MIT KENGETER ODER OHNE?



Einige Banker und Wegbegleiter des Vorstandschefs haben Zweifel, dass der 49-Jährige an Bord bleibt, wenn die Deutsche Börse keine größeren Deals mehr stemmen kann und im weltweiten Wettbewerb weiter zurückfällt. "Er interessiert sich für das Große und ist sehr international", sagt ein Manager, der mit Kengeter zusammengearbeitet hat. "Es würde ihn nicht erfüllen, einen Nischenanbieter zu führen."

Bei der Deutschen Börse gehen die meisten jedoch davon aus, dass Kengeter an der Spitze bleiben wird, wenn sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen ihn wegen des Verdachts auf Insiderhandel nicht erhärten. Vorstand und Aufsichtsrat haben Kengeter bereits den Rücken gestärkt. Auch viele Großinvestoren stehen hinter ihm, obwohl sie den LSE-Deal teilweise für schlecht vorbereitet halten. Der Vorstandschef selbst hatte Ende vergangenen Jahres erklärt, es sei nicht sein Stil, nach einer geplatzten Fusion den Hut zu nehmen. "Das kommt mir überhaupt nicht in den Sinn."

NÄCHSTER MEGA-DEAL ODER KLEINE SCHRITTE?



Vor der Fusion mit der LSE hat Kengeter eine Reihe mittelgroßer Deals erfolgreich abgeschlossen. Für insgesamt 1,3 Milliarden Euro kaufte er die Devisenhandels-Plattform 360T und übernahm zwei Index-Anbieter komplett. Zudem beteiligte sich die Deutsche Börse an Finanztechnologiefirmen (FinTechs) und trieb Pilotprojekte mit der neuartigen Blockchain-Technologie voran. Einige Führungskräfte fänden es gut, wenn es Kengeter vorerst bei kleineren und mittelgroßen Zukäufen belassen würde. "Ich hätte kein Problem, wenn wir künftig kleinere Brötchen backen", sagte einer von ihnen. "Dann besteht auch nicht die Gefahr, dass wir erneut spektakulär scheitern."

Der Staat hat bei Börsenbetreibern, die von Politikern oft als Prestigeobjekt angesehen werden, ein großes Mitspracherecht. Deshalb seien Fusionen hier grundsätzlich komplizierter als in anderen Sektoren, erläuterte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment. "Auch künftig werden Übernahmen in diesem hochregulierten Markt sehr schwierig sein."

Doch sind Experten überzeugt, dass eine Konsolidierung der Branche nötig ist, weil Größe im Börsengeschäft entscheidend ist. In USA gab es etliche Zusammenschlüsse: Die Platzhirsche Chicago Mercantile Exchange (CME) und Intercontinental Exchange (ICE) sind am Markt mehr als doppelt so viel wert wie die Deutsche Börse. Durch kleinere Zukäufe in Europa, etwa eine Übernahmen der in Paris beheimateten Euronext oder der Börse Madrid, könnten die Frankfurter den Rückstand auf ihre Konkurrenten aus den USA nicht signifikant reduzieren.

Einige Mitarbeiter der Deutschen Börse hatten die Sorge, dass Kengeter den Wertpapierverwahrer Clearstream verkaufen könnte, um sich Geld für einen großen Deal zu beschaffen. Ein Clearstream-Verkauf sei aktuell aber kein Thema, sagten mehrere damit vertraute Personen. "Es wäre bekloppt, die Ertragsperle Clearstream jetzt zu verkaufen", sagte ein Insider. Die Tochter werde noch stärker davon profitieren, dass Investoren auf Druck der Aufsichtsbehörden mehr Sicherheiten für Handelsgeschäfte bei ihr hinterlegen müssen.

WIRD DIE DEUTSCHE BÖRSE SELBST ZUM ZIEL?



Kengeter hat im vergangenen Jahr gewarnt, dass die Deutsche Börse selbst ins Visier von Konkurrenten geraten könnte. Es sei richtig, dass die CME generell Interesse an Deutschlands größtem Börsenbetreiber habe, erklärte er damals. "Ob sich dieses manifestiert, das glaube ich im Moment eigentlich nicht. Es könnte aber eine Artikulation folgen, falls unser Zusammenschluss (mit der LSE) nicht gelingt."

Die Amerikaner haben bei den Frankfurtern Finanzkreisen zufolge schon 2013 wegen einer Verschmelzung angefragt, waren aber abgeblitzt. Bisher waren sie grundsätzlich nur an einem einvernehmlichem Zusammenschluss interessiert. Da die Deutsche Börse der kleinere Partner wäre, ist es aus Sicht von Experten unwahrscheinlich, dass sich der Konzern darauf einlassen würde. Bei feindlichen Übernahmen wäre es sehr wahrscheinlich, dass die hessische Börsenaufsicht ein Veto einlegt. Sie sieht schließlich bereits die "freundliche" Fusion mit der LSE kritisch, weil sie einen mangelnden Zugriff auf die fusionierte Mega-Börse befürchtet.

rtr