Die Pressestelle von Daimler ist für ihre schwäbische Zurückhaltung bekannt. Während andere große Unternehmen ihre Erfolge gerne mit kreativen Superlativen aufpolieren, halten die Stuttgarter den Ball traditionell lieber erst mal flach. Doch was die Strategen aus der PR-Abteilung am Samstag morgen zum Einstieg des chinesischen Multi-Milliardärs Li Shufu mitzuteilen hatten, war selbst für Daimler-Verhältnisse ziemlich unterkühlt.

Daimler, hieß es in dem schlichten Neunzeiler, freue sich, "einen weiteren langfristig orientierten Investor gewonnen zu haben (...)". Man kenne und schätze ihn als "chinesischen Unternehmer mit besonderer Kompetenz und Zukunftsorientierung, mit dem man den industriellen Wandel konstruktiv diskutieren kann". Im übrigen sei man in China breit aufgestellt und verfüge mit BAIC Motor "über einen starken Partner vor Ort", beschieden die Schwaben die Öffentlichkeit frostig.

Die Pressemitteilung aus dem Gefrierfach mit Stern kommt durchaus überraschend. Immerhin nämlich hatten die Schwaben in den vergangenen Jahren aus Sorge vor möglichen feindlichen Übernahmeattacken händeringend nach einem Ankeraktionär gesucht. Während etwa Volkswagen mit dem Land Niedersachsen und der Familie Porsche-Piech zwei starke Eigentümer an seiner Seite weiß und bei BMW die Quandt-Familie seit Jahrzehnten ihre schützende Hand über die Bayern hält, stehen die Schwaben seit dem Ausstieg der Deutschen Bank vor rund 20 Jahren ohne Großaktionär da.

Auf ihrer Suche nach einem verlässlichen Partner hatten die Schwaben auch mit Li Shufu gesprochen. Erst im vergangenen Herbst hatte der Selfmade-Milliardär, der einst als Fotograf für Touristen angefangen hatte, seine Fühler ausgestreckt. Doch damals scheiterte der Einstieg. Dem Vernehmen nach störte sich Daimler-Finanzvorstand Bodo Uebber vor allem daran, den Chinesen im Rahmen einer möglichen Kapitalerhöhung wie verlangt einen Sonderpreis für ihre Aktien einzuräumen.



Jetzt haben die Chinesen doch einen Weg gefunden. Mit dem am Freitag Abend bekannt gewordenen Erwerb von 9,69 Prozent der Aktien im Wert von rund 7,5 Milliarden Euro ist Li Shufu nun praktisch über Nacht zum größten Anteilseigner im Daimler-Reich aufgestiegen. Angesichts der Konkurrenz neuer Spieler von außerhalb der Autoindustrie brauche man Freunde und Partner, um diesen Herausforderungen zu begegnen, erklärte Li Shufu mit Blick auf Tesla, Google oder Uber seine Entscheidung.

Verstimmung in Stuttgart



Doch die Heimlichtuerei von Li Shufu sorgt in Stuttgart für Verstimmung. Nach deutschem Aktienrecht müssen Anteilseigner bei Erreichen bestimmter Schwellen eigentlich ihre Beteiligungen melden. Bei seinem Daimler-Einstieg hat Li Shufu mit dem Überschreiten der Drei- und Fünf-Prozent-Marke gleich zwei Schwellen gerissen - ohne den aktuellen Beteiligungsstand zu veröffentlichen. Ein solches Anschleichen wird im Daimler-Reich ("Das Beste oder nichts") überhaupt nicht gern gesehen.

Auch der kolportierte Plan, künftig einen Geely-Vertreter in den Daimler-Aufsichtsrat zu entsenden, sorgt in der Zentrale in Untertürkheim für Ernüchterung. Schließlich gehört seit 2010 etwa der schwedische Autobauer Volvo zu Geely. Im vergangenen Sommer kam die Sportwagenmarke Lotus dazu. Und seit Weihnachten halten die Chinesen auch noch 8,2 Prozent der Aktien und 15,6 Prozent der Stimmrechte an Volvo Trucks. Das ist durchaus brisant. Denn Daimlers Pkw-Sparte und das Nutzfahrzeug-Geschäft sorgen zusammen für rund 80 Prozent des Umsatzes und des Ergebnisses. Strategien oder Pläne für neue Modelle möchte da keiner so gerne mit den Chinesen teilen.

