Herr Halver, die große Koalition aus Union und SPD hat bei der Bundestagswahl gestern ein Desaster erlebt, die AfD triumphiert und zieht als drittstärkste Partei ins Parlament ein. Wie überrascht sind Sie vom Ausgang dieser Wahl?



Robert Halver: Man musste nach den Umfragen damit rechnen, obwohl die Stärke der AfD und die Schwäche der Union durchaus überraschend sind. Ein Sechs-Parteien-Parlament hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.

Wie erklären Sie sich den Absturz von Union und Sozialdemokraten. War die GroKo wirklich so schlecht?



Große Koalitionen haben immer die Folgen, dass sie abgestraft werden und die kleineren Parteien und auch die Ränder größer werden. Es fehlt eben die klare und starke Opposition. Und sicherlich hat die GroKo in puncto Reformen trotz ihrer potenziellen Machtfülle deutlich weniger erreicht als Rot-Grün unter Schröder. Die letzten vier Jahre waren Verwaltungs- und nicht Visionsjahre. Perspektiven wurden nicht geschaffen. Die Wähler fühlten sich nicht mitgenommen. Und das haben sie abgewählt.

Der große Gewinner der Bundestagswahl ist die rechte AfD. In der Wirtschaft ist das Entsetzen über den Wahlerfolg der Alternative für Deutschland groß. Die AfD "schadet unserem Land", sagte gestern etwa Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Teilen Sie diese Sorge?



Mit der AfD hat Deutschland jetzt die gleiche politische Situation, die andere europäische Länder schon länger haben. Sorgen sind dann nicht angebracht, wenn die neue Bundesregierung ihre Aufgabe ernst nimmt. Man muss die Zukunftsängste der Menschen abbauen und ihnen eine Perspektive in Form vor allem von Arbeitsplätzen bietet. Dann wird sich auch wieder die Abschwächung der politischen Ränder einstellen, aber auch nur dann.

Die SPD will keine Gespräche über eine mögliche, weitere Regierungsbeteiligung führen und in die Opposition gehen. Damit deutet derzeit vieles darauf hin, dass wir künftig von einer Koalition aus Union, FDP und Grünen regiert werden. Wie schwierig wird es für die Union, mit der FDP und den Grünen ein Bündnis zu schmieden?

Politisch ist es verständlich, dass die SPD in keine neue GroKo gehen will. Sie hat Angst, 2021 noch stärker zu verlieren. Jamaika klingt niedlich, hat aber mit "Peace" wenig zu tun. Das erste Mal seit den 50er-Jahren gibt es eventuell eine Bundesregierung aus drei Fraktionen mit vier Parteien. Diese stehen sich inhaltlich teilweise diametral gegenüber. In der Europa-Politik will die FDP im Gegensatz zur CDU wohl strikt auf die alten Stabilitätskriterien setzen. Und zwischen CSU und Grünen liegen Welten. Man darf auch nicht vergessen, dass die CSU im nächsten Jahr eine Landtagswahl in Bayern zu bestreiten hat.

Sie muss die absolute Mehrheit wieder erreichen, ansonsten wird sie politisch dramatisch an Einfluss auch in Berlin verlieren. Ihre absolute Mehrheit ist systemrelevant. Und da sie jetzt bei der Bundestagswahl dramatisch verloren hat, wird sie zur Erreichung der absoluten Mehrheit auf Konfrontationskurs mit FDP und vor allem den Grünen gehen wollen. Diese vier Parteien zusammenzubringen wird eine Herkulesaufgabe. Einen Sack Mücken zu hüten ist einfacher.

Welche wirtschaftspolitischen Themen muss eine mögliche neue Regierung jetzt am drängendsten anpacken?



Ganz einfach: Wie soll der Wirtschaftsstandort Deutschland gerettet werden? Wie können wir die Digitalisierung nicht nur gut überleben, sondern auch ganz vorne mit dabei sein. Es geht um Arbeitsplatzsicherheit, eine gute soziale Vision. Leider hat sich die GroKo hier in den letzten vier Jahren nicht mit Ruhm bekleckert. Es fehlte in einer globalen, wettbewerbsfähigen Welt der Reformeifer. Das muss nachgeholt werden, ist aber mit vier Parteien alles andere als einfach.

Auch in der EU stehen wichtige Weichenstellungen an. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat für Dienstag bereits eine wichtige europa-politische Grundsatzrede angekündigt. Erwarten Sie - auch mit Blick auf das Abschneiden der AfD -, dass die künftige Bundesregierung künftig einen härteren Kurs in Brüssel fährt, etwa in der Flüchtlingspolitik?

Im Augenblick hat Frankreich in der Eurozone mit die stabilste Regierung. Macron wird die vermeintliche Regierungsschwäche in Deutschland für seine Eurovision nutzen wollen. Macron träumt von einer "Europäischen Wirtschaftsregierung" mit eigenem Budget, einer Vergemeinschaftung nationaler Schulden, Europa-weiter Versicherung der Bankeinlagen, einer Euro-solidarischen Finanzierung der nationalen Arbeitslosenversicherungen, noch mehr Investitionen zur eurozonalen Wirtschaftsförderung und als Sahnehäubchen oben drauf noch einen ebenso mächtigen wie spendablen und schuldenfrönenden Euro-Finanzminister. Am liebsten sollte es ein Franzose werden, der dann in Zusammenarbeit mit einer freizügigen EZB nicht zuletzt Frankreich herrlich anstrengungslosen Wirtschaftszeiten entgegenführt.

Es ist kein Zufall, dass Macron das deutsche Spardiktat ausgerechnet in Athen geißelte. Und er weiß genau, dass Sparen überall in Europa so beliebt ist wie Dosenravioli im Pariser Sterne-Restaurant. Macron will sich in Europa als soziale Alternative zur angeblich kaltherzigen Frau Merkel empfehlen. Mit diesem (Schein-)Heiligenschein will er endgültig die Europäische Stabilitätsunion in eine Französische Schuldenunion transformieren. Das ist gefährlich, weil die Reformkomponente fehlt. Europa braucht wirtschaftsreformistische Aufbauspritzen, keine weitere sozialistische Umverteilung und Kaputtverwaltung. Hier wird die FDP den Franzosen Paroli bieten.

In puncto Migrationspolitik ist dringend ein Einwanderungsgesetz nach dem Vorbild Kanadas erforderlich. Mit dem Abschneiden der AfD und der FDP wird hier sicherlich mehr Druck auf die Regierung ausgeübt.

Was bedeutet der Wahlausgang für die Börsen? Droht nun ein weiterer Rückschlag an den Märkten und wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?



Die deutschen Aktienmärkte sind zurzeit noch entspannt. Eine bekannte Konstante bleibt in Form von Frau Merkel erhalten. Aber man will auch nicht zu lange auf eine neue Regierung warten. Doch braucht diese Zeit. Viele Positionen der vier Jamaika-Partner sind so weit auseinander wie der Nord- vom Südpol. Da müssen unendlich viele ideologische Bretter fallen. Je länger eine neue Koalition braucht, um zu regieren, umso nervöser werden Dax und Co. werden. Man kennt Deutschland ja als politischen Stabilitätsanker. Volatilität. Eine neue Regierung wird erst im November gebildet werden. In der Zwischenzeit wird es schwankungsanfällig hergehen.

Mit Etablierung einer Regierung aus staatsbürgerlicher Pflicht steht aber einem DAX am Jahresende auf höherem Niveau wenig im Wege. Noch entscheidender als die Bundespolitik ist die Geldpolitik. Und diese bleibt grundsätzlich aktienfreundlich.