Tagen verkündete Geely, die Hälfte von Daimlers Smart-Geschäft zu übernehmen. Die Elektroversion des Stadtflitzers soll künftig in China vom Band laufen. Dort ist der Smart als Zweit­wagen sehr beliebt. Mittelfristig soll es in China auch einen Viersitzer und ein SUV geben.

Auf Seite 2: Mobilitätsdienste laufen schon

Mobilitätsdienste laufen schon


Bei Daimler ist Smart ein Synonym für milliardenschwere Verluste. Källenius soll den von Nochfinanzchef Bodo Uebber eingefädelten Deal aktiv begleitet haben. "Källenius ist ein anderer Typ als viele Top-Manager in der Autoindustrie, offener, international. Spannend wird, wie er als Nichtingenieur mit der konservativen Daimler-Welt zurechtkommt, und die anderen mit ihm", sagt Jürgen Pieper, Analyst des Bankhauses Metzler. Der mit einer Schwäbin verheiratete Skandinavier ist dabei indes wie Zetsche ein Daimler-Urgestein. Der Wirtschaftswissenschaftler kam 1993 nach dem Studium zum Konzern.

Bei den Mobilitätsdienstleistungen, wo Größe für einen globalen Erfolg im Markt entscheidend ist, haben die Nochvorstände Zetsche und Uebber für den Neuen vorgelegt. Jüngst wurden Kooperationen mit BMW beim Carsharing und weiteren Dienstleistungen unter Dach und Fach gebracht. Die Gemeinschaftsfirma Service now, in der Daimlers Car2Go, BMWs Drivenow und weitere Service-Töchter der Konzerne integriert sind, kommt immerhin auf drei Milliarden Euro Umsatz. In den künftigen Ausbau wollen die Partner jeweils eine Milliarde Euro investieren. Der Wert von Service now wird auf sechs Milliarden Euro geschätzt - doppelt so viel wie der Umsatz. Ein späterer Börsengang, auch mit weiteren Anteilseignern, ist eine ­Option.

Größe und Standards sind für den Markterfolg auch bei der komplexeren digitalen Technologie und dem autonomen Fahren wesentlich. Auch hier will Källenius mit BMW eine Allianz auf Augenhöhe schmieden. Daimlers profitabelstes Modell, die S-Klasse, soll ab 2021 auf Autobahnen länger ohne Fahrer auskommen, ähnlich wie der von BMW für 2021 angekündigte Elektro-SUV.

Teure Plattform für Stromer


Bei Motoren bleibt Daimler in Bezug auf neue Technologien offen. Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe sind für Källenius weiterhin mögliche Alternativen zu Elektroautos und Plug-in-Hybriden. Daimler will in den nächsten fünf bis zehn Jahren 38 Milliarden Euro in die Elektromobilität investieren und setzt auf eine eigenständige Plattform (EQ). Das ist teurer und weniger flexibel. BMW etwa entwickelt und fertigt verschiedene Antriebsarten auf gemeinsamen Plattformen.

Währenddessen investiert Volkswagen laut Angaben von Reuters während der nächsten zehn Jahre 81 Milliarden Euro in Elektromobilität und setzt mit seiner groß angelegten Strategie und der in Salzgitter geplanten Batteriefertigung auch Daimler und BMW unter Druck. Gut möglich, dass die Premium­anbieter auch bei Elektroautos kooperieren müssen, um zu akzeptablen Kosten zu kommen. Källenius wird schon bald die Frage beantworten müssen, ob auch Daimler so tief und entschlossen in die Elektromobilität einsteigt wie die Manager aus Wolfsburg - womöglich schon kommenden Mittwoch.


Investor-Info

Die Autobranche
Fokus auf E-Mobilität


Umgerechnet 270 Milliarden Euro wollen die Autobauer während der nächsten fünf bis zehn Jahre weltweit in Elektromobilität investieren. Mit mehr als 81 Milliarden bringt VW rund ein Drittel dieser Summe auf. Um ­Strafen wegen verschärfter Abgasvorschriften zu ver­meiden, müsste VW ab 2022 jährlich 350.000 Autos mit elektrifiziertem Antrieb verkaufen, BMW und Daimler jeweils 100.000, schätzt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.

Daimler
Bei Premium Nummer 1


Der Konzern ist sowohl mit seiner Autosparte Mercedes-Benz aIs auch bei Lkws weltweit führend. Pkws lieferten 2018 die Hälfte sowohl der 167,4 Milliarden Euro Umsatz wie der 11,1 Milliarden operativen Gewinns (Ebit). Daimlers Trucks steuerten 21 Prozent der Erlöse und knapp ein Viertel des Ebit bei. Finanzdienstleistungen, einschließlich der Beteiligung am Lkw-Maut-System Toll Collect, brachten mit 14 Prozent der Erlöse mehr als zwölf Prozent des operativen Gewinns ein.

Die Aktie
Unter Druck


Anleger setzen beim Führungswechsel auf einen Wechsel der Konzernstrategie. Trotz der seit Herbst schwächelnden Automärkte legte die Aktie seit Jahresbeginn deutlich stärker zu als die Papiere des Konkurrenten BMW, Daimler lief auch etwas besser als der DAX. Der Konzern ist finanziell stark genug, um die hohen Investitionen zu stemmen. Allerdings dürfte die Nachfrage weiter schwach bleiben. Höhere US-Zölle würden Daimler empfindlich treffen. 2018 wurden 65 Prozent der in den USA verkauften Mercedes aus Europa importiert. Die Jahresziele könnten zu ehrgeizig sein, eine Gewinnwarnung ist möglich. Die Dividende wurde bereits gesenkt. Haltenswert.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 58,00 Euro
Stoppkurs: 44,00 Euro