Dazu kommt, dass Daimler ohnehin schon zwei chinesische Partner an Bord hat. Mit BYD arbeiten die Schwaben bei Elektroautos zusammen. Dazu rollen im Joint-Venture mit BAIC Motor wichtige Baureihen in China vom Band, darunter die C-Klasse, der GLC oder die E-Klasse mit langem Radstand. Erst am Sonntag hatten Daimler und BAIC angekündigt, zusammen 1,9 Milliarden Dollar in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten zu investieren. Nun drängelt sich Geely dazwischen.

Exzellente Beziehung



Neben diesen strategischen Fragen sorgt auch Li Shufu selbst für Fragen. Denn ohne die Zustimmung der Regierung in Peking läuft bei Milliarden-Deals in China überhaupt nichts. Und Li Shufu werden exzellente Beziehungen zu den obersten Kadern der kommunistischen Partei nachgesagt. So soll Geely etwa beim 1,8-Milliarden-Dollar schweren Erwerb von Volvo lediglich 600 Millionen beigesteuert haben. Den Rest teilten sich Experten zufolge die China Construction Bank sowie staatliche Investmentgesellschaften.

Beobachter rätseln nun, ob beim Daimler-Deal am Ende ebenfalls die kommunistische Parteiführung die Fäden gezogen hat. Der Daimler-Einstieg, mutmaßen Beobachter, könnte nur ein weiterer Mosaik-Stein der Weltmacht-Ansprüche der Chinesen sein. Die "Copy-Cat-Nummer", raunt ein Branchen-Experte, der lieber ungenannt bleiben will, "haben die Chinesen doch längst hinter sich gelassen". China wolle "die führende Wirtschaftsmacht der Welt werden. Wenn deutsche Technologie dabei hilft, dann kaufen sie sich eben ein."

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Einschätzung der Redaktion



Der Einstieg von Li Shufu bei Daimler könnte für Daimler-Aktionäre eigentlich eine gute Sache sein. Mit dem Selfmade-Milliardär aus Fernost haben die Schwaben endlich den lange erhofften Anker-Investor an Bord. Und gemeinsam mit dem Emirat Kuweit sowie Renault Nissan verfügen die Schwaben nun über eine verlässliche Aktionärsbasis.

Aber der neue Groß-Aktionär birgt auch Zündstoff. Da ist zum einen die Frage nach dem Aufsichtsrat. Li Shufu drängt offenbar auf einen Sitz im Daimler-Kontrollgremium. Dem dürften die Schwaben aber wegen der übrigen Geely-Beteiligungen wohl nur dann zustimmen (können), wenn Li Shufu einen unabhängigen Kandidaten präsentiert.

Auch das Binnenverhältnis in China dürfte kaum spannungsfrei bleiben. Immerhin hat Daimler dort mit BAIC einen Partner, mit dessen Hilfe die Schwaben den größten Automarkt aufgerollt haben und dabei auch an die Spitze im Premium-Segment zurückerobert haben. Jedes vierte Auto verkauft der Konzern inzwischen in China. Dazu baut BYD auf der Basis der B-Klasse Elektro-Autos unter dem Markennamen Denza. Wo Geely in dieser Struktur seinen Platz finden könnte, ist derzeit noch unklar.

Anleger sollten Li Shufu aber nicht unterschätzen. Der Geely-Haupteigentümer hat dem Volvo-Management lange Leine gelassen und dem Unternehmen bei der Stärkung der schwedischen Identität gestärkt. Gemeinsam mit der Modell-Offensive gilt das als Schlüssel für das Comeback der Traditionsmarke.

Auch bei Daimler dürfte Li Shufu also eher im Hintergrund wirken. Neben der Marke mit dem Stern dürfte es ihm vor allem das Know-how in Sachen autonomes Fahren, Digitalisierung und E-Antriebe angetan haben. Wenn die Daimler-Manager einen Weg finden, gemeinsam mit Geely, BAIC und BYD Wissen und Technologien für E-Antriebe zu bündeln und Kostenvorteile zu nutzen, ist die Marke mit dem Stern für das Zeitalter der Elektro-Mobilität so gut gerüstet wie kaum ein anderer Wettbewerber weltweit. Kaufen.

Ziel: 80 Euro

Stopp: 61 Euro